Judith Unterpertinger
Endlichkeit, Unendlichkeit, Zirkel, Zirkulation
Die Komponistin, Musikerin und Musikvermittlerin Judith Unterpertinger baut Massen von Daten und Bildern zu Klang, Installation und Performance. Dabei zielt ihr Werken bemerkt und unbemerkt auf das Phänomen Zeit. Seit zwei Jahren entsteht dabei die Reihe Zeitenverwesung, immanente Parameter von Zeit geraten zum Gegenstand der Klangstücke, pendeln zum Stillstand und zurück. Am 19. November 2023 kommt nun Zeitenverwesung II beim Festival wien modern zur Uraufführung.
Du hast Philosophie studiert – was hat dich dazu bewogen?
Ich hab Philosophie studiert und ein Diplom geschrieben, aber Philosophin bin ich nicht. Dafür müsste ich unentwegt lesen, in der Materie sein und auch schreiben. Beim zweiten Teil von Zeitenverwesung bin ich seit Langem wieder in Originaltexte getaucht, habe zum Beispiel auszugsweise Husserls Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins gelesen. Zu Zeiten meines Studiums war ich sehr jung, heute stelle ich andere Fragen an die Philosophie. Mich interessiert nun viel mehr: Was hat die Philosophie für eine Relevanz in meinem Leben?
Während des Lesens entstand eine Liste von Themen, die ich musikalisch umsetzen wollte. Trotzdem ist es so, dass sich in jedem Teil des Stückes Inhalte von anderen Teilen wiederholen. Es ist recht selbstreferenziell, so spielen die Retentionsketten natürlich in jedem Teil wieder eine Rolle, aber einmal wollte ich es quasi für mich herausschälen. Ganz wichtig ist auch die räumliche Struktur: es gibt zwei große Änderungen zur Anfangssituation von der weitmöglichsten Aufteilung der MusikerInnen hin zu zwei intimen Trios. Nach erneutem Auseinandergehen münden die MusikerInnen alle im Brunnenhaus. Diese Dramaturgie, für jedes Thema die richtige Raumsetzung zu finden, war nötig …
… um zu bestmöglichem Ausdruck dessen zu gelangen, was dir vorschwebt.
Ich hoffe. Man könnte auch einmal probieren, was das Schlechtmöglichste wäre.
Aber was hat dieses Studium in dir genährt, was hast du damit erfüllt?
Es reizt mich, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ich habe einen sehr analytischen Kopf, der Nahrung braucht und nachfragen will. Und ich brauche auch immer wieder Zeiten, in denen ich nicht nur ausschütte, sondern auch forsche. Vielleicht schreibe ich auch noch mal eine künstlerische Dissertation. Ich möchte tiefer eindringen in eine Thematik, und schon damals besprach ich mich dazu mit meinem Professor Michael Benedikt, dessen Tutorin ich auch war: Mich interessierte Zeit und jetzt bin ich wieder dort angelangt.
Was hat dich dann davon abgehalten, diese Dissertation zu schreiben?
Ich bin zur Musik abgebogen, nach Linz gegangen und habe dort Klavier und Komposition studiert.
Beim Komponieren können sich analytisches und musikalisches Denken begegnen. Dabei hast du Jazz und Improvisation studiert. Wie bist du zur zeitgenössischen Musik gekommen?
Sie lässt einen viel mehr frei, ist noch nicht so besetzt. In Jazztheorie bei Christoph Cech mussten wir kurze Stücke schreiben. Da bin ich drauf gekommen, über eine gute Vorstellungskraft zu verfügen und habe darin meine Welt gefunden. Beim Improvisieren werden ganz ähnliche Entscheidungen wie beim Komponieren, nur ganz ad hoc, im Moment getroffen.
Beim Komponieren kannst du lang darüber nachdenken und bist allein, weniger dialogisch unterwegs.
Man kann auch dialogisch arbeiten beim Komponieren, aber das muss man auch erst lernen. Mit der Choreographin und Tänzerin Katharina Weinhuber kann ich sehr gut dialogisch arbeiten. Ich habe so auch schon mit einigen bildenden KünstlerInnen zusammen geschaffen.
Das könnte man dann auch Co-Kreation nennen. Dramaturgisch sind folglich oft alle beteiligt in deinen Werken.
