Wojtek Blecharz
Ich bin ein Klangarbeiter
Wojtek Blecharz ergründet das Zusammenspiel von Zeit und Raum und verbindet dabei virtuos und zwanglos benachbarte Felder wie Klangskulptur, Performance, Klanginstallation und Konzert. In seinen komplexen musiktheatralen Werken verarbeitet der Komponist Spezifika von Aufführungsorten, bearbeitet den Stoff von Erzählungen und erarbeitet Aufführungsweisen, die Berührung in den Tiefenschichten menschlicher Emotionen ermöglichen. Seine Park-Oper – eine Art Open-Air-Hörerlebnis-Parcours – gibt es dieses Jahr im Juli beim Carinthischen Sommer zu erleben.
Wie passt die hochkünstliche Aura von Oper in die Natur?
Park-Oper ist meine zweite Oper-Installation für die Nationaloper in Warschau. Ich sollte zwar eine Oper schreiben, wusste aber von Beginn an, dass ich keinen Text in Bezug zu Musik setzen, kein traditionelles Libretto und eine lineare Handlung erzählen wollte. Das ist meiner Meinung nach etwas überholt und zu kunstvoll für zeitgenössische Oper. Mich spricht diese Art, über Operngesang mit Menschen zu kommunizieren, überhaupt nicht an. Und ich denke, dass Popmusik dafür besser geeignet ist. Andererseits fasziniert mich Oper als hochgradig experimentelles, verrücktes und interdisziplinäres Genre. Diese musikalische Gattung ermöglichte durch das Kombinieren verschiedener Kunstfelder komplett neuartige Ausdrucksformen. Die Entwicklung des Rezitativ-Stils hob die Erzählung in der Opera Seria zu einem konstitutiven Element und wurde als die höchste Form des europäischen Theaters betrachtet. Aber im Jahr 2024 ist Dichtung im Bezug zur Musik nicht die relevanteste Art, das Hier und Jetzt zu reflektieren. Ich fand konzeptuellere Zugänge, Erlebnismöglichkeiten zu schaffen. Installationskunst öffnet den Erfahrungsraum auf andere Weise, schafft verschiedenartige Beziehungen zwischen dem Publikum und dem Raum, dem Objekt, dem Klang. Im Italienischen meint „opera“ arbeiten und so verstehe ich Oper als Arbeit mit Klang, durch Klang und um Klang herum. Ein Libretto kann ein Konzept, ein Thema, eine Situation sein, das durch Klang erarbeitet und irgendwo „installiert“ wird. In der Park-Oper ist die Arbeit mit Klang in einem Park oder einem Wald einzurichten, weil sie davon handelt, wie wir Natur hören, wie wir uns in unsere Umgebung einhören, wie wir unsere Ohren öffnen, wie wir ganz Ohren werden.
Und wie funktioniert dies speziell für den Carinthischen Sommer?
Park-Oper ist ein Soundwalk bestehend aus verschiedenen Akten, die entsprechende Elemente wie Ballett, Arie, Rezitativ und Bühnenbild enthalten. Sie sind modular komponiert und werden für die Erfahrung der jeweiligen Umgebung entsprechend adaptiert – in diesem Fall für die zauberhafte Insel im Faaker See bei Villach. Als ich diese Insel letztes Jahr kennenlernte, wurde mir klar, dass sie selbst das Libretto für ihre Version der Park-Oper darstellt. Die Insel führt einen und lädt zu Erkundungen auf dem Weg rund um die Insel ein. Der Umriss dieser Insel hat die Form eines Ohrs, sodass es aussieht, als laufe man entlang der Helix und lande direkt in der Mitte dieses Ohres, als ginge man genau ins Zentrum des Hörens.
Werden diese Elemente für jeden einzelnen Ort jedes Mal neu geschrieben?
