Klangspuren Schwaz
Wenn man etwas zu zweit macht, muss man mehr sprechen
Das Tiroler Festival für zeitgenössische Musik geht in seine 29. Runde und hat nun nach recht kurzatmigem Intendantenwechsel seit Mai 2021 ein gemischtes Doppel in der künstlerischen Leitung: die Komponistin und Kuratorin Clara Iannotta und den Komponisten und Multiinstrumentalisten Christof Dienz. Dem Festivalschwerpunkt, neue Publikumsschichten zu erschließen, begegnet das Intendantenduo mit einer frischen Marke: dem Future Lab.
Wie ist es denn dazu gekommen, dass ihr die Festivalleitung der Klangspuren Schwaz zu zweit tragt?
Christof Dienz: Thomas Larcher hat vor zwei Jahren die Obmannschaft für die Klangspuren Schwaz übernommen und fragte mich, wer die künstlerische Leitung innehaben sollte. Meine Antwort war: Eine Frau. Ich schlug Clara Iannotta vor, weil sie international so wahnsinnig gut vernetzt ist. Die Bedingung an die künstlerische Leitung war aber, hier vor Ort zu sein. Also überlegten wir uns die Kombination einer gemeinsamen Leitung. Ich bin hier in Tirol und in der österreichischen Musikszene sehr gut vernetzt und kenne mich recht gut in den Grenzbereichen der Neuen Musik aus, die ich aus dem akademischen Bereich und der so klar selbstdefinierten Neue-Musik-Szene herausholen möchte.
Wie habt ihr zu einer gemeinsamen Ausrichtung, einem Schwerpunkt für das diesjährige Festival gefunden?
Clara Iannotta: Obwohl wir beide einander kennen, haben wir bislang noch nie zusammen gearbeitet. Es war also erst einmal wichtig, ästhetische Gemeinsamkeiten zu finden. Wir sind sehr verschieden und fokussierten uns deshalb auf Komponisten und Künstler, die in einem Dazwischen arbeiten. Oftmals sind sie Komponisten und Performer zugleich und bewegen sich auf einer verschwimmenden Grenze zwischen den Ästhetiken, Christof ist auch selbst nicht nur Komponist, sondern auch Instrumentalist. Und es gibt einige Künstler dieser Art: Jennifer Walshe zum Beispiel, Matthew Shlomowitz, der ihr Stück Minor Characters performen wird, auch 5K HD usw. Wir mussten einander erst einmal kennenlernen, also erkundeten wir die Unschärfen zwischen unseren Unterschieden. Das war ziemlich spannend und stellte unsere Herangehensweise beim Erstellen unseres ersten gemeinsamen Festivalprogrammes dar.
Es stehen die Begegnung internationaler und regionaler Entwicklungen von Gegenwartsmusik im Vordergrund, aber auch Öffnungen innerhalb neuer und neuester Musikströmungen werden gezeigt.
Christof Dienz: Unser gemeinsamer Nenner waren multidisziplinäre Projekte, das Rausgehen aus Schubladen verbindet uns, elektroakustische Projekte interessieren uns beide, aber für klassische zeitgenössische Komponisten entflammen wir auch. Da, wo jeder seine Expertise und seine Kontakte hat, kann er auch leichter interessante Projekte bringen, folglich teilten sich unsere Aufgabenbereiche zwischen uns ganz natürlich auf: Clara die internationalen und ich die regionalen. Wir haben uns auch immer so verständigt, dass der Vorschlag des anderen gemocht werden musste. Wir haben über jedes Projekt diskutiert, Bedenken oder Argumente, die dagegen standen, vorgebracht, unsere jeweilige künstlerische Meinung dazu geäußert und dadurch das Programm entwickelt. Wenn man etwas zu zweit macht, muss man mehr sprechen. Wir haben sehr viel ge- und besprochen.
