Manuela Kerer
Ich möchte an sämtlichen Realitäten kratzen
Fast hätten wir uns für dieses Gespräch in meiner Geburtsstadt Dresden getroffen, doch Chaos und Verspätungen infolge des Bahnstreiks haben das verhindert. Verlagerten wir unser Gespräch also wieder in den virtuellen Raum, um Manuela Kerers musikalische Begegnung mit der Welt und das bevorstehendes Porträtkonzert der Jeunesse Wien im Radiokulturhaus zu besprechen. Zusammen mit Katrin Beck wird sie ab 2026 die Münchener Biennale für zeitgenössisches Musiktheater leiten und weiten.
Was hattest du denn in Dresden zu tun?
Ich war da zusammen mit Katrin Beck für die Münchener Biennale einer Einladung vom Netzwerk Freies Musiktheater gefolgt. Oft finden in diesem Rahmen Treffen für KünstlerInnen statt; dieses Mal war es eine Begegnung von ProduzentInnen und FestivalbetreiberInnen zu Kooperationsmöglichkeiten usw.
Woraus schöpft man als Komponistin, wenn man zur Kuratorin und Intendantin wird?
Gerade in der Findungsphase stellen wir uns sehr viele Fragen, zum Beispiel, warum wir nicht auch den Osten Europas mit einbeziehen oder nach Übersee (in jeglicher Hinsicht) schauen sollten. Wir konnten in Dresden darüber hinaus wunderbar die Gesichter nationaler Festivals und Aufführungsstätten kennenlernen. Es besteht ja ein riesiger Unterschied zwischen festen Spielhäusern mit starren Strukturen und Festivals mit zwar flexibleren Vorgängen, aber auch viel größeren Unsicherheiten bezüglich des möglichen Budgets. Beides hat Vor- und Nachteile und in beiden Welten bzw. Realitäten möchten wir gern spielen und kooperieren.
Deine Hingabe an die Gattung Oper lässt diese Intendanz recht folgerichtig erscheinen. Wir sprachen vor Jahren über die Entstehung von Toteis. Dort hebst du dieses Genre einerseits in zeitgenössische Atmosphäre, andererseits betonst du den kollaborativen Aspekt von Musiktheaterschaffen. Wohin geht dein Blick bezüglich der Biennale?
Der Mensch ist ein mehrsinnliches Wesen, deswegen spielen bei einem Streichquartettkonzert beispielsweise die Atmosphäre des Konzertsaals, der Geruch des Sitznachbarn, die Bewegungen der MusikerInnen und so viele andere Eindrücke eine Rolle – es könnte also auch eine Auffassung von Musiktheater darstellen. Wenn sich dann auf der Bühne – was auch immer die Bühne ist – alles trifft,
ist das einfach wunderbar. Zusammenarbeiten wie für Toteis mit dem Autor Martin Plattner und der Regisseurin Mirella Weingarten sind ein Traum, bergen aber natürlich auch ein gewisses Risiko. Da seh ich meine Aufgabe als künstlerische Leiterin, Menschen miteinander ins Werken zu bringen, die auch wirklich miteinander können, sich aber auch aneinander reiben, um genügend Energie freizusetzen. Es ist andererseits mühsam, nur an den Problemen schrauben zu müssen und dabei die Kunst aus den Augen zu verlieren. Im genreübergreifende Arbeiten steckt soviel unentdecktes Potenzial. Gemeinsam eine Idee zu träumen, ist ein sehr aussichtsreiches Ideal. Oper oder Musiktheater ist schon etwas vom Schönsten für mich, wo sich das alles trifft, was für mich Musik ist.
Ist die Idee, nicht allein zu komponieren, sondern die Prozesse sich miteinander entwickeln zu lassen, auch ein Ausweg aus der Isoliertheit des Komponierens? Oder erscheint sie dir mehr als Herausforderung? Sich über einen Traum zu verständigen, damit er ein gemeinsamer werden kann, ist ja nicht das Leichteste … dafür braucht es doch ein ganz eigenes Sensorium über das übliche Register von Selbstdisziplin und musischen Qualitäten hinaus?