Manche sind neu, manche bestehen bereits. Park-Oper fordert das Publikum auch auf, einzelne Teile der Oper selbst zu erschaffen. Beispielsweise ist der Chor der Hüttensänger ein soziales Projekt für Kinder. Dafür wird es einen Waldspaziergang mit einem Ornithologen geben, um die Vögel dieser Insel zu entdecken. Anschließend können Bilder von Vögeln aus der Vorstellungswelt gemalt werden, um danach in einer Recording Session die Töne solcher Fantasievögel zu entwickeln. Daraus erschaffe ich wiederum eine Soundinstallation, die dann an einer bestimmten Stelle des Soundwalks zu finden sein wird. Die Reihenfolge dieser „Akte“ stellt die Erzählung meiner Oper dar. Sie ist immer verschieden, landschaftsbezogen und an der Geräuschkulisse der Umgebung orientiert.
Ist das Sehen durch die Ohren das immanente Anliegen dieses Werks?
Klang spielt die Hauptrolle in dieser Oper. Es gibt einen Akt in der Park-Oper, in der verschiedene Objekte ans Ohr gehalten werden können, ich nenne sie „Klang-Operngläser“. Es ist erstaunlich, wie verschiedene Objekte, beispielsweise ein langes Glasrohr, ans Ohr gehalten Frequenzen hörbar machen, die uns normalerweise entgehen. Wir können den Hörvorgang beeinflussen, filtern und komponieren, indem wir unsere Ohren „verlängern“. Es gibt diese Phrase: „Ich bin ganz Ohr“ im Deutschen, im Polnischen sagt man: „Ich drehe mich ins Hören“ – ich liebe beide Redeweisen. Für die Aufführung in Warschau lud ich einen lokalen Künstler ein, ein Graffiti „Ich bin ganz Ohr“ zu sprühen. In Rümlingen in der Schweiz gestalteten Kinder in einem Kunstworkshop ein Banner mit diesem Satz, der später dann versteckt zwischen den Bäumen hing. Auch auf der Faaker Insel möchte ich die Zuhörer auf diese Art zum Mitgestalten der Oper anregen.
Während Peter Ablinger mit Arboretum eine Landschaftsoper geschaffen hat, beschreibt die Komposition der Park-Oper nicht das Setting von, sondern die Bewegung durch Landschaft.
Genau. Die Eröffnung wird die Ouvertüre, interpretiert vom Platypus Ensemble gleich beim Betreten der Insel sein. Entgegen dem Original wird es kein Stück für Blechbläser, sondern für Violine, Flöte, Klarinette und Viola sein. Und dann läuft man weiter, man braucht keine Landkarte, die Insel führt einen. Es ist sehr schwierig, sich darauf zu verirren. Und sollte es dennoch passieren, ist das vollkommen in Ordnung: Jeder absolviert Stationen seines ganz eigenen Weges. Zuerst wird die Ouvertüre zu sehen sein, dann kann man den Chor hören oder eine Arie – aber ich will nicht zuviel spoilern.
Wie ist die Idee zur Park-Oper entstanden? Welche Verbindung hast du zur Natur, zu Wald?
Das Theater Powszechny in Warschau beauftragte mich, etwas leichter Zugängliches für das lokale Publikum und das des benachbarten Stadtteils Praga zu entwickeln. Obwohl es total zentral gelegen ist, gehörte Praga lange Zeit zu den eher dubiosen und vernachlässigten Vierteln Warschaus. Es ist aber auch sehr authentisch und hat einen einzigartigen Charme. Neben besagtem Theater befindet sich ein wunderschöner Park, der mich dazu inspirierte, mit meiner Arbeit nicht nur raus in die Natur zu gehen, sondern auch in einen gemeinschaftlichen Raum, der für jedermann zugänglich ist. Dieser Park ist von Zug- und Straßenlärm umgeben, der sich mit Naturgeräuschen mischt, je tiefer man in den Park hineingeht. Ich wünschte, es würde häufiger in Parks gearbeitet, sodass die Natur zum Büro wird, oder zum Theater, das man für Proben besucht. Als Kind lebte ich sehr naturverbunden, versteckte mich ständig hinter Büschen und auf Weiden. Ich wusste sehr früh von meiner Homosexualität und suchte vor schikanierenden Gleichaltrigen oft Zuflucht in der Natur. Sie gab mir Sicherheit, Geborgenheit. Ich beobachtete Vögel und wusste, welche Pflanzen ich essen konnte. Ich wünschte mir, im Wald leben zu können – das ist auch heute noch mein Traum.
