Anna Koch
Ich packe meine Koffer und sammle Musik
Anna Koch hat mit Connecting the Dots ein Weltprojekt geplant, musikalischen und kulturellen Austausch mit achtsamer und klimasensensibler Haltung in Zusammenklang zu bringen. Humorvoll inszeniert die Klarinettistin zeitgenössische Musik auch videografisch und schafft mit Improvisationen Zugänge, lädt ein in (außer-) musikalische Gegenwart. Ein Gespräch über Volksmusik, Pasticcio und ungeteilte Aufmerksamkeit.
Wie bist du denn zur Klarinette, vor allem der Bassklarinette gekommen?
In der Volksschule begann ich eigentlich das Klavierspielen zu erlernen und hatte viel Kontakt zur Volksmusik, weil mein Vater als Volkstänzer regelmmäßig mit uns die Volksmusikwochen in den Sommerferien besuchen fuhr. Ich wollte dann auch ein Blasinstrument spielen können und griff zur Trompete. Aber bei der Volksmusik spielt man nicht nur ein Instrument, Volksmusikanten können zu mindestens fünf oder mehr Instrumenten hingreifen und mitspielen. Da war ich ein bisschen mager ausgestattet mit meiner Trompete, die ja auch nur drei Knöpfe zum Drücken hat. Als Kind empfand ich deshalb die Klarinette mit ihren vielen Klappen sehr attraktiv und bin dann aber erst relativ spät, mit 14 Jahren, zur Klarinette gekommen. Alle anderen Instrumente hab ich parallel weiter gespielt. Erst im Studium legte ich die Trompete auf die Seite und lernte dort dann die Bassklarinette kennen. Heinz-Peter Linshalm begann gerade das Fach Nebeninstrumente an der mdw zu unterrichten und ich konnte so neben meinem Konzertfach Klarinette auch Es-Klarinette, Bassklarinette und Kontrabassklarinette kennenlernen. Ich war eine der ersten drei StudentInnen, die bei ihm dieses Fach belegten, und durfte mich auf die Bassklarinette spezialisieren.
Die Bassklarinette ist nun dein Steckenpferd.
Klarinette spiel ich zwar genauso gern, aber die Tiefe der Bassklarinette gefällt mir besonders gut.
Sie hat einen unglaublich großen Tonumfang – hier überzeugt dich also dann doch der Klang vom Instrument …
Der klangliche Spielraum der Bassklarinette ist faszinierend, aber auch Spieltechniken, wie Multiphonics, wo man derart überbläst, dass ein Oberton vom Grundton zu hören ist, lassen sich fantastisch anwenden und klingen wahnsinnig toll. Auch Slaps, also ein perkussiver Effekt, den man ähnlich dem Schnalzen mit der Zunge erzeugt, lassen sich einfach unglaublich gut an der Bassklarinette umsetzen.
Wie entsteht dein Repertoire? Du schreibst selbst und hast aber auch LieblingskomponistInnen?
Für mein Soloprogramm BASSticcio hab ich ganz gezielt KomponistInnen wie Petra Stump-Linshalm angesprochen, weil ich ihre Tonsprache einfach unglaublich mag. Beispielsweise durch mein Ensemble Platypus kommen auch viele Kontakte im Ausland zustande. Natürlich wird auch ganz oft in Konzerten einfach etwas programmiert und ich hab gar nicht soviel auszusuchen. Dafür bin ich aber auch sehr dankbar, denn so begegne ich Neuem. Es gibt soviel Musik, man kann gar nicht alles kennen.
BASSticcio verweist auf Lasagne und ein längeres Musikstück – bei beiden werden Teile verschiedener Herkunft zusammengesetzt und in Verbindung gebracht. Dein Soloprogramm ist eine Mixtur aus eigenen und beauftragten Stücken?
Die Videos sind selbst komponiert, woraus sich ein Solo-Programm entwickelt hat, für das ich dann gezielt KomponistInnen beauftragte. Ich wollte keinen Klarinetten-Klassenabend haben, wo ein Stück nach dem anderen gespielt wird, sondern hab eine Stunde lang durchgehend musiziert und die Stücke mittels eigener Improvisationen miteinander verbunden und verwoben. Einerseits wollte ich dem Publikum damit eine Einleitung geben, andererseits einen Übergang schaffen. Die Videos belegen meinen spielerischen Zugang zu Musik und gingen von einer Freundin aus, die mit zeitgenössischer Musik nichts anfangen konnte. Sie ist Clubmusic und Minimal Music gewohnt und ich wollte aufzeigen, dass das Konzept Minimal Music
genauso funktioniert, egal ob es instrumental oder elektronisch erzeugt wird. Bei jedem meiner Stücke ist ein Motiv aus einer bestehenden Komposition für Bassklarinette dabei, welches ich dann mit der Loopstation in einen neuen Kontext gestellt habe. Mit diesen Stücken wurde ich sogar schon zum Festival LAMES in St. Pölten eingeladen. Die Leute kamen dann schauen, welcher DJ da auflegt …
Der Brückenschlag zur Clubkultur: ein instrumentaler DJ. Das Studium der Bassklarinette schubst wahrscheinlich automatisch zu Improvisation und Neuer Musik. Gibt es auch klassische Stücke für Bassklarinette?