War Begegnung womöglich bewusstes oder unbewusstes Leitmotiv? Es gibt in den Konzerten oft Begegnungen: von sehr alter mit sehr neuer Musik, von arrivierten und ganz jungen Komponisten, von Kunstlied mit Orchestermusik …
Clara Iannotta: Wir diskutierten viel über die Frage, ob wir ein Motto oder Thema brauchen, und kamen zu dem Schluss, dass wir in unserem ersten Jahr der gemeinsamen Festivalleitung keines haben wollen. Dennoch gibt es etwas, dass das ganze Programm verbindet, beispielsweise die visuelle Präsenz zu Beginn und am Programmende wie eine Rahmung. Mitten im Programm gehen wir zurück in die Vergangenheit mit Eva Reiter, die Musik des Barock auf alten Instrumenten spielt, oder Chaya Czernowins Vokalstück Immaterial, das sie selbst Madrigal nennt. Wir wollten nicht nur eine Sache abbilden, vielmehr ein erstes Festival gestalten, das die Differenzen, die Vielgestaltigkeit, auch die Interdisziplinaritäten innerhalb gegenwärtiger Musik zeigt und ihm dadurch einen Sinn und eine Richtung geben. All die Möglichkeiten erkunden, die Neue Musik offeriert. Junge Komponisten sind dafür von extremer Bedeutung. Deshalb ist es so wichtig, das Festival für sie zu öffnen. Neue Musik hat sich dermaßen entwickelt und ist nicht mehr eine in sich geschlossene Kategorie.
Deswegen auch das Future Lab als die neue Marke der Klangspuren Akademie?
Clara Iannotta: Klangspuren hat eine lange Tradition pädagogischer Projekte wie die IEMA, die einen großen Teil des Festivals bildeten. Wir wollten nun mal etwas anderes machen. Also schufen wir die erste Composers Academy und das Chamber Music Lab für Kammermusik.
Christof Dienz: Und konsTellation plus ist eine Alternative zur IEMA, die es über lange Jahre jetzt bei den Klangspuren gegeben hat. Sie arbeitete mit tollen internationalen Musikern zusammen, hat aber die lokale Szene hier nicht erreicht. Die jungen Musiker der Region einzubeziehen, war mir sehr wichtig, schließlich gibt es ein Konservatorium in Innsbruck, dessen Ensemble KONStellation von Ivana Pristašová, Geigenprofessorin am Konservatorium und Geigerin bei PHACE, geleitet wird. Mein Ansatz war, die Ressourcen vor Ort zu nützen und ihnen eine Plattform zu bieten, die sie ohne das Festival schon aus finanziellen Gründen nicht hätten. Da gibt es zum einen Konzerte, die sie in der Auslage spielen können, und zum anderen den Kontakt zu internationalen Musikern und die Möglichkeit, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Meine Hoffnung ist, den jungen MusikerInnen ein Initialerlebnis zu verschaffen, das sie verstärkt, MusikerIn werden zu wollen. Jeder Musiker hat so ein Erlebnis in seiner Biografie. Auch mit dem Musikgymnasium in Innsbruck arbeiten wir zusammen. Dessen noch mal jüngere Schüler gestalten die Klangwanderung. Mit ihnen zusammen ein Programm zu erarbeiten, hat sehr viel Spaß gemacht. Die 17-jährige Komponistin Mailin Hartlieb aus dem Musikgymnasium haben wir sogar beauftragt, ein Stück zu schreiben, das bei der Klangwandwanderung zur Uraufführung gelangen wird. So schaffen wir Erlebnisse für junge Leute, die sie hoffentlich nicht so schnell vergessen und sie inspirieren, weiterzumachen. Wir erweitern das Streicherensemble KONStellation um Bläser und Professoren des Konservatoriums, um ein höchstmögliches Niveau zu liefern. Das sind wir dem Publikum und uns selbst schuldig und es soll auch ein Ansporn für die Studenten sein.
Aufgeführt wird dann neben Charles Ives, Jörg Widmann und Justė Janulytė das Recycling Concerto von Gregor Mayrhofer.
Christof Dienz: Das ist ein Stück für Schlagwerk aus Abfall und Ensemble. Das Thema Umwelt ist ja hochaktuell und erfährt hier eine witzige Bearbeitung.
Clara Iannotta: Es ist für diese superjungen Musiker hoffentlich auch spannend, einen Zugang zu Werken von lebenden Komponisten zu bekommen, sie verbringen ja die meiste Zeit damit, tote Komponisten zu spielen. Und auch der Aspekt, Musik mit allem Möglichen zu machen, ist vielleicht eine wichtige Erfahrung.
Sind alle Uraufführungen Auftragswerke des Festivals?