Du sagtest in einem Interview: „Jeder Komponist sollte Zugang zu einer kleinen Waldfläche haben. Das verändert alles …“ – Bist du ein Klanggärtner? Was ist Klang für dich?
Okay, jeder Mensch sollte seinen kleinen Garten haben. Für meinen PhD lebte ich sechs Jahre in Kalifornien und hatte dort so einen kleinen Garten direkt am Haus. Man musste einfach die Tür öffnen, sich an den Kolibris erfreuen und den Duft der Eukalyptusbäume am Morgen atmen. Das macht einen besseren Menschen aus dir. Gartenarbeit erdet ja auch, lässt einen sicher fühlen und in Verbindung mit sich selbst kommen.
Letztes Jahr gab es die Uraufführung meiner 3. Sinfonie für 200 kabellose Lautsprecher bei den Donaueschinger Musiktagen. Diese kleinen Lautsprecher brachte ich einen nach dem anderen sehr sorgfältig auf den Boden des Konzertraumes als würde ich kleine Samen pflanzen. Ich stellte mir vor, dass ich Schritt für Schritt, Lautsprecher für Lautsprecher eine kleine Wurzelstruktur anlegte, oder ein Rhizom, bestehend aus diesen kleinen Lautsprechern. Dieser Vorgang brauchte Zeit, weil jeder Lautsprecher auch von Hand eingeschalten wird. Wie in einem wachsenden Garten die Pflanzen gehegt und gepflegt werden, entstand so mein Klanggarten. Etwas Ähnliches entwickelte ich in meinem Klavierkonzert für Rei Nakamura, welches bei den Darmstädter Ferienkursen 2023 seine Uraufführung fand. Wenn ich diese Stücke performe und mit den Lautsprechern durch den Raum gehe, fühle ich mich wie ein Gärtner, der durch seine Pflanzen schreitet und ihnen beim Wachsen zusieht.
Welche Struktur findest du für diese 200 Lautsprecher im Raum? Und warum ändert sich die Zahl dann auf 220?
Ich wollte einfach so viele Lautsprecher wie möglich und in Darmstadt reichte das Geld eben einfach für 20 Lautsprecher mehr. Es gibt aber auch schon eine Tradition für Orchester, die aus verschiedenen Objekten bzw. Instrumenten zusammengesetzt sind: Poème symphonique mit 100 Metronomen von György Ligeti zum Beispiel, oder Poème électronique für ca. 350 Lautsprecher von Iannis Xenakis. Und nicht zu vergessen Gustav Mahlers Sinfonie der Tausend. Die Arbeit mit Sinfonieorchestern kann ziemlich schwierig und problematisch sein. Komponisten bekommen meist nur wenig Zeit, mit dem Orchester zu proben, und haben oft mit vielen persönlichen Befindlichkeiten bis hin zu Feindseligkeiten von sowohl den OrchestermusikerInnen als auch dem Dirigenten umzugehen. Orchester ziehen es gern vor, mit toten und männlichen Komponisten zu arbeiten – sie geraten so gern zu „Klangmuseen“. Fairerweise muss ich aber hinzufügen, dass ich auch großartige Erfahrungen mit Orchestern machen durfte, wie zum Beispiel im vorigen Jahr mit dem polnischen Radiosinfonieorchester in Katowice und meinem Stück Filed 8.Elixier für Orchester in zehn Gruppen und gehendes Publikum. Für die Musiker ein herausfordernder Prozess, denn sie waren in zehn Gruppen an zehn verschiedenen Stellen in einem riesigen Foyer aufgeteilt und mussten ohne Dirigent spielen. Zunächst waren da viele Ängste und einige Widerstände, aber am Ende glaubten die meisten an mein Konzept und spielten ein großartiges Konzert.
