Morgana Petrik

Ich muss nicht jedem gefallen
Morgana Petriks Handeln steht fundamental auf den zwei Beinen Selbstermächtigung und Selbstverständnis. Als langjährige Vorsitzende der ÖGZM hat sich die Komponistin in die Geschichte der österreichischen Gegenwartsmusik eingeschrieben, der Verein feiert heuer sein 75. Gründungsjubiläum mit zwei Konzerten im Mai. Eine Grabung nach der Person hinter einem großen Auftrag.
Es hat den Eindruck, Sie machen Nägel mit Köpfen: Sie haben die akademische Laufbahn mit einer Promotion abgeschlossen und sind zur selben Zeit im Jahre 2008 der ÖGZM beigetreten.
Genau, ich bin von der akademischen Feier mit dem Hut und der Rolle in der Hand direkt zur Vorstandssitzung der ÖGZM gegangen – das geschieht wohl eher selten. Durch meinen Vorvorgänger Prof. Dr. Werner Hackl wurden durch die ÖGZM meine ersten Aufführungen, beispielsweise die Todesfuge für Sängerensemble und Holzbläserquintett, realisiert – die ÖGZM ist ja eine Aufführungsgesellschaft. Auch vor meiner Leitung erschien sie mir immer schon wertvoll, und die Veranstaltertätigkeit ein potenziell spannendes Betätigungsfeld. Es war mir wichtig, an den Sitzungen und den Konzerten weitestgehend teilzunehmen.
Wie kamen Sie zur Neuen Musik?
Das war gar nicht von Anbeginn klar, denn ich wollte nach der Matura eigentlich Malerei studieren. Als sich das dann nicht erfüllte, entschied ich mich für ein Kompositionsstudium, weil mich das ebenfalls sehr interessierte. Zudem studierte ich an der Universität Wien Deutsche Philologie und Musikwissenschaften.
Ihr Auftritt als Komponistin ist lückenhaft, ich konnte nur kleine Splitter ihrer Stücke recherchieren.
Als Komponistin ist man oft nicht im Besitz der Rechte an den eigenen Stücken. Dadurch verschwinden sie zum Beispiel beim ORF oft auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen der Archive. Meine mangelnde Selbstvermarktung ist freilich kritikwürdig, meine Website seit einem Jahr „under construction“. Den ÖGZM-Mitgliedern empfehle ich stets, Wert auf Sichtbarkeit zu legen, und halte mich selbst nicht daran. Ich bräuchte selbst eine ÖGZM-Präsidentin, die mir ab und zu gut zuspricht und Motivationsschübe auslöst.
Das offenbart gleich einen Aspekt ihres Selbstverständnisses vom leitenden Amt der ÖGZM. Was hat sich in ihren mittlerweile dreizehn „Amtsjahren“ bewegt?
Zum einen hat die ÖGZM ein wesentlich größeres Budget als früher, was meiner ständigen Arbeit dahingehend geschuldet ist. Wir können daher spannendere und auch eine größere Zahl an Projekten realisieren. Die meisten Vereine unserer Art führen ausschließlich Werke ihrer Mitglieder auf und gehen bei der Programmierung von dem aus, was sie besetzen können. Ich versuche vor allem, die gelungensten Werke der ÖGZM-KomponistInnen zur Aufführung zu bringen – jene Stücke, mit denen sie am besten repräsentiert sind. Die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern ist daher das Um und Auf der ÖGZM. Dafür bin ich ständig auf der Suche nach Kollaborationen, wie die ÖGZM sie etwa seit Jahren mit dem Ensemble Zeitfluss oder dem Wiener Concert-Verein hat. Letzterer ist ein Kammerorchester, das einen Zyklus im Brahms-Saal hat, wodurch KomponistInnen der ÖGZM in den Genuss einer Aufführung Wiener Musikverein gelangen. Auch in Bregenz kommt Jahr für Jahr ein sehr interessiertes und aufgeschlossenes Publikum zu den beiden Sommerkonzerten des Wiener Concert-Vereins im Vorarlbergischen Landesmuseum. Und das Tiroler Kammerorchester InnStrumenti ist eine wahnsinnig spannende und humorvolle Formation, die mehr oder weniger in jedem musikalischen Genre aktiv und bewandert ist. Mit diesem Klangkörper ist stets ein fröhliches Schaffen. Die ÖGZM hat mit fast jedem Ensemble für Neue Musik zusammengearbeitet, ob es nun das Ensemble Wiener Collage oder das Ensemble Kontrapunkte ist. Sogar das Klangforum Wien war bereits Kooperationspartner.