Es ist so, dass die Musik meistens von mir kommt, sie aber auf Vorgelegtes eingeht. Umgekehrt ist mein Einfluss auf das Visuelle größer, weil das Partiturlesen schon exklusiv ist. Allerdings bin ich keineswegs synästhetisch, aber ich finde es wahnsinnig spannend, in mehreren Ebenen zu denken. Zum rein Akustischen das Visuelle, dann den Körper dazuzunehmen, entwickelt sich schon über Jahre. So wird mein Werken immer komplexer.
Materialisierst du damit nicht Klang? Komponieren ist ja ein theoretisches Vorgehen vom Kopf aufs Papier oder ins Notenprogramm und hören kann es nur der, der Partituren zu lesen imstande ist.
Partituren von Ligeti kann man sich anschauen und man bekommt rasch eine ungefähre Ahnung, was passiert. Aber in Partituren der Klassik ist das nicht so. In der Zusammenarbeit mit Katharina Weinhuber erkläre ich viel und beschreibe Klänge und musikalische Vorgänge. Wie etwas klingen wird, darüber kann man bis zu einem gewissen Grad reden. Und umgekehrt hab ich durch unsere sehr intensive und langjährige Zusammenarbeit einen tiefen Einblick in die Performancearbeit, obwohl ich es nie studiert habe.
Es gibt da eine Antenne für das Visuelle bei dir.
Ich denke Musik oft visuell, fast plastisch. Deswegen komm ich natürlich auch schnell zur Performance. In den Raum zu gehen, interessiert mich immer mehr. Der Körper im Raum, was löst es aus, wenn sich die MusikerInnen bewegen, wenn sich das Publikum bewegt? Da bin ich erst am Anfang, komme aber zu Fragestellungen, die ich früher sogar dezidiert abgelehnt habe.
Welche zum Beispiel?
Ich wollte mein kompositorisches Tun nie philosophisch analysieren. Ich wollte das Tun selbst nicht bearbeiten, sondern einfach tun und mich mit Inhalten auseinandersetzen. Über Zeitenverwesung bin ich dann auf das innere Zeitbewusstsein gestoßen.
Wie kam es denn dazu?
2011 hielt ich einen Vortrag bei e_may über die Zeit und damit lieferte ich mir den Ausgangspunkt für Zeitenverwesung. Barbara Riccabona hat mich 2021 gebeten, für sie ein Solo zu schreiben und das war der Anfang. Sie zeigte mir am Cello unter anderem Multiphonics, von denen ich nicht wusste, dass man sie am Cello dezidiert ausnotieren kann: Es gibt eine Auflistung, wo welche Multiphonics anzuspielen sind und welcher Klang damit erzeugt wird. Mein Stück für sie arbeitete dann fast ausschließlich mit Multiphonics und hieß Zeitenverwesung I – Studie für Violoncello und Tape.
Gemahnt der Titel an die Gleichzeitigkeit? Wo ist die Verwesung der Zeit?
Man kann vom ganz Kleinen ausgehen: Ein Multiphonic braucht länger als ein normaler Ton, um sich aufzubauen. Man kann richtiggehend mithören, wie der Ton entsteht, folglich arbeitet man anders mit der Zeit. Diese Töne sind sehr fragil, zerbröseln oft. Deshalb musste ich Zeit selbst thematisieren. So bewegt sich das Stück in sich selbst, denn Zeit spielt ja immer eine Rolle im musikalischen Geschehen. Die Zeit selbst hatte ich in dieser Form nur in Modified Grounds #2 Concrete Voids thematisiert. Dort durfte das Publikum nur in eine Richtung gehen, weil auch die Zeit im Anthropozän nur in eine Richtung verläuft, und wenn die Welt kaputt ist, ist sie kaputt. Überlegungen zur Zeit stecken zwar schon in früheren Stücken von mir, aber diese Selbstreferenzialität war in Zeitenverwesung I neu. Die Cellistin spielte darin mit eigenen Einspielungen zu beiden Seiten als Trio mit sich selbst. Es entstehen leichte Verschiebungen und so ließ sich untersuchen, wie weit diese Verschiebungen mit ganz wenig Bewegung funktionieren, oder wann das Publikum einzuschlafen droht. Das Verwesende verweist auf ein Ende, wir bewegen uns im Moment in eine Richtung, die Gegenbewegung, das Zurückgehen kommt vielleicht noch im dritten oder vierten Teil. Mein Wunsch war aber als Nächstes, ein abendfüllendes Stück in größerer Besetzung zu schreiben und so entstand mein Vorschlag an wien modern zu Zeitenverwesung II.