Bei Guiseppe Verdis Aida oder Dmitri Schostakowitsch gibt es natürlich einzelne Orchesterstellen für Bassklarinette. Aber sie ist noch ein recht junges Instrument, weil die Instrumentenfamilie der Klarinetten erst im 19. Jahrhundert entstand, sodass auch die Literatur für Solo-Bassklarinette dann erst im 20. Jahrhundert aufkam. Als Solo-Spielerin ist man dann sehr schnell bei der Zeitgenössischen Musik.
Das Tolle an der Musik ist ja ihre Universalität, doch welche Bedeutung hat es für dich, Zeitgenössische Musik und weniger aus dem traditionellen Kanon zu spielen?
Es ist vielleicht auch eine Aufgabe und Verantwortung, als InstrumentalistIn und PerformerIn immer zu berücksichtigen, Musik nicht nur zu reproduzieren. Was vielleicht komisch klingt, wenn ich die Volksmusik als meine Wurzeln beschreibe. Aber ich bin auch deswegen in der Neuen Musik gelandet, weil es in der Volksmusik einen spielerischen Umgang gibt, man darf immer variieren. Im Studium lernte ich sehr strikte Vorgaben beim Instrumentalspiel zu befolgen und hab mich dann nirgendwo mehr wiedergefunden. Wenn es schon perfekte Einspielungen gibt, warum muss ich das dann wiederholen? Es ist wunderschöne Musik, die sehr gut tut, aber in der Neuen Musik hab ich den spielerischen Zugang wiedergefunden, natürlich in der Improvisation, aber auch im Austausch mit den jeweiligen KomponistInnen. Gegen die Skepsis zur Zeitgenössischen Musik versuche ich wie mit meinen Videos eine Brücke zu schlagen.
Der Vorwurf an die Neue Musik, sie setze zuviel Wissen und Aufmerksamkeit voraus, zerfällt aber auch, wenn klar wird, dass eine klassische Konzertsituation eben auch jene ungeteilte Aufmerksamkeit braucht.
Musik will generell nicht nebenbei gehen. Und die Anklage, dass Neue Musik Wissen voraussetze, glaube ich auf gar keinen Fall. Man muss nur offen sein. Kindern erscheint Neue Musik nicht als Zumutung. Kleine Kinder machen überhaupt auf allen möglichen Gegenständen Klänge. Und erfahren damit den Klang der Dinge. Schon daraus könnte man ein Stück Gegenwartsmusik machen.
Dem Klingen in den Dingen nachgehen …
… und einen Fokus darauf haben. Sowas nimmt man einfach nicht nebenbei wahr.
Sollte mensch sich also vor Wiederholungen hüten, um einer Kanonisierung zu entgehen?
Die geschieht sicher auch wegen Peer-Groups und dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Entweder muss man vorher schon so selbstbewusst sein und dazu stehen, dass einem Volksmusik beispielsweise trotzdem gefällt, oder man kennt Menschen, die diese Vorliebe teilen. Findet man sie, ist man sowieso wieder gestärkt.
Julia Lacherstorfer beispielsweise entwickelt aus der Volksmusik zeitgenössische Nuancen – wäre das für dich nicht auch ein denkbarer Weg gewesen?
Daran hab ich mich wegen meines großen Respekts vor der Volksmusik bislang noch nicht gewagt. Volksmusik ist ja immer eine Funktionsmusik, die bei Festen im Jahreskreis, Hochzeiten oder auch Begräbnissen erklingt und so das Leben der Menschen begeleitet. Ich wage aber Schritte, habe gerade ein Projekt dazu eingereicht. Und für meine Welttour will ich zu jedem Land, das wir bereisen, eine Komposition für Bassklarinette mit Zuspielung schreiben. Für Österreich habe ich dafür Volksmusik integriert.
Andreas Schett der Banda Franui teilte dazu den Gedanken, dass nur die Geschwindigkeit entscheidet, ob Volksmusik zu traurigen oder fröhlichen Anlässen gespielt wird. Aber zu deiner Welttour: Wie ist Connecting the Dots konzipiert?