Die ÖGZM ist also vor allem Ermöglicher und Plattform für das Schaffen gegenwärtiger Musik.
Viele Veranstalter, Festivals und Ensembles tendieren in eine bestimmte ästhetische Richtung. Klar, jeder hat eigene Vorlieben. Ich wollte aber ein breites ästhetisches Spektrum bieten, wie es unserem Leitbild entspricht und wie es auch mein Vorvorgänger Werner Hackl handhabte, ohne allerdings die dafür erforderlichen finanziellen Mittel zu haben. Aber man muss dabei natürlich kritisch bleiben und darf nicht alles als gleichwertig erachten.
Das Ensemble die reihe musste sich auch über ihre ersten Jahre vom Vorbild der Darmstädter Ferienkurse lösen.
Dazu muss aber gesagt werden, dass das1958 gegründete Ensemble die reihe die erste und längere Zeit hindurch die einzige Formation war, die diese Musik in Österreich zur Aufführung brachte. Das zeitgenössische Musikleben war hierzulande ja sehr konservativ. die reihe hat John Cage wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt prominent in Österreich aufgeführt. Erst nach und nach wurden im Gefolge der reihe weitere Spezialensembles für Neue Musik gegründet. Kurt Schwertsik und Friedrich Cerha hätten sich auch auf den Standpunkt stellen können, die reihe ausschließlich für die Aufführung der eigenen Werke herzunehmen, aber das haben sie nicht. Und das ist ihnen sehr zu danken.
Woraus schöpfen Sie denn Ihre Visionen? Gibt es da Blickrichtungen?
Das zeitgenössische Musikschaffen ist sehr vielschichtig, und jeder Veranstalter setzt seine ästhetischen und sonstigen Schwerpunkte. Die Kooperationen sind und waren – ich kann es nicht genug betonen – das Wichtigste. Sie funktionieren dann, wenn man eine Win-Win-Situation schafft. Gemeinsam kann man mehr erreichen und man hat ganz andere budgetäre Möglichkeiten. Ensembles, mit denen wir zusammengearbeitet haben, lernten durch uns ihnen vorher unbekannte KomponistInnen kennen und umgekehrt. Meine Vision für die ÖGZM war stets, mehr zu sein als ein kleiner Verein, der nur seine Mitglieder bedient. Sie sollte spannende Konzerte und Programmschienen kreieren, und talentierten, insbesondere noch jungen KomponistInnen eine Bühne bieten.
Ist die ÖGZM neben der IGNM die größte Plattform für Neue Musik in Österreich?
Das würde ich schon sagen, denn die Austrian Composers, vormals Österreichischer Komponistenbund, sind in erster Linie eine Interessenvertretung. Die ÖGZM widmet sich hauptsächlich der Förderung und Verbreitung des vielschichtigen österreichischen Gegenwartsmusikschaffens, aber auch der Realisation wichtiger Werke aus anderen Ländern in Wien bzw. Österreich.
Sind da auch österreichische InterpretInnen mitgemeint? IntendantInnen von Festivals zeitgenössischer Musik beriefen sich während der Pandemie deutlicher auf lokale KünstlerInnen, was den Fokus deutlich auf das zeitgenössische Musikgeschehen im Land verschob.