Peter Ablinger sprach davon, wie es nur gut ist, um sein Thema zu wissen, weil man sein Leben lang darum kreist. Im Rückblick wird das meistens sichtbar.
Es gibt zwei Prägungen, die Pleiaden von Xenakis, die ich erstmals in einem Konzert in Innsbruck um 1996 hörte und eine Ausstellung im Schloss Ambras, die ich mit 18 Jahren anschaute: ganz fein bearbeitete Steine zum Berühren im Freien. Das faszinierte mich total: Kunst muss man angreifen dürfen! Später fand ich heraus, dass die Arbeiten von dem Bildhauer Karl Prantl stammten. Das sind Momente, von denen man später merkt, dass man immer wieder auf sie zurückgreift.
Ähnlich zur sich zunehmend herauskristallisierenden Haltung, dass Philosophie praktiziert werden müsse.
Nachdem sich 2022 Michael Benedikts Tod zum zehnten Mal jährte, begann seine Tochter Margarita Benedikt-Mafitabar im Ferienhaus der Familie im Waldviertel Treffen ehemaliger AbsolventInnen zu veranstalten, was im ersten Jahr eine unglaublich bereichernde Erfahrung für mich war. Sich zu lebensrelevanten Themen auszutauschen, ohne blasiert zu akademisieren und lediglich die Altväter der europäischen Philosophie zu zitieren, kommt selten genug vor. Mit etwas Glück trifft man im Studium inspirierende MentorInnen. Danach ist man aber mit philosophischen und künstlerischen Fragen weitgehend sich selbst überlassen. Selten gibt es Menschen, die es vermögen, sehr feinsinnig und kommunizierend dem Leben nachzuspüren. Das sind Menschen, die Lebendigkeit ins Denken zu bringen vermögen. Manches Mal gibt es solche Begegnungen in gemeinsamen Projekten, die dann enttäuschenderweise irgendwann beendet sind.
Welche Anforderungen an den Raum gibt es bei Zeitenverwesung II?
Zeitenverwesung I ist eine Studie für Violoncello und Tape, ein Kammerstück. Für Zeitenverwesung II wollte ich etwas schaffen, das einen großen Zeitraum repräsentiert. Folglich bot sich der Kreuzgang im Stift von Klosterneuburg dafür an: Das Publikum kann darin gegen den Uhrzeigersinn wandeln. In der Form des Kreises steckt ebenfalls ein Aspekt vom Wesen der Zeit. Endlichkeit, Unendlichkeit, Zirkel, Zirkulation. Der Ort hat eine unglaubliche Kraft.
Warum die Verstärkung durch drei Kontrabässe?
Multiphonics funktionieren auf Celli und auf Kontrabässen besonders gut. Es braucht den großen Korpus und die Länge der Saiten, die Geige und Bratsche in diesem Maße nicht haben. Ich wollte einen hallenden Raum, weil sich die Obertöne da wahnsinnig schön ausbreiten können. Spannenderweise verhält sich der Klang im Kreuzgang jedoch anders als ich dachte: in einer gegenüberliegenden Ecke hört man den gespielten Klang noch außerordentlich klar und präzise. In einer Kirche beispielsweise wäre die akustische Situation eine ganz andere gewesen. Außerdem beschreibt der Kreuzgang das Runde, einen Kreis. Je nach BesucherInnenzahl, deren Bewegungen und denen der InstrumentalistInnen ändert sich die akustische Situation dann erneut.
Wie triffst du solche Entscheidungen? Rein ästhetisch?