Die große Zahl an Lautsprechern steht für ein großes Orchester?
In meiner 3. Sinfonie ersetzte ich Menschen durch kleine elektronische Geräte, weil das so auch in unser aller täglichen Leben stattfindet. Wir nutzen mehr und mehr Technologien und um mit Pauline Oliveros zu sprechen: „Wir sind auf dem Weg, silikone Wesen zu werden, wir transformieren von Kohlenstoff-basierten zu Silikon-basierten Wesen.“ Die Maschinen leisten uns zunehmend Gesellschaft, werden zu Verlängerungen unserer Körper, helfen uns im täglichen Leben auf so viele verschiedene Arten. Darum verwendete ich simple, kabellose Lautsprecher anstatt teurer High-End Soundsysteme: Ich wollte ein täglich gebrauchtes Gerät mit Wiedererkennungswert, also 200 tragbare Klangquellen, die in Rhizomen, Linien, Clustern, Kreisen angeordnet werden können. Die Partitur des dritten Satzes der Sinfonie ist grafisch als Abbild eines Baumes notiert. Oder als weitverzweigtes Wurzelwerk, wenn man die Partitur auf den Kopf dreht und in entgegengesetzter Richtung spielt. Die Lautsprecher spielen in der Sinfonie oft dasselbe Klangfragment mit einer leichten Verschiebung, weil die Lautsprecher nicht synchronisiert sind. Große Orchester suchen ganz im Gegensatz dazu maximale Synchronisation, in der Regel patriarchal organisiert und geführt. Mein Orchester ist wie ein Garten: wild, rhizomatisch und voller Mikroverschiebungen. Das Gegenteil zu einer patriarchalen Figur ist der Gärtner, der sich um den Garten und die Pflanzen darin kümmert, ihnen hilft, zu wachsen. Einen Garten kann man nicht führen oder kommandieren, Vielfalt spielt darin eine erhebliche Rolle. Spielt diese Vielzahl an Lautsprechern in der Sinfonie dieselbe Musik, wird dasselbe Element ungeheuer vervielfacht – eine sehr dichte, mikropolyphone Textur entsteht. Natürlich ist dies inspiriert von großen Orchesterwerken eines Iannis Xenakis oder György Ligeti. Aber auch von Andy Warhol, der dasselbe Bild vielfach kopierte und multiplizierte. Zudem lässt sich eine Referenz zu Walter Benjamins Konzept der Aura darin lesen: Welcher Lautsprecher spielt das Original, welche die Kopie?
Deine Beschreibung, mit der Platzierung der Lautsprecher Samen zu setzen, erinnert an Joseph Beuys‘ Arbeit 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung. Auf die Frage, wie viele Bäume er denn pflanzen wolle, war seine Antwort: „So viele wie möglich.“
Der größte Feind eines Baumes ist der Mensch, aber wenn alles gutgeht, kann ein Baum jahrhundertelang existieren. Ganz im Gegensatz zur Technologie, die immer fortschreitet, sich immer weiterentwickelt. 2019 kaufte ich diese 220 kabellosen Lautsprecher, die sich ideal für meine Arbeit eigneten. 2023 wurde dieser Lautsprechertyp schon nicht mehr produziert. Diese Sinfonie erzählt also auch von Technologie, die sich unentwegt verändert und auf gewisse Weise auch stirbt. Mein Lautsprecherorchester wird verschwinden – das ist der natürliche Lauf des Lebens. Infolge der industriellen Revolution wurde es westlichen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts möglich, eine große Zahl an gleichklingenden Instrumenten herzustellen, sodass Orchester wachsen konnten. Allerdings wurde deren Klang einheitlicher, ganz zu schweigen von der damit verbundenen Abholzung weiter Wälder. Die anschließende digitale Revolution veränderte unseren Umgang mit Musik durch die Entwicklung des Walkman im Jahre 1979 vollständig – für mich der wichtigste Moment in der Musikgeschichte. Zum ersten Mal konnte man seine eigene, immersive Klangquelle bei sich tragen und überallhin damit gehen. Dies ermöglichte, seinen ganz persönlichen Klanghorizont auszubilden. Darin ist für mich immer noch so viel Schönheit enthalten und wir nehmen es als selbstverständlich hin.