Das ist mir so nicht aufgefallen. Alle Kulturinstitutionen haben versucht, mit dieser präzedenzlosen Situation fertig zu werden. Wie viele andere haben wir Konzerte ohne Publikum veranstaltet bzw. trotz aller Hürden die behördlichen Maßnahmen für Veranstaltungen umgesetzt. Die österreichischen KünstlerInnen wurden nach der anfänglichen Verwirrung wirklich hilfreich unterstützt, das war vorbildlich für andere Länder. Es gab Corona-Hilfen vom Künstlersozialversicherungsfonds der SVS, vom Bund, den Gebietskörperschaften und der AKM. Man muss nicht immer nur Kritik üben. Es gibt auch Gutes zu erwähnen in der österreichischen Kulturpolitik. Gerade im Vergleich mit anderen Industrienationen.
Reinhard Kager kuratierte zu der Zeit die Klangspuren Schwaz und sprach von der durch die Reiseverbote notwendigen Umorientierung auf österreichische InterpretInnen und Formationen. Es war verbunden mit einem dankbaren Erstaunen über die dadurch sichtbar werdende hiesige Szene.
Das ist sicherlich vom Festival abhängig. Ich bin der Meinung, dass eine gute Festivalprogrammierung eine gelungene Mischung internationaler und österreichischer KünsterInnen darstellt und sehe das bei Festivals wie wien modern, dem ORF Musikprotokoll oder auch den Aspekten Salzburg umgesetzt. Schon allein die Förderungsrichtlinien der Gebietskörperschaften machen es zur Bedingung, lokale KünstlerInnen einzuladen, und das ist auch gut so. Wenn ich mir Kritik erlauben darf, würde ich auf die häufig mangelnde eigene Vision gerade bei den Festivals Neuer Musik hinweisen. Die Intendanz schielt oft nach dem Zeitgeist, in dessen Natur es liegt, dass man ihn nicht einholen kann, anstatt eigene Initiative zu zeigen und vielversprechende, aber noch weniger bekannte KomponistInnen vorzustellen … was Kennern der Gegenwartsmusik natürlich negativ auffällt.
Es geht Ihnen um das Vergegenwärtigen aktueller Musik.
FestivalintendantInnen haben meiner Meinung nach die Pflicht, Partituren zu studieren und spannende Stücke zu programmieren, anstatt gerade „in Mode befindlichen“ Komponisten – und ich verwende hier bewusst kein Binnen-I – regelmäßig hoch dotierte Kompositionsaufträge zu erteilen.
Es braucht dieses Bewusstsein bei Menschen, die diese Entscheidungen treffen können, um den unmittelbaren Gesetzmäßigkeiten von Medienpräsenz nicht zu erliegen.
Die Medien fokussieren auf die jeweiligen Berühmtheiten und blenden quasi alles andere aus. So etwa schien es lange Zeit über so, als würde es keine andere Sopranistin als Anna Netrebko geben. Was die Gegenwartsmusik betrifft, so interessiert sich die Presse bestenfalls für die Eröffnungskonzerte der wichtigsten Festivals oder für Opernpremieren. Konzertrezensionen gehen, so solche überhaupt erscheinen bzw. ein Kritiker die Vorstellung besucht hat, selten über die Aufzählungen von Namen und Werktiteln respektive den Inhalt des Programmhefts hinaus. Und im Rundfunk ist das zeitgenössische Konzert- und Musiktheatergeschehen de facto überhaupt nicht präsent.
Sie sagten bei Ö1: „Ganz oft werden Besucher von Konzerten Neuer Musik im Regen stehen gelassen.“ – Was würden Sie dem gern entgegensetzen?