Nein. Es ist eine Kombination aus dem Inhaltlichen und den Bedingungen bzw. den Entscheidungen, die ich von vornherein getroffen habe. Ein Musiker war beispielsweise nicht greifbar, – er wohnt im Westen Österreichs – weswegen ich ihn zunächst wie einen Nicht-Dazugehörigen behandelt habe und auf einmal das Thema Eigenzeit – Fremdzeit mit eingebettet war. 2003 habe ich Morton Feldmans Triadic Memories gespielt und Texte von ihm und über ihn dazu gelesen. Ich habe sie jetzt für meine Arbeit wieder hervorgeholt, ich hatte vergessen, dass es in diesem Stück unentwegt um die Zeit geht. In Wirklichkeit beschäftige ich mich also schon sehr lange mit der Zeit. Und es gibt diesen wunderschönen Satz von ihm: „Man kann die Zeit nicht konstruieren, man muss sie sich selbst überlassen.“ Da bin ich also jetzt und muss schauen, was damit noch passiert in anderen Stücken und Überlegungen.
Das beschäftigt dich schon länger: dass in Ausstellungen wenig Bezug auf die Akustik des Raumes genommen wird und auch das Publikum eine zu berücksichtigende Rolle im gesamten Wahrnehmungsgefüge spielt.
In London – ich lebte da von 2008 bis 2012 – ist der Zugang zu Ausstellungen oft gratis, das war großartig. Aber mit Grauen erfüllten mich die musikalischen Einlagen, die in so gar keinem Bezug zum Ausgestellten standen. Auf der Kunstuni Linz leitete ich 2012/2013 ein Seminar über Soundart, damit in der Bildenden Kunst ein Bewusstsein dazu wachsen kann.
Warum bist du aus London wieder weggegangen?
Ich stand an einem Scheidepunkt, endgültig in England zu bleiben oder zurück nach Österreich zu gehen. Es gab einen brutalen Überfall in meinem damaligen Wohnhaus dort. Das war ziemlich schockierend und bewog mich ebenfalls, weiterzuziehen. Ich hatte einfach keine andere Idee, als nach Wien zu gehen. Ich würde jedoch nie wieder ohne institutionelle Anbindung irgendwo hin gehen. Dadurch bin ich zur typischen Einzelkämpferin geworden. Seit einigen Monaten treffen sich einige Komponistinnen beim Virtual Kitchen Table zum Austausch. Dabei kommt immer dasselbe heraus: Wir kämpfen alle allein, jede macht alles selbst und es ist wahnsinnig anstrengend. Ich weiß mittlerweile, dass ich wenigstens soviel verdienen möchte, um jemanden dafür bezahlen zu können, meine Partituren ins Reine zu schreiben. Selbst wenn ich es selbst tue, ist es eine Arbeit, die bezahlt werden muss. London hat mir insofern geholfen, weil es in Österreich einfach gut geklungen hat. Ich war da auch sehr schnell in die Impro-Szene hineingekommen, spielte in verschiedenen Formationen wie auch im London Improvisors Orchestra und lernte andere MusikerInnen kennen.
Im Ausland entstanden Andockpunkte zu Aktivitäten, die in Österreich wiederum für Aufmerksamkeit sorgen.
Obwohl ich damals vorallem an Projekten für Österreich gearbeitet habe. Das funktionierte zunehmend weniger, weil die Projekte immer ortsspezifischer wurden. Trotzdem konnte ich damals noch viel unterwegs schreiben.
Komponierst du unterwegs oder brauchst du eher einen safe space?
Ich brauche immer einen behüteten Raum, aber den kann man sich überall schaffen. Vor meiner Zeit in London habe ich sehr viel in Wiener Kaffeehäusern gearbeitet, was mir heute sehr fehlt. Zunehmend spielen auch die Cafés in Wien Musik im Hintergrund und dann kann ich da nicht mehr arbeiten. Oft bin ich abends noch ein, zwei Stunden im Café Weidinger in Wien oder im Café Traxlmayer in Linz gesessen, hab nachgedacht und einen Plan gemacht. Zuhause konnte ich mich dann anderntags hinsetzen und ihn ausführen, denn da fällt es schwer, sich zu ordnen und kreativ zu sein.
Bei den wall studies musste ich an Natalie Deewans Retzer Mauerschau denken. Sie hat einen Text beigesteuert. Für Piano Sublimation hat sie auch geschrieben. Schreibst du auch?
Bei Judith Schnitt_Blende hab ich die Inhalte minutiös vorgegeben, was die Librettistin Magdalena Knapp-Menzel dann umsetzte. Zu jeder der drei Figuren hatte ich ihr einen Text von mir gegeben. Einen Liedtext hatte ich beigesteuert, der von ihrer Umarbeitung sehr profitiert hatte. Sie erschafft eine ganz andere literarische Qualität. Freilich muss auch ich eine Sprachlichkeit entwickeln, wenn ich möglichst genaue Spielanweisungen geben möchte.