Christof Dienz: Alle Uraufführungen sind zumindest Co-Commissions oder eben Einzelaufträge der Klangspuren. Das Riot Ensemble aus London ist als Ensemble in Residence für das Composers Lab zuständig. Junge KomponistInnen arbeiten mit ihm zusammen eine Woche an ihren Stücken und bringen es dann zur Aufführung. Zusätzlich bringt das Riot Ensemble ein Konzert aus seinem Repertoire, mit dem es sich selbst vorstellt.
Clara Iannotta: Wir bekamen die Leitung des Festivals im Mai 2021 und KomponistInnen brauchen manchmal mehr als ein Jahr, um ein Stück zu schreiben. Ich glaube, vor diesem Hintergrund haben wir eine gute Mischung aus Uraufführungen und Österreichischen Erstaufführungen erzielt. Das Eröffnungskonzert wurde von den Klangspuren beauftragt, im zweiten Konzert gab es für Archora von Anna Thorvaldsdottir eine Co-Commission. Aufträge erhielten auch zum Beispiel Martin Brandlmayr, Jenny Walshe und Matthew Shlomowitz. Für das Riot Ensemble bekamen Naomi Pinnock und Alex Paxton einen Auftrag für ein Werk. Wir haben versucht, beides zu ermöglichen: ein Stück zu vollenden, aber es auch zur Aufführung zu bringen und dem Stück ins Leben zu helfen.
Wird auch mit Aspekten von Pop durch 5K HD oder Jazz und elektronischer Tanzmusik durch Studio DAN beispielsweise versucht, das Feld der Gegenwartsmusik weiter zu spannen?
Christof Dienz: Das sind alles Hilfsausdrücke, die den Kern der jeweiligen Musiken gar nicht treffen. Gerade das Projekt von Studio DAN ist schwer zu fassen, weil es sich aus so vielen Elementen speist. Nicht zuletzt durch den Schlagzeuger Bernhard Breuer, der ja auch bei Elektro Guzzi am Schlagzeug sitzt, bekommt es eine Tendenz in Richtung Clubmusik, aber die Musiker kommen auch aus dem Jazz, Karolina Preuschl könnte man als Dada-Sängerin mit Wiener Schmäh beschreiben, und der Komponist und Ensemble-Leader Daniel Riegler bringt auch noch sein Eigenes hinein. Der Titel Studio DAN rekurriert ja auf die Zappa-Platte Studio Tan, Zappa ist also so ein Übervater für dieses Ensemble. Daraus kann man dann schon ablesen, dass es um sehr viele Einflüsse bei diesem Ensemble geht, auch Improvisation, freies Spielen ist wichtig – ein schönes Beispiel für Ensembles, deren Musik man fast nicht mehr einordnen, höchstens Einflüsse beschreiben kann, die darauf einwirken. Das gilt auch für 5K HD: Eine quasi Pop-Band hat es bei den Klangspuren wahrscheinlich auch so noch nie gegeben, erst recht nicht mit einem Kompositionsauftrag versehen. Unser Ansatz ist eben auch, dass man jemanden wie Manu Mayr, der zwar kein studierter Komponist ist, aber sich wahnsinnig mit Klang und Ästhetik und elektronischen Möglichkeiten beschäftigt, damit beauftragt, genau nicht für Sinfonieorchester zu schreiben, wo es Leute gibt, die den Apparat besser beherrschen. Sondern dass wir seine supereigensten Fähigkeiten fördern und ihm eine Plattform geben, in seinem Element, da wo er zuhause ist, zu experimentieren und etwas Neues zu schaffen.
Warum ausgerechnet Manu Mayr?
Christof Dienz: 5K HD ist ja gerade eine sehr angesagte Pop-Formation, wobei man auch erst einmal den Begriff Pop definieren müsste, und Manu Mayr ist deren Kopf. Es ist Musik, zu der man tanzen kann, die in einem Kontext von Jugendkultur steht und junge Menschen anspricht, und das ist ein Aspekt, der wichtig für so ein Festival wie die Klangspuren ist: dass man auch junge Leute erreicht. Folglich müssen wir junge Künstler beauftragen. Manu Mayr ist ja auch Instrumentalist und spielt beim Klangforum Wien oder bei PHACE, wenn ein E-Bassist gebraucht wird. Er hat also auch viel mit der klassischen zeitgenössischen Musik zu tun, wenn man diesen Begriff als Genre so verwenden kann.