Optimal sind Konzertsituationen, in denen die KomponistInnen selbst über ihre Stücke sprechen, weil ein Nichtkenner-Publikum wie bei abstrakten Gemälden oft glaubt, es wäre eine Art Rätsel, dass gelöst werden oder es gäbe eine Botschaft, die verstanden werden müsse. Wenn KomponistInnen erzählen, wie sie zu ihrem Stück gekommen sind, was sie dazu inspiriert hat, geht ein erleichtertes Aufatmen durch die Reihen, und das Publikum beginnt, auf eine ganz andere Art und Weise zuzuhören.
Theoretisch könnte dasselbe für das klassische Repertoire auch gelten: selten weiß einer, warum die eine oder andere Sinfonie oder Sonate geschrieben wurde.
Renommierte Häuser wie der Wiener Musikverein oder das Wiener Konzerthaus bieten in ihren Programmheften musikwissenschaftliche Texte zu biografischen wie auch analytischen Aspekten. Bei der Neuen Musik ist die Forschung noch nicht auf diesem Wissensstand, denn ein Kanon bildet sich langsam und vor allem retrospektiv. Als ich Musikwissenschaft studierte, gab es das Forschungsgebiet Neue Musik noch nicht. Mittlerweile gibt es dankenswerterweise seriöse Forschungsarbeiten zur zeitgenössischen Musik.
Das berührt die Frage des Arbeitsmarktes für Neue Musik, der ja zunehmend magerer ausfällt.
Es gibt das Tätigkeitsfeld der MusikvermittlerInnen, die sich seriös und wissenschaftlich mit ihrem Fach auseinandersetzen und in Schulen und anderen Bereichen agieren. Aber auch die Musik des 19. und 20. Jahrhunderts wird man demnächst vermitteln müssen, weil immer weniger Kinder diese zuhause kennenlernen.
Sie sind Präsidentin der ÖGZM und waren Vizepräsidentin des Österreichischen Komponistenbundes (ÖKB), aber Sie sind auch selbst Komponistin. Wie vermögen Sie es, Ihre verschiedenen Funktionen auszubauen, aber auch gegenseitig abzugrenzen? Sie sind ja immer in mindestens zwei Rollen unterwegs …
Eigentlich leidet die Kompositionstätigkeit enorm unter meiner kuratorischen, aber vor allem organisatorischen Arbeit. Die ÖGZM bräuchte eine Vollzeitkraft, unterstützt von den Vorstandsmitgliedern, für all das, was sie an Programmen und Veranstaltungen durchführt. Aber dann würde ein Großteil unseres Budgets für Lohnkosten aufgewendet. Selbst der Lohn einer Teilzeitkraft belastet das Budget signifikant.
Gibt es denn nicht einen unterstützenden Vorstandsstab?
Sicher, aber nicht alle leben in Wien, was eine Mitarbeit vor Ort oft schwierig macht. Aber gerade zwei der auswärtigen Vorstandsmitglieder sind ausgesprochen wichtige Stützen für die ÖGZM. Unser „Jahreskreis“ beginnt mit der internen Abrechnung einschließlich der Kassenprüfung, ferner der Abrechnung mit dem wichtigsten Fördergeber und der Abfassung des Förderantrags für das soeben begonnene Jahr. Im Februar bzw. März findet die Generalversammlung statt, zu der müssen alle Mitglieder eingeladen werden, und alle Berichte zum Vorjahr und die Pläne für das laufende Jahr vorliegen. Erst dann kann man sich mit der Detailplanung der Konzerte befassen. Bald darauf sind die Abrechnungen mit den übrigen Förderern fällig. Mitte und Ende Oktober sind die Förderungsanträge an die Öffentliche Hand für das Folgejahr einzureichen. Bis zu dem Zeitpunkt muss also auch der grobe Fahrplan fürs kommende Jahr stehen. Eine verantwortungsvolle Führung des Vereins erfordert große Disziplin, man steht ja im Wort mit Ensembles, KomponistInnen, InterpretInnen und Spielstätten. Folglich bleibt sehr wenig Zeit für das eigene Schaffen. Deswegen befinde ich mich jetzt auch in meiner letzten Wahlperiode, im ersten Jahresquartal 2026 muss die ÖGZM einen neuen Vorsitzenden wählen. Ich will auch wieder ungestört komponieren. Mein letztes Stück al niente, das das Ensemble Zeitfluss am 11.3. im Großen Minoritensaal in Graz aufgeführt hat, konnte nur entstehen, weil ich die Vereinsangelegenheiten, abgesehen von den dringlichsten Erfordernissen, ausnahmsweise einmal konsequent ignoriert habe.