Deine Musik lehrt nicht, sie berührt.
Ununterbrochen suche ich nach geeigneten Wegen, meiner Musik Ausdruck zu geben und je mehr ich suche, desto näher rücke ich den Ideen von Pauline Oliveros und ihrer Praxis des Deep Listening. Sie beschrieb Tiere als beste Deep Listeners in der Natur, weil sie ihr Umfeld unentwegt abzuscannen haben, um zu überleben oder Futter zu finden. Tiere müssen ihre Augen und Ohren ständig weit offen halten. In der Park-Oper soll der Mensch „ganz Ohr werden“, mit allen Ohren, mit allen Sinnen sein. Man kann gehen, schauen, tasten, schmecken, hören, schwimmen, fühlen, wohingegen in der traditionellen Oper der Körper des Zuschauers im Sitzen – bei Wagners Opern für Stunden! – sehr eingesperrt ist und nur das Klatschen der Hände am Ende als einzige körperliche Regung erlaubt ist. Das ist so unnatürlich, seit wir wissen, dass Empfindung im ganzen Körper stattfindet. In meiner dritten Oper-Installation Body-Opera versuche ich die Körper der Zuhörer zu befreien und das Publikum auf analoge Weise daran zu erinnern, dass Klang eine physikalische Schwingung, also mit dem ganzen Körper wahrnehmbar ist. Auf 100 Kissen und Decken auf 100 Yogamatten können Besucher sitzen, liegen, schlafen und mit dem Kopf auf dem Kissen irgendwann spüren, dass die Kissen durch einen innenliegenden Signalwandler vibrieren. Verschließt man Augen und Ohren, wird der Klang über die Knochen geleitet und in den Muskeln und Fasern spürbar. Der ganze Körper kann den den Klang fühlen, er wird vom Klang massiert. Wahrscheinlich beginnt so das menschliche Hören: als vier Monate alter Embryo im Bauch der Mutter. Zu dieser Zeit hören wir lediglich zwei Klänge: das weiße Rauschen des mütterlichen Körpers und die Rhythmen zweier Kreisläufe, den eigenen und den Herzschlag der Mutter. Werden wir geboren, vermissen wir als erstes Klang, den Herzschlag der Mutter, den Rhythmus des zweiten Kreislaufs. Body-Opera übt so nicht nur Kritik an der Institution Oper, sondern auch an der traditionellen Musik-Rezeption, die über Jahrhunderte auf den Körpern lagerte. Ich möchte die Sinne der Zuhörer zurückgewinnen und hörende Körper freilegen.
Dein Denken baut komplexe Umgebungen, aber deine Wurzel ist Klang, ist Musik.
Immer. Ich bin ein Klangarbeiter. Es gibt viel Inspirierendes und jede Menge Elemente, die Eingang in meine Stücke finden können. Aber am Ende ist der Klang der wichtigste Bestandteil.
Möchtest du das Behagen im Klang aufzeigen und die ihm innewohnende Schönheit?