Für mich ist es beides. Irgendwann ist das Alleinsein am Schreibtisch auch ganz dringend notwendig, nicht nur für die Komponierenden. Das Wichtigste scheint mir dabei der gegenseitige Respekt zu sein, denn der gemeinsame Traum kann bei genauerer Betrachtung unzählig viele Träume beinhalten. Bei Toteis hab ich selbstverständlich auch gewisse Regievorstellungen gehabt. Mirella Weingarten hat die aber zum Teil überhaupt nicht so übernommen, sondern uns im Prozess neue vorgestellt, über die wir diskutieren konnten. Gerade das ist auch das Tolle: die Essenz zu verstehen und jedem seinen eigenen Ausdruck dessen zu lassen. Für ein gemeinsames Ergebnis braucht man eine Diskussionsfähigkeit darüber. Ein gemeinsamer Traum ist ja immer auch ein fluider Traum, auf den man einwirken kann.
Was magnetisiert dich, abgesehen von der Liebe zum zeitgenössischen Musiktheater, an deiner neuen Aufgabe bei der Biennale München? Du bist ja in kuratorischen Kontexten schon länger unterwegs …
In dieser Dichte ist die Aufgabe total neu. In einer Jury befasst man sich für eine gewisse Zeit mit bestimmten Werken, beim Ensemble Reconsil bin ich zum Beispiel auch im künstlerischen Leitungsteam, aber da sind wir mehrere und die Zusammenarbeit ist zeitlich begrenzter. Die Doppelspitze ist auch eine Herausforderung, weil viel mehr Kommunikation notwendig ist, um sich an laufenden Prozessen teilhaben zu lassen. Katrin Beck und ich kannten uns zwar schon und wussten, dass wir sehr gut miteinander umgehen können, aber zusammen zu arbeiten birgt auch ein gewisses Risiko. Uns beide eint, dass wir uns gern ins kalte Wasser werfen lassen, weil nur dann auch etwas entstehen kann, wenn du dich darauf einlässt. Ich weiß, dass wir diese große Aufgabe sehr gut meistern werden, weil wir beide überhaupt keine Kompromisse zulassen. Bestehende Bedenken werden diskutiert, denn wir müssen beide von unseren Entscheidungen überzeugt sein. Ich könnte mir einen Alleingang in dieser Aufgabe gar nicht vorstellen. Ich mag es, im Team zu arbeiten, weil ich allein schon durch’s Reden über meine Gedanken weiterkomme. Und jeder Konflikt, jede Reibung, die unweigerlich auftreten werden in unserer Zusammenarbeit, lassen uns zusammen und jede für sich wachsen.
Als Christof Dienz und Clara Iannotta kurzzeitig in Doppelspitze die Klangspuren Schwaz leiteten, sprachen sie davon, sich gegenseitig ihre professionellen Felder zuzugestehen. Gibt es bei euch auch eine Art Arbeitsteilung?
Nein, das ist bei uns komplett anders, obwohl es vielleicht auf den ersten Blick naheliegend wäre. Da Katrin Beck aus dem Musikmanagement kommt, ist ihre Expertise eine andere als meine, die ich aus dem kompositorischen Feld komme. Sie sagt immer: „Ich kann keine Partitur schreiben, aber ich kann sie lesen“, das finde ich ganz wunderbar, außerdem kann sie noch so viel mehr. Es war immer klar, dass wir alle künstlerischen und operativen Entscheidungen gemeinsam treffen wollen. Das finde ich sehr gut. Daniel Ott und Manos Tsangaris haben diese doppelte Führung ja bereits voll ausgefüllt und bewiesen, dass man eine Sache gemeinsam und in ständiger Übereinkunft par excellence ausführen kann. Uns zeichnet nun aus, dass Katrin Beck auf die zeitgenössische Musiktheaterlandschaft von innen und außen schauen kann und dadurch eine noch größere Chance entsteht, die zeitgenössische Blase zu dehnen, zu öffnen, zu platzen.
Gibt es auch Avancen, politisch einzuwirken?