Das fragmentierte Arbeiten findet Eingang in Ihr Schaffen.
Das will ich eigentlich nicht. Ich kann entweder Komponistin oder Konzertmanagerin sein, beides gleichzeitig funktioniert nicht. Auf das Komponieren muss ich mich vollkommen einlassen, sonst entsteht nichts Brauchbares. Mein „Manager-Hirn“ hat keine kompositorischen Einfälle, und die Komponistin in mir kann mitunter sehr alltagsuntauglich sein.
Stichwort: Fairpay. Das wird Ihr letzter Streich bei der ÖGZM?
Nach jahrelanger Arbeit von Kulturrat, ÖMR und dessen neuer Präsidentin Eva-Maria Bauer wurde neulich die Fairpay-Initiative ins Leben gerufen.Im kürzlich neu aufgelegten Fairpay-Folder gibt es für Angestellte und Selbständige im Kulturbereich Gehalts- bzw. Honorarempfehlungen. Ich finde es fantastisch, dass da ein guter Teil der österreichischen Gebietskörperschaften bereits mitmacht und hoffe inständig, dass die restlichen Bundesländer diese ebenfalls bald implementieren. Einer meiner letzten wirklichen Dienste an der KomponistInnenlandschaft wird sein, mich dafür einzusetzen. Es muss „unmoralisch“ werden, KomponistInnen für Neue Werke nicht zu bezahlen. Wir haben diesen Uraufführungswahn, als ob neue Stücke in irgendeiner Weise interessanter wären als ältere. Bisher wurde bzw. wird von KomponistInnen, die noch keine internationalen Größen sind, erwartet, Stücke gratis zu schreiben bzw. sich selbst um die Beantragung von Fördermitteln zu kümmern. Veranstalter, die das nicht möchten oder können, sollen dann eben bereits bestehende Stücke auf das Programm setzen. Ich bin mir als Präsidentin der ÖGZM jedenfalls stets schäbig dabei vorgekommen, bloß Aufführungsbestätigungen auszustellen, mittels derer die KomponistInnen sich um die Finanzierung ihrer Arbeit kümmern sollten. Es wird Zeit für ein entsprechendes Umdenken bei Veranstaltern, vor allem aber auch bei deren Fördergebern.
Werke werden zu Wegwerfkompositionen, wenn es sich immer nur um Uraufführungsgesten handelt. Das ist weder im Sinne einer Repertoirebildung noch energetisch sinnvoll: bloßes Produzieren, ohne das Entstandene auszuformulieren, auszudeklinieren, auszuprobieren in verschiedenen Räumen, Kontexten oder Anlässen.
Jeder Komponist hat Stücke „in der Schublade“ liegen, die nur einmal aufgeführt worden sind, weil die Besetzungsvorgaben ausgesprochen idiotisch waren. Dagegen kämpfe ich entschieden. Wenn schon für exotische Instrumente oder Besetzungen komponiert werden soll, dann bitte nicht im Rahmen eines Wettbewerbs, sondern im Kontext mit dotierten Kompositionsaufträgen. Das steht auch einer Repertoirebildung stark im Weg..
Sie brennen für das Ganze, aber Ihre Komponistinnenseele ist die Grundlage dafür. Worauf fußt denn Ihr wirtschaftliches Können, das Sie in der ÖGZM so sehr unter Beweis gestellt haben?