Exakt. Auf die Politik und Praxis des Vergnügens zu fokussieren, war Teil meiner Erfahrungen beim Rave. Techno hat mir nie etwas gegeben, aber als ich zum ersten Mal an einem Rave teilnahm, überwältigte und ergriff mich dieser kraftvolle Sound derart, dass ich erkannte, wieviel körperliche Freude beim Erleben von Musik enthalten sein kann. Klang ist die Liebe meines Lebens. 2022 arbeitete ich gemeinsam mit anderen Künstlern bei Musik Installationen Nürnberg an dem Stück Queer Magick Interventionen. Wir befanden uns dafür in der unvollendeten, gigantischen Kongresshalle des früheren Reichsparteigeländes und wollten diesen erdrückend dunklen Ort mit unserer queeren Energie füllen von Künstlern, die mit Zauberei und Magie in ihrer künstlerischen Praxis arbeiteten. Die von Albert Speer für Hitler konzipierte Kongresshalle sollte mit ihrer Größe überwältigen und das Individuum mit ihrer einschüchternden Architektur auflösen, um in einer starken Masse aufgehen und Teil einer Kriegsmaschine werden zu können. Um den Ausdruck dieses wahnsinnigen Gebäudes zu brechen, stellte ich drei Stühle für Zuhörer in die Mitte der Halle und hielt mein Stück Microspells, ganz kleine, freundliche, zarte und weiche Klänge, über kleine Lautsprecher direkt an deren Ohren. Ich wollte das ganz persönliche, innere Erleben an diesem Ort zurückgewinnen, gegen die Nazi-Ideologie. Das Böse kann nur mit Herzlichkeit, Freundlichkeit und Zärtlichkeit bezwungen werden. Freude ist konstitutives Element meiner Arbeiten. In anderen Stücken gebe ich einzelnen Zuhörern mit sieben kabellosen Lautsprechern eine Klangmassage. Dann wirkt meine Musik wohltuend und eindringlich zugleich.
Wie bist du in das theatrale Denken hineingewachsen?
Während meines Studiums ermutigte mich niemand, bildende Künste oder Performancekunst zu erforschen, aber ich begann glücklicherweise ziemlich früh, für dramatisches Theater und besonders Tanztheater zu arbeiten: kein Text, aber Körperlichkeit, das Narrativ ist abstrakter. Folglich spielt Text keine zentrale Rolle in meinen Theaterarbeiten. Für fast acht Jahre das Festival Instalakcje am Nowy Theater in Warschau kuratiert zu haben, formatierte meine eigene künstlerische Praxis grundlegend. Dieses Festival widmete sich so hingebungsvoll der nicht-konzertanten Musik mit Klanginstallationen, musikalischen und performativen Installationen, Soundskulpturen, Video etc. Das Publikum wurde zu 1:1 Performances eingeladen, zum Tanzen, zum Kochen, zum Schlafen, zum Musikhören in der Badewanne, zum Bauen von Instrumenten und zusammen Musizieren … Als ich dann 2012 meinen ersten Auftrag von der Nationaloper in Warschau erhielt, wollte ich etwas komplett anderes kreieren, und diese Motivation nährt mich bis heute. Basierend auf dieser ersten Oper Transcryptum entwickelte ich dann auch in meiner Dissertation das Genre Oper-Installation.
Ist diese Verkörperlichung von Musik auch Teil von Transcryptum?
Nicht hauptsächlich. Ich war zu der Zeit vor allem von den gigantischen Dimensionen des Großen Theaters (Teatr Wielki) in Warschau beeindruckt. Es ist ein ganzer Komplex mit Nationaloper und Nationaltheater – die gesamte Mailänder Scala würde allein auf die Hauptbühne passen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es im neoklassizistischen Stil des sozialistischen Realismus wiederaufgebaut. Ich verirrte mich ständig in diesem Gebäude und wollte deshalb eine Oper mit der Struktur des psychologischen Traumas schreiben, das Publikum in der Mitte dieser Struktur platziert. Trauma wird nicht in organisierter Reihenfolge erinnert, es zeigt sich chaotisch und nichtlinear, nur in Bruchstücken, Rückblenden, Ausschnitten, Albträumen und unterdrückten Erinnerungen. Das Publikum lief also in fünf Gruppen mit je 50 Personen durch fünf riesige Räume hinter der Bühne auf fünf Wegen, sodass jede Gruppe die Geschichte in anderer Reihenfolge erlebte. Das Gebäude wurde zum Kopf einer traumatisierten Frau, das Publikum begegnete im Innern Bruchstücken ihrer Erinnerung. Das verwirrt natürlich zuerst total, erzeugt Unverständnis, aber ab einem bestimmten Punkt wird klar, dass etwas sehr Dramatisches passiert sein musste. Die Klänge in diesen fünf Räumen kommen immer wieder zurück wie Erinnerungen. Zum Beispiel ist das Duett für zwei Akkordeons als lautester Teil dieser Oper im fünften Raum. Man hört die Akkordeons durch die Mauern gleich zu Beginn, kann sie aber nicht sehen, wird von deren Klängen verfolgt und getriggert. Fast zwei Jahre dauerte die Arbeit mit diesen dunklen Themen für meine Dissertation. Das Interessanteste an Trauma war für mich das Phänomen, das Erlebnisse so extrem sein können, dass sie vermeintlich außerhalb des Gedächtnisses abgespeichert und in diesem mythischen schwarzen Gefäß versteckt werden. Natürlich werden Erinnerungen nicht wirklich außerhalb des Gedächtnisses gespeichert, sie sind aber versteckt und können plötzlich auftauchen und ohne jede Vorwarnung zurückkehren.