Magdalenas Libretti sind schwer zu vertonen, weil sie eine sehr konsonantenlastige Sprache hat. Allerdings möchte ich ja auch keine Arien schreiben, ich frage mich sowieso, warum man solche Texte versingt. Es geht auch anders, mit Sprechen und Sounds beispielsweise. Ich darf allerdings insofern in ihre Texte eingreifen, als dass ich Teile umstellen darf. Die Dramaturgie ist folglich von mir. Das muss ich auch machen dürfen. Deshalb wird eine Zusammenarbeit mit VerfasserInnen klassischer Texte kaum möglich sein. Ich arbeite mit Narrativen und brauche Menschen, die mir zuarbeiten.
Wo Wechselwirkungen möglich sind und ausagiert werden dürfen.
Auch der Titel Piano Sublimation erzeugt sofort eine plastische Vorstellung im Hirn, wie das Klavier in einem gasförmigen Zustand aufsteigt. Verkörperlichendes Denken. Die Idee, einen Körper zu zersägen, ohne ihn zu zerstören, weist in ein mögliche Zukunft.
Über den Titel bin ich wahnsinnig glücklich. Michael Wegerer lebte auch in diesem Haus in London und wir haben uns ein Jahr lang jeden Sonntag zum Brunch getroffen und überlegt, wie wir zusammenwirken könnten. Er arbeitete als Bildender Künstler, ich als Pianistin, also wurde das Klavier als Gegenstand zum Ausgangspunkt. Dieses Zerlegen und Zusammensetzen war auch bei znit ein wesentlicher Vorgang. Einerseits dekonstruktioniert man immer mehr, aber dabei darf es nicht bleiben. Deshalb geht Piano Sublimation auch eindeutig über Fluxus hinaus und es erscheint mir auch notwendig, eine solche Fortentwicklung vorzunehmen. Was die Fluxus-KünstlerInnen einst bei den Happenings taten, ist historisch gesehen enorm wichtig, erscheint heute aber ein wenig pubertär. Bei der Entwicklung von Piano Sublimation mäanderten die einzelnen Phasen des Prozesses sehr stark zwischen uns hin und her. Es ging auch um die Frage: Wie kann ich das Visuelle übersetzen und transformieren?
Ist das ein Hinweis auf einen möglichen Umgang mit Zerstörung? Dass ein heftiger Schnitt etwas Neues hervorbringen kann?
Wie wir derzeit unsere Welt zerstören, lässt mir wenig Hoffnung. Ein tröstlicher Moment ist in dem Ganzen aber für mich: Der Natur, den Tieren, den Ameisen ist es egal. Sie werden sich arrangieren, wenn die Menschheit sich dann ausgelöscht hat. Es gibt keine Balance, alles ist ständig in Bewegung.
Aber die Motivation zur Bewegung, ist, in Balance zu kommen.
Es ist ein Fehler, zu glauben, dass zuvor Stillstand herrschte. Es gibt keinen Stillstand. Die Natur braucht Zeit, sich wieder zu formieren. Und die wird kommen, wenn es den Menschen nicht mehr gibt.
Wir können das Leben nicht auslöschen, nur uns.
Es ist eigentlich tröstlich, dass wir endlich sind. Katastrophal wäre unsere Unendlichkeit.
Eine Art Kulturpessimismus, der sich als Trost erweist?
Es ist nicht einfach, nicht depressiv zu werden. Seit ich ein Kind habe, wird diese Gefährdung massiv. Wir sollten natürlich auch an alle anderen Kinder denken …
Für die Aufnahme solcher Informationen ist aber ein Spüren notwendig, um aktiv darauf reagieren zu können. Ohne emotionale Reaktion ist kein adäquates Handeln möglich, das erklärt die folgenlose Informationswucht, mit der wir leben.
Wir bewegen uns in einer kleinen Blase, in der wir uns vielleicht einig sind. Aber en gros fehlt es einfach an Empathie.
Ein Schulfach Empathie wäre eine zwingende Maßnahme. Ein Verständnis für die Notwendigkeit, dafür Sorge zu tragen. Allein finden wir keine Antworten.