Mein Vorgänger Christian Heindl hat die seinerzeit zu große Zahl an ÖGZM-Konzerten reduziert, wodurch es möglich wurde, den MusikerInnen bessere Gagen zahlen zu können. Dieses Organisieren und Kuratieren ist eine Begabung, aber ich musste selbstverständlich trotzdem viel lernen. Im ÖGZM-Vorstand gab und gibt es stets ausgezeichnete Kenner der Materie und der Szene. Norbert Sterk beispielsweise, der fast genauso lang Vorstandsmitglied ist wie ich, hat einen weitreichenden und gleichzeitig detaillierten Überblick über das aktuelle Musikschaffen, auch über die Bundesgrenzen hinaus. Als Experten für elektroakustische Musik, für die wir seit 2017 eine eigene Konzertreihe haben, da diese lange keine institutionelle Heimat hatte, haben wir Daniel Mayer in den Vorstand berufen, der am IEM unterrichtet und selbst algorithmisch komponiert. Die Vorstände sollten nicht öfter in den Programmen der ÖGZM vertreten sein als andere Mitglieder, was auch der Fall war, als Komponisten wie Roland Freisitzer oder Bernd Richard Deutsch Teil des Vorstandes waren. Jeglicher Nepotismus, der auch bei gemeinnützigen Organisationen mitunter leider anzutreffen ist, ist mir zuwider. Und wo vorhanden wird dieser von den Mitgliedern der betreffenden Organisation sehr wohl bemerkt, wiewohl vielleicht nicht offen darüber gesprochen wird.
Die ÖGZM hat ja aber auch eine Geschichte …
Ja, die ÖGZM war diesbezüglich leider keine Ausnahme. Das änderte sich, als erstmals ein Präsident den Vorsitz übernahm, der nicht auch selbst Komponist war.
Sie sind auch Komponistin. Mit deutlicher Haltung. Wie befruchtet sich das gegenseitig?
Die Komponistin hat das kritische Auge und das kritische Ohr für Qualität, jenseits von Sympathie und Antipathie. Wie meine kuratorischen und kompositorischen Tätigkeiten aufeinander wirken, habe ich im November 2018 im Rahmen zweier Vorträge an der Jerusalem Academy of Music and Dance dargestellt. Der Besuch vieler Konzerte bringt es mit sich, dass man einen guten Überblick über das aktuelle Kompositionsgeschehen gewinnt. Dabei wird einem aber auch bewusst, dass niemand eine Insel ist, auch Musikschaffende nicht. Selbstverständlich inspirieren einen die Schöpfungen anderer Musiker und Künstler, sonst gäbe es keinen Zeitstil, der ‒ auch länderübergreifend ‒ stets mit dem Personalstil korrespondiert. Das sei all jenen, die sich über kulturelle Aneignung echauffieren, ins Stammbuch geschrieben. Durch die ÖGZM habe ich auch Zugriff auf eine große Menge an Partituren, die durchzublättern und zu analysieren oft sehr interessant ist.
Sie waren bei der Stadt Wien für die Kompositionsförderungen und Preise im Beirat …
Dieser Beirat wurde erst unter Kulturstadträtin Mag. Kaup-Hasler ins Leben gerufen. Hinsichtlich der personellen Zusammensetzung des ersten Beirats hat Alexander Kukelka, der damals Präsident des ÖKB war, die Stadt Wien respektive die zuständige Sektion beraten. Mir war es da einfach sehr wichtig, in dieser wirklich tollen Jury für neu aufgestellten und weit höher als bisher dotierten Kompositionsförderungen mitzuarbeiten.
Ihr Werk umfasst Chorwerke, Solostücke, Kammermusik, auch Orchesterwerke … eine große Vielfalt. Und Ihre Aussage: „Der richtige Text für eine Vertonung ist wie Erz, aus dem man die schlummernde Musik schon heraus hören kann.“, weist auf Ihr Studienfach Philologie, das in Ihr Komponieren mit einfließt?