Wir bezahlen gleich, der arrivierte Regisseur bekommt nicht mehr als die Komponierenden. Es ist in der Kulturwelt über die Jahre eine Unart entstanden, dass das Renommé über die Honorierung entscheidet. In unserer Gesellschaft wird Wertschätzung aber nun mal sehr oft mit Geld ausgedrückt. Wir schätzen vor allem die Qualität und nicht nur große Namen. Außerdem ist die Nachhaltigkeit im kulturellen Schaffen eines unserer ganz wichtigen Anliegen. Wir wollen und müssen uns dieser Thematik substanziell stellen.
Die Motivation des Kunstschaffenden, Inneres nach außen zu tragen, wird bei dir immer von einem Vermittlungsaspekt begleitet, also nicht nur die Geburt des Eigenen, mehr die Einladung zur Bereicherung der Wahrnehmung. Wie können denn Schienen zu RezipientInnen gelegt werden, ohne sein Werk zu verraten, sich selbst zu verraten oder RezipientInnen aus der Augenhöhe zu verlieren?
Und auch ohne von oben herab zu erklären. Viele versuchen Vermittlungsarbeit im Bereich der zeitgenössischen Musik, indem sie auch die Kunst annähern, also simplifizieren. Ich bin entschieden dagegen. Musik braucht nie einen Beipackzettel, wo die Ingredenzien erklärt werden. Katrin Beck und ich sprechen daher auch von Übersetzungen im Sinne des Übersetzens von einem Ufer an das andere (gegenüberliegende), dem Rezipienten etwas zum Erkennen an die Hand zu geben. Bei Kindern sind die Synapsen dafür noch viel freier, im jugendlichen Alter nimmt diese Fähigkeit ab, weil dort die Abgrenzung von den Alten quasi Lebensaufgabe ist, das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man sie erreichen will. Aber auch die Vermittlungsarbeit für ältere Menschen ist uns außerordentlich wichtig. Da geht es nicht zuletzt auch um soziale Aspekte wie eine Konzertbegleitung. Man gibt den Menschen einen Schuhlöffel, mit dessen Hilfe sie selbst den Schuh anprobieren und hineinrutschen können.
Die Biennale soll ja auch mehr in die Stadt getragen werden – schweben euch da schon Bewegungen vor, die die Öffnung des Festivals unterstützen können?
Die Biennale ist ein Festival der Stadt München und soll auch ein Spezifikum dieser Stadt sein, womit MünchnerInnen sich verbinden (können). Das Aufsuchende und Hineingehen in die Gesellschaft ist also ein vorderstes Kriterium unserer Arbeit.
Gab es einen Gedanken zu dem Umstand, dass jetzt von einer männlichen zu einer weiblichen Doppelspitze gewechselt wird?
Von uns nicht. Natürlich wissen wir, dass wir Frauen sind, und vielleicht gab es diesbezüglich auch Gedanken bei denjenigen, die uns eingesetzt haben. Aber wenn Katrin Beck und ich über KünstlerInnen sprechen, kommt es nie in irgendeiner Form zur Sprache, welchen Geschlechts die KünstlerInnen sind. Es gibt einen hohen Frauenanteil in unseren Köpfen aufgrund der Qualität ihrer Arbeit. Deshalb brauchen wir auch keine Quote, solange da nichts schiefläuft. Ich finde es gut, wenn alles vorhanden ist. Wir können uns eh nicht nur in zwei auf- oder einteilen. Daher ist es zu wenig, wenn wir nur vom Geschlecht reden. Gleichzeitig schaffen wir den Sprung zum noch Diverseren besser, wenn wir nicht nur davon reden.
Was ist feministisches Komponieren für dich?
Für mich gibt es nur Individuen, die auf ihre Weise Dinge tun. Nur weil ich in genau diesem historischen Moment lebe, wo es neben vielen anderen Realitäten einen Krieg in der Ukraine gibt und wieder ein alter weißer Mann die U.S.A. regiert, komponiere ich so wie ich es tu. Natürlich ist es von Bedeutung, dass ich eine Frau bin. Spätestens wenn es um die Bezahlung meiner Leistung geht oder um Wahrnehmung in der Öffentlichkeit oder um die Vermittlung: Es sind größtenteils Frauen, die die Musikvermittlung übernehmen. Vielleicht geht das auch wieder in eine falsche Richtung, weil es oft unter ausbeuterischen, prekären Bedingungen geschieht. Wertschätzung wird vielfach immer noch in Geld ausgedrückt, deshalb muss hier ein Gleichgewicht geschaffen werden. Gewisse Themen gehören auch in den Fokus gerückt, die nicht nur Frauen, sondern auch Minderheiten betreffen.