Es gibt auch Lösungen. Sie passen nur nicht in ein Wirtschaftsbild oder zu Machtpositionen.
Unablässig gehen wir davon aus, dass Zeit ein Phänomen ist, das man nicht greifen kann. Die Vorstellungen, die wir finden, genügen nicht zur Beschreibung. Das Verwesen der Zeit erzeugt ein Stolpern im Hirn …
Eigentlich verwesen ja nur Körper und ich finde es schön, dass Zeit sich auf diese Weise materialisiert.
Eine endliche Zeit ist immer bezogen auf etwas.
Ich habe viele Fragen an AutorInnen, die ich noch lesen möchte, Antworten kann ich bislang nur wenige geben.
Die zugrundeliegenden Denkbewegungen sind das Spannende.
Deswegen bin ich auch in der Phänomenologie gelandet. Ursprünglich wollte ich nie mein Arbeiten selbst thematisieren. Vor 20 Jahren hatte ich auch kein Interesse an Psychoakustik.
Tatsächlich fragst du aber genau danach: Was passiert, wenn ein Multiphonic zerbröselt? Wie lässt du eine Ordnung entstehen, wie kommst du zu einer Form? Übersetzt du Bilder, die dir begegnen?
Das Thema der Übersetzung fasziniert mich sehr. Man kann ja vieles übersetzen. Die Frage ist nur, ob das dann interessant ist. Ich hab so viele verschiedene Zugänge, die oft, aber nicht immer mit Übersetzung zu tun haben. Bei Zeitenverwesung gibt es einen Aufbau, wo sehr lose Ideen begonnen haben, sich zu konkretisieren.
Die Zusammenhänge werden dann nachträglich sichtbar…
… Und dann wirkt es oft ganz banal, aber da muss man erst einmal hinkommen. Und es gibt keine Abkürzung. Das ist brachial. Ich denke oft, wenn ich nicht am Schreibtisch sitze. Gerade in meiner Zeit in London habe ich mich viel mit bildender Kunst auseinandergesetzt und bekam beim Anschauen oft Ideen für ein Stück, das mit dem Bild aber überhaupt nichts zu tun hatte. Es war ein Auslöser.
Du beschäftigst dich aber nicht nur mit den Schönen Künsten.
Ich hatte immer eine große Affinität zu Naturwissenschaften, habe eine HTL für Chemie besucht, aber Chemie war mir nicht genau genug und in der Physik wäre ich möglicherweise bei der Teilchenphysik gelandet. Ich studierte dann Philosophie im Hauptfach und im Zweitfach ein Fächerbündel aus Philosophie, Physik, Komparatistik und Theaterwissenschaft. Mein Interesse war einfach sehr weit. Das ist manchmal problematisch. Meine Abschlussarbeit schrieb ich über Philosophische Implikationen zur Quantentheorie.
Manuela Kerer erklärte einmal, sie müsse beständig damit umgehen, immer nur an der Oberfläche zu kratzen, je tiefer sie bohre. Je mehr sie sich mit einem Thema beschäftige, desto weniger wüsste sie. Mit dieser Diskrepanz zu leben und trotzdem Formen zu entwickeln, ist ein Wagnis.
Ich hab oft das Gefühl, alles nur so angekratzt zu haben. Abseits dieses grundlegend defizitären Verständnisses erkenne ich aber jetzt auch immer mehr die Chancen, weil ich sie künstlerisch in einen Zusammenhang bzw. sogar Zusammenklang bringen kann. Außerdem hab ich oft Sachen gelernt, die mich umgehauen haben. Es stellt sich dann die Frage, was mit diesem Wissen bzw. diesen Informationen zu tun ist.
Geht es nicht ums Brückenbauen, wenn Berührung durch Information entzündet werden soll? Ist dies nicht eine mögliche Vermittlungs- oder Übersetzungsfunktion von Kunst?
Gerade bei modified grounds hab ich etliche WissenschaftlerInnen gesprochen, wie man diese Fülle an Datenmengen greifbar machen kann. Das ist im zweiten Teil von modified grounds, concrete voids ja tatsächlich geglückt. Innerhalb der Neuen Musik befinden wir uns aber in einer derart kleinen Nische – da wird nie viel heraus gelangen.
Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at
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