Mein Werkverzeichnis enthält Stücke beinahe aller Gattungen, aber jeweils nur wenige, und das soll sich ändern, wenn ich jetzt den Vorsitz abgebe. Ohne Literatur wäre mir das Leben unerträglich, sie ist die Kunst, die am ehesten die Welt, also das Denken einer größeren Zahl an Menschen, verändern kann. Beim Komponieren geht es vor allem darum, einmal zu einem zündenden Gedanken, dem „Prometheusfunken“ zu kommen, und diesen dann zu entwickeln, vor allem aber auch das Mittelmäßige oder Schlechte radikal zu entfernen.
Sie waren auch Mitglied im Ensemble Trollferd?
Das war eher eine Band als ein Ensemble und seit 2017 bin ich nicht mehr Mitglied. Die Zusammenarbeit war sehr lustig. Wir spielten Mittelalter- und Renaissancemusik, die ich für die Besetzungsmöglichkeiten der Band arrangiert habe – darunter auch Kuriositäten wie etwa das Sanctus aus der Deutschen Messe D 872 von Franz Schubert für zwei Dudelsäcke, Schlagwerk, Portativorgel und Bassdulzian.
Es braucht viel Kraft, das große Ganze zu entwickeln, dabei den Fokus zu behalten und nicht auszubrennen. Sich im Schaffen für andere zu verlieren, ist ein vorwiegend weibliches Risiko. Was entgegnen Sie diesem? Wie schützen Sie sich?
Als ich 2011 begonnen habe, war ich die einzige Frau an der Spitze einer KomponistInnen-Organisation, und ich war mit Sicherheit die erste Vizepräsidentin des ÖKB, wenn nicht sogar dessen erstes weibliches Vorstandsmitglied. Auch unter den Mitgliedern beider Verbände befanden sich damals noch weit weniger Komponistinnen als heute. Inzwischen hat sich das Geschlechterverhältnis umgekehrt. Als ich etwa 2011 infolge der ÖGZM-Präsidentschaft auch zum Österreichischen Musikrat (ÖMR) kam, war die Mehrzahl der Vorstandsmitglieder männlich. Heute ist es umgekehrt, und der ÖMR hat seit Ende Februar eine Präsidentin. Ich habe aber in der frühen Phase meiner Präsidentschaft auch Situationen erlebt, in denen ich bei einer Besprechung zugunsten eines männlichen Kollegen de facto ignoriert wurde.
Hat Sie das zur Feministin werden lassen?
Ich bin ziemlich durchsetzungsfähig und kann auch recht aggressiv werden, wenn es erforderlich ist. Ich habe während meines Studiums nie die Erfahrung einer Diskriminierung aufgrund meines Geschlechts gemacht und so es doch solche Momente gab, habe ich mich dagegen zur Wehr gesetzt. Ich brauchte keinen Genderbeauftragten, der zu meiner Verteidigung antrat. „Gender“ war im Übrigen damals zwar schon ein Thema, aber noch kein den Diskurs beherrschendes – ich bin ein „natural born feminist“ und dabei lediglich im Besitz eines gesunden Gerechtigkeitsgefühls. Ich halte wenig von „Frauenkonzerten“, weil solche Aktionen nur zu Segregation führen – also dem, was der ursprünglichen Idee nach eigentlich vermieden werden sollte. Ich bin auch keine Freundin jener Strömung des Feminismus, der Frauen kollektiv zu Opfern „toxischer Männlichkeit“ deklariert. Es hat sich ein Identitätswahn in Hinblick auf Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit etc. entwickelt, der den liberalen Ideen des Individualismus und der Gleichheit – im Sinne von gleichen Rechten und gleichen Pflichten – gänzlich zuwiderläuft. Ich finde das wirklich furchtbar. Es gibt diesbezüglich auch in der Musikszene eine Art vorauseilenden Gehorsam, den ich äußerst problematisch finde.