Feministisches Handeln beschreibt gar keinen weiblichen Kontext mehr, eher vom Kanon, von der Konvention abgewandtes Tun hin zu diverseren Perspektiven.
Natürlich ist es total wichtig, dass die Generationen vor uns diesen Begriff gefunden und verteidigt bzw. überhaupt erst etabliert haben. Man darf da auch nicht lockerlassen. Trotzdem wird es begrifflich zunehmend schwerer, damit adäquat umzugehen.
Was sich in der Selbstbezeichnung feministische Männer deutlichst niederschlägt. Ist die flüssin ein Ausdruck solch feministischen Denkens?
Angeregt ist dieser Titel durch einen vorgegebenen Text, in dem diese wunderbare Flüssin vorkam und sich auch das Fließende einzeichnet. Musik ist DAS Genre dafür: sie spielt in der Zeit, das Fließen des Wassers und Musik tragen für mich absolute Parallelen: beide können sehr rhythmisch sein und abrupt vergehen. Auch Fluid Keys spricht davon. Dafür stellte ich fünf Flügel zwischen zwei Flüsse und spielte mit den fünf PianistInnen um fünf Uhr in der Früh. Die Flüsse sind natürlich so laut, dass es zu einer Herausforderung wurde, sie trotz Verstärkung zu übertönen. Diese brachiale Naturgewalt flößt mir auch diesen irren Respekt vor dem Meer ein. Ich liebe es, habe aber auch Angst und Respekt davor. Diese Haltung sollten wir grundlegend vor der Natur haben und sie nicht unterschätzen. Die Flüssin klingt für mich viel schöner als der Fluss und lässt mich wundern, warum unsere Begrifflichkeiten so sind wie sie sind.
Das berührt die Bereiche von Sprache und Onomatopoetik, wie sich Phänomene zeigen und Begriffe dazu entwickelt haben. Der Genus in den Sprachen lässt mitunter auch weitreichende Deutung zu …
Gerade Sonne und Mond sind in den romanischen Sprachen genau umgekehrten Geschlechts als im deutschen Sprachgebrauch. Phylogenetisch ist mittlerweile ja klar, das „Prima la musica, dopo le parole“ nicht stimmt, sondern deren Entwicklungen gleichzeitig stattfanden und stattfinden. Mich beeindruckt, wie nahe sich Sprache und Musik immer wieder sind.
Bei Sprache ist aber zu differenzieren zwischen einem Selbstausdruck mit Sprache als Werkzeug oder als Instrument in Gesetzestexten. Demgegenüber das Musikalische im Sprechen und im Sprachklang von Poesie. Dieser Tage findet ein Symposium zur Aphasie in Wien statt, wo unter anderem das Phänomen thematisiert wird, dass in der Behandlung von Sprachstörungen viel über Musik gebahnt wird. Mittels Rhythmik kann das menschliche Gehirn sprachliche Inhalte leichter speichern und legt sie auch im Areal für musikalische Erfahrungen ab. So kann man trotz Sprachverlust auf Liedrezitation beispielsweise zurückgreifen.
Neben SchlaganfallpatientInnen profitieren auch Stotterer von dieser Erkenntnis. Da geht man vom Singen langsam sukzessive die Quinte zur Sprache hinunter. Ob das nun über Spiegelneuronen oder Millionen von Synapsen oder wie das Lernen grundsätzlich abläuft, sind unglaublich spannende Fragen.