Das nächste Stück Opera Fiasko (2018) lässt Chaos als Thema vermuten …
Für diese Oper war ich vom K.A.U. Kollektiv & Wdowik eingeladen, die Musik zu komponieren. Bislang hatte ich all meine Oper-Installationen selbst geleitet, denn obwohl ich kein Regisseur bin, weiß ich mit Klang in Zeit und Raum umzugehen. Aber Opera Fiasko war ein Auftrag vom Staatstheater Darmstadt an ein Künstlerkollektiv. Der ersten Version für Orchester, Chor und Video ging ein Forschungstrip von Darmstadt nach Kaliningrad voraus. Wir waren zwei Wochen in Deutschland, Polen und Russland unterwegs auf der Suche nach verschwundenen Musiktraditionen. Von dieser Reise ist ein Video entstanden, für das ich eine Orchestermusik komponierte. Das war eine dieser schlechten Erfahrungen mit Orchester für mich: Es gab nur sehr wenig Zeit für Proben und der Dirigent verbot mir zu meiner Überraschung außerdem, bei den Proben anwesend zu sein. Lediglich an den letzten durfte ich teilnehmen. Ich fand das lächerlich und sehr unhöflich bis geringschätzig. Danach konnte ich das Kollektiv allerdings überzeugen, eine Installation dieser Oper zu entwickeln, und damit nach Berlin, Köln, Warschau und Dresden zu touren. In dieser Version blieb das Video erhalten, aber das Orchester wurde auf Akkordeon, Stimme und Paetzold-Flöte reduziert. Eine großartige Entscheidung, ich mag diese Version deutlich mehr.
… und die fünfte Oper Rechnitz.Opera (2019) ist mit Österreich verknüpft?
Dieses Stück basiert, wie es der Name schon sagt, auf Elfriede Jelinek’s Text Rechnitz (Der Würgeengel), Regie führte Katarzyna Kalwat. Es war faszinierend, in Österreichs jüngere Theatergeschichte zu tauchen und beklemmend, die Art der Unterdrückung von österreichischen Autoren durch rechte Politiker kennenzulernen, ganz besonders die von Elfriede Jelinek. Sie wollte Rechnitz nie auf Österreichs Bühnen gebracht wissen, machte erst eine Ausnahme, als das Warschauer Herbst Festival die Oper beauftragte. Zuvor prüfte sie sogar meine Partitur. Für unsere Vorrecherche sahen wir auch den berühmten Film Totschweigen von 1994, eine Dokumentation aus Gesprächen mit alten Menschen, die in Rechnitz lebten und höchstwahrscheinlich Zeugen von jener Nacht waren, als Margit von Batthyány mit ihren Freunden aus der SS nach einer großen Party auf ihrem Schloss als Highlight quasi fast 200 jüdische Arbeiter im Wald von Rechnitz ermordete. Der Film wurde fast 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gedreht, aber die Dorfbewohner hatten immer noch Angst, zuzugeben, dass sie in jener Nacht etwas gesehen oder gehört hatten. Manche begannen zu weinen, als sie gefragt wurden, und man weiß, dass sie wissen, aber sie sagen nichts. Bis heute ist nicht ein einziger Knochen dieser 200 Ermordeten gefunden worden, es gibt kein Grab. Mögliche Zeugen starben ebenfalls unter mysteriösen Umständen, bevor nach Kriegsende die Prozesse begannen. Gräfin Margit von Batthyány lebte indessen fröhlich in Wien und Zürich weiter und schickte all ihre SS-Liebhaber nach Argentinien oder