Unfassbar, wie Geschichte mäandern kann. Nicht fortschreitende Entwicklung, sondern abwechselnd Innovation/Renovation/Restauration/Regression.
Wenn man sich mit den herrschenden Zuständen nicht abfinden will, muss man das auch öffentlich sehr klar formulieren. Es gilt aber auch, weiterzudenken, Verbündete zu finden und zu handeln, und nicht bloß zu jammern und zu kritisieren. Ich bin ein großer Umweltschützer, fahre Zug und Fahrrad und habe letzten Winter meine Wohnung nicht geheizt, damit zumindest mein Geld nicht den russischen Krieg gegen die Ukraine finanziert. Der Grimm hat mich warm gehalten. Teilweise bin ich dann eben auch radikal. So etwa würde ich gern den Individualverkehr in Städten mit gut ausgebautem Öffentlichem Verkehrsnetz abschaffen. Das ist aber Aufgabe der Politiker, diese sollten dafür nicht KünstlerInnen oder deren Organisationen einsetzen. Beide werden von der Politik nämlich gern als Sprachrohre für gewünschte gesellschaftliche Verhaltensänderungen eingesetzt, was den Vorteil bietet, dass man sich als Politiker nicht selbst dem Zorn derer aussetzen muss, die ihr Verhalten nicht in der gewünschten Weise ändern wollen. Sicher sind das unbequeme Aussagen. Aber ich muss nicht jedem gefallen.
Sie haben früh gelernt, Widerstände zu überwinden. Wie ist das gelungen?
Indem man Entschlossenheit zeigt, auch sich selbst gegenüber, und lernt, „nein“ zu sagen, wenn es notwendig ist, selbst gegenüber prominenten oder einflussreichen Personen. Indem man die Elefanten im Raum und generell Probleme anspricht, selbst auf die Gefahr hin, sich unbeliebt zu machen.
Soviel radikale Aussage könnten Sie als bloße Komponistin wahrscheinlich nicht tätigen …
Doch, aber sie würde vermutlich nicht in einem Interview erscheinen.
Nadja Kayali, Intendantin des Carinthischen Sommer, sprach erst kürzlich von Fenstern, die sich einem im Leben manchmal auch nur kurz öffnen. An deren Rahmen enden dann manche Phasen.
Richtig. Mir war und ist es wichtig,unterschiedliche Interessen- und Betätigungsfelder zu haben. Es sind meistens etwa zehn Jahre, die ich mich mit einer Sache, die mir wichtig ist, auseinandersetze. Sobald ich den ÖGZM-Vorsitz abgegeben habe, soll Komponieren mein Hauptbetätigungsfeld werden. habe nur ein Leben, und ich werde nicht jünger. Ich denke auch, dass die ÖGZM erreicht hat, was eine Organisation dieser Größenordnung erreichen kann.
Wie kamen Sie zur Neuen Musik?
Wenn man seriös komponieren will, so muss man das in einer heutigen Tonsprache tun. Alles andere wären Nachschöpfungen oder Stilkopien. Diese können einem Lernzweck oder der geistvollen Unterhaltung dienen, für die Kultur aber sind sie irrelevant. Dies trifft auch auf Stücke zu, die von Künstlichen Intelligenzen produziert wurden.
„Komponieren wie“ kann mittlerweile ein Automat.
Ja, aber nicht gut: Bei den gelungenen KI-generierten Stücken haben, wie man hört, die komponierenden Programmierer nachgeholfen.
Beruhigende Aussage zur befürchteten Bedrohung durch die KI.
Ich finde es schwer abzuschätzen, was da passieren wird. Aber gerade das Live-Erlebnis, das physische Zusammensein aktiven Musizierenden wird, solange es Menschen gibt, niemals seinen Reiz verlieren.
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at
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