Die Neuropsychologie ist auch eines deiner Steckenpferde …
Ich hab nach meinem Psychologiestudium über Musik und Demenz promoviert, da ist das nur folgerichtig. Es gibt Menschen, die können sich nicht mehr selbst anziehen, aber Kinderlieder rezitieren oder den Erlkönig fehlerfrei aus dem Kopf aufsagen. Da ist das limbische System noch dermaßen aktiviert. Manche haben fast ihr Selbst verloren und beginnen dann beim Erklingen eines Weihnachtsliedes zu weinen, weil das in ihrem autobiografischen Gedächtnis gespeichert ist. Wir urteilen immer von außen, aber je nach Phase der Demenz kann sie auch ein schöner Zustand sein. Wir denken immer entlang der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und urteilen dann über andere. Da hat die Musik als Kommunkationsform eine wichtige Rolle inne. Sie ist auch sehr schwer zu erforschen, weil die Fähigkeit zur musikalischen Wahrnehmung kaum mess- und fassbar ist, genau wie Poesie oder literarische Sprache. Da gibt es immer Zwischenräume, deshalb muss man ja auch das Recht auslegen.
Wie ist deine Haltung als Künstlerin zum Selbstausdruck in der permanenten Gewissheit, nur einen Bruchteil der (eigenen) Wahrnehmung gerade abzubilden? Äußert sich das auch anders als in Selbstbeschränkung?
Mit jedem Kompositionsauftrag fühle ich mich in eine neue Welt hinein, was eine unglaubliche Bereicherung ist. Dafür waren meine anderen Studien sehr zuträglich, waren quasi mehr mein Kompositionsstudium als das eigentliche. Ich finde es so spannend, in etwas Neues hineinzugehen. Der Nachteil ist bei mir natürlich, dass ich nie bis ins Letzte vordringe. Gleichzeitig behagt mir das aber auch, weil ich immer Neues lernen und an sämtlichen Realitäten kratzen will, um einen gewissen übergeordneten Blick zu bekommen. Ich bin ein großer Fan der Septem Artes Liberales, möchte ein sehr breites Bildungsspektrum haben und finde es sehr schade, dass man heutzutage so extrem zur Spezialisierung gezwungen ist. Dass mir ein Algorithmus entsprechend meiner Vorlieben immer dieselbe Musik anbietet, finde ich furchtbar. Die Styriarte thematisiert in diesem Jahr steirische Helden und ich darf ein Stück zu Zitaten von Arnold Schwarzenegger schreiben – ich hätte nie gedacht, wie cool ich diesen Mann finde!
Das bestätigt auch deine Haltung, so allumfassend wie möglich gebildet zu sein. Nur so kann man sich peu à peu von Vorurteilen befreien.
In der Musikvermittlung verfolgen wir doch dasselbe Ziel: Durch Beschäftigung mit dem Gegenstand eignen wir ihn uns an und entwickeln ein anderes Gefühl dafür. Dann kann man ganz anders mit der jeweiligen Thematik umgehen.
Wie kam es zu den Alma Phantasien?
Eine befreundete Sopranistin bat mich um ein Stück für ihren Liederabend, ganz ohne Vorgaben, außer dass es für Klavier und Sopran sein sollte. Zu der Zeit beschäftigte ich mich viel mit Komponistinnen und wie mit ihnen umgegangen wurde. Hans von Bühlow sagte: „Eine Komponistin wird es niemals geben, nur eine verdruckte Kopistin.“ Das hab ich auch in einem Werk verarbeitet, weil mir das als einziger Weg erschien, diese Aussagen auf den Kopf zu stellen. Die Persönlichkeit von Alma Mahler-Werfel faszinierte mich, ich las ihre Tagebücher und fand, wie Gustav Mahler zu ihr sagte, sie solle nicht mehr komponieren, sondern nur der Seinen leben. Ich wünschte so sehr, sie hätte mehr Stücke geschrieben. Den Bildern nach glauben wir heute, sie hätte vor Selbstbewusstsein gestrotzt, aber so ist es offenbar nicht gewesen. Ich habe den Eindruck, dass ihre künstlerischen Fähigkeiten ein sehr interessanter Aspekt ihrer Person waren, nur hat sie zu ihrer Zeit dahingehend keiner so richtig ernst genommen. In der heutigen Zeit wäre sicher eine andere aus ihr geworden.