Clara Iannotta: Es gibt häufig ein Missverstehen von dem, was Neue Musik ist. Viele wissen es nicht, einige denken, es ist alles, was creepy ist, oder halten es für Musik wie die von Arnold Schönberg. Als ich zum ersten Mal bei einem von Vijay Iyer ausgerichteten Jazz Festival in den USA war, performte die Cellistin Okkyung Lee, eine Improvisateurin und experimentelle Komponistin – sie ist bekannt als Jazzmusikerin – und ich hörte sie und wusste, das ist, was wir experimentelle Musik nennen. Ein voll gefüllter Saal und das Publikum explodierte, als sie zu Spielen aufhörte. Es ist klar, dass wir einem Missverständnis von Neuer Musik aufliegen. Wir müssen in Locations, die wirklich ein Publikum halten und Performer einladen, die das Vertrauen des Publikums haben, und diese mit neuen, jungen Künstlern kombinieren. Wir müssen zeigen, auch wenn es anfangs nur wenige Menschen sehen werden, dass Neue Musik so unendlich viel reicher ist, als ihre Geschichte erzählt.
Wird Notation im Composers Lab eine Rolle spielen?
Christof Dienz: Die Notation spielt eine sehr wichtige Rolle. Bei einigen Stücken der Teilnehmer vom Composers Lab sind oftmals Klänge nicht bis ins kleinste Detail, stattdessen eine Spieltechnik oder interpretierbare Begriffe vorgegeben. Es ist also bei manchen Stücken zur Notation auch der Klang interpretierbar.
Was bewegt wohl zeitgenössische KomponistInnen, ausgerechnet auf expressionistische, dadaistische oder surrealistische Literatur zu reagieren, wie es die Lieder von Johannes Maria Staud zeigen?
Christof Dienz: Das sollten wir Johannes fragen. Ich weiß nur, ein Text findet einen, springt einen an, erreicht einen. Da ist es weniger wichtig, wo er herstammt. Das ist eine sehr persönliche, sehr individuelle Begebenheit, wenn einen ein Text inspiriert. Johannes Maria Staud werden die Texte derart berührt haben, dass ihm Musik dazu eingefallen ist.
Clara Iannotta: Inspiration kann von so vielen Dingen ausgehen, bei Eva Reiter ist es beispielsweise die barocke Musik. Diese Sachen bringen eine Art historisches Gewicht mit, das möglicherweise künstlerischen Ausdruck animiert. Als ich jünger war, wurden überall Texte von Friedrich Hölderlin gehört. Texte aus vergangener Zeit zu rezitieren, bedeutet ja auch, sie in einen anderen Kontext zu stellen, ein anderes Licht auf sie zu werfen. Wir sollten die KomponistInnen fragen, warum sie diese Texte auswählten, aber es überrascht mich auch nicht.
Greifen wir auf Vergangenes zurück, um unserer Gegenwart habhaft zu werden?
Clara Iannotta: Die Verbindung von KomponistInnen und KünstlerInnen zur Geschichte kann extrem bedeutsam und spannend sein. Es gibt dann den deutlichen Geruch der Vergangenheit, und nach dem Neuen muss man erst schauen, es ist (noch nicht) gegeben. Heute morgen las ich den Text, den Martin Brandlmayr Alex Paxton brachte, der als einer der sehr jungen Komponisten ein Stück für das Riot Ensemble geschrieben hat: er handelte von der Beziehung zur Popkultur. Auch Jenny Walsh oder Martin Shlomowitz pflegen eine Beziehung dazu. Es ist ja auch wichtig, eine lebendige Verbindung zum Publikum zu halten. Wir können (noch) nicht KomponistInnen aufführen, die die Vergangenheit vollkommen zurückweisen. Besser mit der Geschichte arbeiten und seinen eigenen Weg dazu finden. Ich selbst habe mich noch nie mit einer Kompositon auf einen Text bezogen. Aber was immer dem Komponisten/der Komponistin hilft, ein Stück zu schreiben, ist erwünscht. Den größten Teil des heutigen Tages habe ich einen Text über George Lewis Memex gelesen, das ja ebenfalls auf die Vergangenheit weist. Zeit, Geschichte oder Vergangenheit kann in vielen der Kompositionen der diesjährigen Klangspuren gelesen werden, aber jede findet einen anderen Zugang.
Lassen sich über das Musikschaffen möglicherweise auch Auswege aus den derzeitigen Zuständen finden, wenn Manu Mayr beispielsweise mit den Strukturen von Kollaps anstatt dagegen zu arbeiten versucht und sich im Schlusskonzert in Fausto Romitellis An Index of Metals Melancholie, aber auch Euphorisches finden lassen?