Südafrika. Nichts geschieht Personen, die an die 200 Menschen umbringen. Diese Geschichte ist genauso schockierend wie die Verdrängung in der österreichischen Gesellschaft unfassbar ist. Jelineks Text erzählt extrem dicht aus der Perspektive eines Boten, der eine Menge mitteilt, dabei aber am Ende nichts sagt. Er handelt von der Kraft von Lügen, von Propaganda und dem Verbergen der Wahrheit hinter einem endlosen Strom an Worten, weil die Geschichte so schrecklich ist, dass es unmöglich wird, sie zu erzählen. Und Elfriede Jelinek zeigt damit einen ziemlich simplen Mechanismus von Sprache auf, der täglich in der Politik Verwendung findet: aufgebauscht zu reden ohne klar Fakten zu benennen. Das Grab wurde nie gefunden, obwohl eine Menge darüber geredet wurde. Wörter für Gräber. Rechnitz.Opera ist für sechs SchauspielerInnen und vier Celli. Es entspricht Jelineks Text, zurück zu den traditionellen Elementen von Oper zu gehen, wo zwischen zwei Zeit-Modi gewechselt wird: die gestoppte, emotionale Zeit in der Arie und die fließende, erzählende Zeit im Rezitativ. In Rechnitz.Opera gibt es keine Arien, denn von Anfang an werden Gefühle im Text komplett unterdrückt und sind unaussprechbar. Die sechs SchauspielerInnen erzählen also die Geschichte in endlosen Rezitativen, lügen uns an, beschönigen, und wenn sie endlich beginnen auszusagen, wechseln sie das Thema und schweifen wieder und wieder ab.
Eine Menge dunkler Stoff. Womit beschäftigst du dich denn derzeit?
Im Moment arbeite ich an einem neuen Stück über die Tierwelt basierend auf Ursula K. Le Guins Buffalo Gals. Darin fällt ein Mädchen vom Himmel und wacht in der Tierwelt mit nur einem Auge auf. Sie bekommt ein neues von einem Präriewolf, sodass sie beide Welten sehen kann: die der Tiere und die der Menschen. Das ist ein sehr interessantes Konzept, was von Silvia Costa mit dem Solistenensemble Kaleidoskop beim Festival Radialsystem in Berlin im Juli realisiert wird. Es brachte mich auf die Idee des „Instrumentalen Theaters“, wie ich es nenne. Darin wird das Instrument zum Objekt, trägt aber auch symbolischen Charakter – die Musiker spielen nicht nur darauf, sondern nutzen auch verschiedene Gesten und Choreografien, die die Klangerzeugung unterstützen. Im Augenblick komponiere ich Musik, in der die ViolonistInnen ihre Geigen wie Masken vor das Gesicht halten und sie in dieser Position spielen. Die Instrumente wie eine Verlängerung des eigenen Körpers zu verwenden, hat etwas Symbolisches, fast Rituelles. Unentwegt versuche ich den Dirigenten zu überzeugen, nicht zu illustrieren und stattdessen meine vorhandenen Konzertstücke als Kontrapunkt, als eine zweite Stimme für diese Art Theater zu verwenden. Für mich ist die Musik genauso wichtig wie der Text. Ich möchte mit Dirigenten zusammenarbeiten, die das verstehen und Musik jede Menge Raum im Theater geben, ohne Angst vor experimentellen Klängen.
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen im Festival-Almanach des Carinthischen Sommer
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