Am 20. Mai wird es ein Porträtkonzert von dir im Radiokulturhaus Wien mit ganz anderen Werken geben – wie bist du zu diesem Line-up gekommen?
Ute Pinter von Jeunesse bat mich um ein neues Werk nebst Programmierung meiner Werke für einen Porträtabend. Eine frühere Uraufführung mit der Company of Music ergab eine ungeheuer schöne Begegnung mit beglückendem Austausch. Johannes Hiemetsberger hatte ich kurz zuvor zufällig in München auf der Straße getroffen, alle Zeichen standen also auf GO. Mit Martin Mallaun verbindet mich schon ewig sehr viel, sowohl künstlerisch als auch freundschaftlich. Und an so einem Porträtabend darf ja eine leise Ahnung meiner musikalischen Welt spürbar werden. In der Volksmusik stecken meine Wurzeln und nach Neuem streck ich ständig meine Fühler aus. Also musste die Zither dabei sein, auch ein Streichquartett: das Gletscherquartett finde ich unheimlich gelungen und die Thematik ist mir sowieso außerordentlich wichtig. Zudem schätze und mag ich das Koehne-Quartett einfach total. Die Uraufführung bringt dann alle zusammen: fünf Stimmen, Zither und Streichquartett.
Was führte dich zum Seelenblitz?
Das war ein Auftrag vom Österreichischen Kulturforum in New York, gespielt vom Hugo Wolf Quartett. Streichquartette sind die Königsdisziplin und ich hab lange überlegt, was es werden wird. Im Grunde geht es um das Lachen, ganz verschiedene Aspekte des Lachens: rhythmisch, gehirntechnisch, sogar mit Lachkrampf, also mit szenischen Elementen, die auch witzig sind. Bei der österreichischen Erstaufführung wurde es gerahmt von Mozart und Mendelssohn aufgeführt, Mozarts Stück war wohl in der Nacht der Geburt seines Kindes geschrieben worden und ich scherzte beim Publikumsgespräch, dass ich wohl nicht werde komponieren können in der Nacht der Geburt meines Kindes. Betretene Stille war leider die Folge, aber das Stück selbst hat dann heftige Ovationen ausgelöst. Wieder einmal ein Beweis, dass man das Publikum nicht unterschätzen darf. Das hatte vorher einfach nur leise in sich hinein geschmunzelt.
Radio machst du und schriebst in den vergangenen zehn Jahren regelmäßig Kolumnen, von denen eine Auswahl 2020 im Buch Kerers Saiten erschienen sind – welche Saite spricht dabei in dir?
Ich war als Studentin Konzertrezensentin, weil ich mir die Eintrittskarten niemals hätte leisten können. Aber ich bin keine Kritikerin und finde es auch nicht gut, dass Zeitungen Ungelernte ausbeuten und professionellen JournalistInnen die Arbeit wegnehmen. Als ich meinen Dienst quittieren wollte, bat mich die Kultur-Redaktionsleiterin der Südtiroler Tageszeitung Dolomiten, monatlich Kolumnen über Musik zu schreiben – zehn Jahre immer freitags blieb es dabei, wenngleich ich immer wieder aussteigen wollte, aber dann hätte es auch keine Musikkolumne mehr gegeben. Hier hatte mich wahrscheinlich doch auch der musikvermittlerische Drang gepackt, denn Kolumnen-Themen waren immer KomponistInnen, Musik in Verbindung mit tagespolitischen Themen, in kleinen Dosen zeitgenössische Musik. Irgendwann wollte ich endgültig nicht mehr, dann entstand zum Glück die Idee zu dem Buch. Bei der Radiosendung Querschnitte auf RAI Südtirol war ich anfangs allein, später kamen noch drei Südtiroler dazu, bis der damalige Intendant meinte, diese Musik sei zu brutal und interessiere niemanden. Jetzt nach einem Führungswechsel bin ich zu vier Sendungen im Jahr eingeladen und bin froh, auf diese Weise den kleinen Platz für die zeitgenössische Musik im Lokalradio erhalten zu können.
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at
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