Christof Dienz: Der Kern in Manu Mayrs Arbeit ist, ohne dass ich das Stück kenne, sich vor allem als Bassist in die Möglichkeiten elektronischer Effekte und elektroakustischer Phänomene zu vertiefen. In seinem Duo schtum arbeitet er ja auch mit Feedback beispielsweise. Und bei Aesthetics of Collapse versucht er, sich dem Umgang mit etwas anzunähern, was eigentlich abgelehnt wird, also ein Problem zu beherrschen und aus der Beherrschung Kreativität zu schöpfen. Tatsächlich sieht das dann so aus, dass er formal ziemlich viel niederschreibt, also kleine Modelle, große Form. Aber dazwischen gibt es auch Freiraum für jeden einzelnen Musiker, denn so arbeitet das Ensemble 5K HD. Innerhalb der Struktur kann sich jeder ein Stück weit bewegen, wozu die Sängerin Mira Lu Kovaczs Texte beiträgt, an denen sich Songstrukturen entwickeln lassen. Inwieweit diese Songstrukturen in das Stück einfließen, wird sich erst noch zeigen. Im Festivalprogramm gibt es auch etliche notierte Improvisationen, aber der eigentliche Klang wird trotzdem erst vom Musiker ausgestaltet.
Steckt da auch ein Versuch dahinter, Neue Musik zugänglicher zu machen?
Clara Iannotta: Nein, da bin ich komplett dagegen. Natürlich können wir einen Zugang zu den wichtigen Stellen der Stücke aufzeigen, aber das kann nicht bedeuten, Stücke simpler zu gestalten, damit sie leichter verstanden werden. Wir sollten dem Publikum vertrauen, dass es verstehen wird. Wir müssen nichts vereinfachen. Extrem komplexe Strukturen wirken von Weitem manchmal total einfach, wohingegen vermeintlich Einfaches sehr kompliziert sein kann. Wir gewinnen Publikum, indem wir zeigen, was die Szene Großartiges zu bieten hat. Also müssen wir versuchen, diese Szene sichtbar, aber auch erreichbar zu machen. Ich erinnere mich, als 2016 ein sehr lautes Stück von mir in der voll besuchten Walt Disney Concert Hall gespielt werden sollte. Ich war verunsichert, wollte ja nicht, dass die Menschen verrückt werden. Also beschloss ich, dem Publikum zu vertrauen. In dem Moment, in dem du Menschen guter Musik aussetzt, werden sie auch verstehen. Vielleicht überzeugst du nicht jeden. Aber der einzige Weg, Zuhörer zu erreichen, ist, ihnen zu vertrauen.
Für ebenjene Zugänge gibt es Einführungsgespräche zu manchen Konzerten. Was wird da passieren?
Clara Iannotta: Die KomponistInnenen werden sich vorstellen, ihre Geschichte zum jeweiligen Stück erzählen oder den Kompositionsprozess beschreiben. Es sind ja sehr viele junge KomponistInnen, die dem Publikum noch unbekannt sein dürften. Sich und seine Arbeitsweise in Geschichten vorzustellen, baut Brücken zwischen dem Komponisten und seinem Stück hin zu den Zuhörern. Dann können auch kompositorische Vorstellungen im Stück besser erkannt werden.
Christof Dienz: Es können auch ganz alltägliche Dinge sein, die für das Publikum interessant sind. Auch hier ist es eine Möglichkeit, das Publikum an die Musik heranzuführen, ohne an der Musik selbst Kompromisse machen zu müssen. Es gab eine Zeit in der Neuen Musik, da wehte der Geist: Friss oder stirb! Das hat sich geändert. Und das ist gut so. Vor allem geht es um den Dialog und Austausch zwischen KomponistIn und Publikum. Wir haben uns dafür auch einen Fragenkatalog an die KomponistInnen überlegt, die Antworten werden nach und nach auf der Website zu finden sein.
Wie fühlt ihr euch so kurz vor Festivalbeginn?
Christof Dienz: Natürlich ist es aufregend und wir sind gespannt, wie das Programm vom Publikum angenommen wird. In erster Linie freue ich mich aber. Wir haben eineinhalb Jahre darauf hin gearbeitet und jetzt will ich das auch feiern. Ich hab schon vor, dieses Festival richtig zu genießen.
Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at
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