Mein Partner und ich werden mit unserem fünfjährigen Sohn zehn Monate lang unterwegs sein. Dieses Projekt ist sehr vielschichtig und von unglaublich vielen Ideen umgeben. Durch das NASOM-Förderprogramm, das ich für 2023/24 bekommen habe, bin ich eingeladen, Auftritte im Ausland zu haben und Masterclasses zu geben. Also hab ich meine bereits bestehenden Kontakte angeschrieben, um zeitgenössische MusikerInnen oder KomponistInnen der jeweils zu bereisenden Länder zu Kooperationen einzuladen, die am Ende der Aufenthaltszeit in ein oder mehrere Konzerte münden, bevor es dann ins nächste Land weitergeht. Die entstehenden Stücke nehme ich natürlich immer mit und trage sie weiter, je nach Veranstalter und Möglichkeiten sollen sie auf dem Weg weiterhin aufgeführt werden.
Und was nimmst du als Ausgangssituation in jedes Land mit?
Die Bassklarinette ist als einziges Instrument dabei. Ich hab natürlich ein Augenmerk auf weibliche Komponistinnen gelegt, werde aber auch männliche Künstler treffen. Beispielsweise durch Reuben Jelleyman hab ich neben Konzertauftritten in Auckland auch den Kontakt zu einer Maori-Instrumentalistin bekommen, darf mit ihr gemeinsam improvisieren und ihre Musik kennenlernen! Reuben war zwei Jahre lang durch den KulturKontakt Austria in Wien, wodurch ich ihm auch begegnete. Mehr oder weniger seit September 2022 bin ich nun dabei, dieses Projekt zu organisieren. Ich schreib mit unglaublich vielen mir bereits bekannten, aber auch noch unbekannten Menschen, hab jetzt schon so viele schöne Begegnungen gesammelt und erforsche mit ihnen, was in den jeweiligen Konstellationen künstlerisch möglich ist. Ein improvisierender Zugang ist für dieses Projekt unbedingt notwendig. Es ist da wie im Alltag: man kann sich einen schönen Plan für den Tag zurechtlegen und dann kommt eh alles anders und man muss in der Situation improvisieren.
Es geht dir dabei auch um die Würdigung des Anderen und darum, eine Spur des jeweiligen Landes in dein Musikschaffen zu legen? Über die Bassklarinette öffnest du die Welt.
… und ich möchte Offenheit für andere Traditionen schaffen. In einem Monat kann man natürlich nur einen Bruchteil eines Landes kennenlernen, allein in Brasilien gibt es 220 bekannte indigene Völker. Es ist nicht mein Anspruch, jedes Land zu verstehen. Ich packe eher meine Koffer und sammle die Eindrücke und Erfahrungen, die ich machen kann, um sie weiterzugeben.
Es sieht nach einer Weltreise aus, aber der afrikanische Kontinent fehlt.
Ja, nach Afrika fehlen mir noch die Kontakte. Man könnte auch fragen, warum ich in Europa nichts mache, sondern nur weit weg fahre. Das hat die privaten Gründe, dass größere Distanzen vor dem Beginn der Schulzeit unseres Sohnes noch leichter zu realisieren sind. Ist er dann einmal in der Schule, habe ich auch vor, das Ganze in Europa fortzuführen.
Wie fühlt man sich, wenn man so eine Idee geboren hat, an der man eigentlich sein ganzes Leben lang arbeiten kann, ohne sich zu wiederholen?
Die Idee ist vielmehr ein lang in mir schwelender Traum, den ich jetzt Realität werden lassen darf. Es fühlt sich also unbeschreiblich großartig an. Und trotz der ganzen Organisation der bevorstehenden Reise und der Hürden, die es noch zu überwinden gibt, hab ich bereits Ideen, wo und wie eine Fortsetzung stattfinden kann. Beispielsweise ist Brasilien ein riesiges Land und wir kommen von Sao Paulo zwar Richtung Süden nach Curitiba, aber den ganzen Norden schaffen wir gar nicht zu bereisen. Wenn es finanziell möglich wäre, könnten wir auch andere Länder noch ansteuern oder dieselben noch einmal unter anderen Gesichtspunkten.
Du beschreibst in deinem Konzept dazu auch die Berücksichtigung gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse und Umwälzungen.
Sicher hat jede Kultur einen anderen Blick, eine andere Perspektive zu ein und demselben Sachverhalt und fährt andere Lösungsstrategien. Ich möchte erfahren, wie Menschen beispielsweise mit dem Müllproblem umgehen, darüber einen Austausch anregen und lernen.
Es gibt auch noch die Ebene des Klimaschutzes in diesem Projekt.
Ich freue mich darauf, ein Schuljahr lang unterwegs zu sein und in lediglich zwei Reisetaschen alles zu packen, was wir zu dritt brauchen. Unser Zelt, Schlafsäcke und die Campingausrüstung nimmt dabei den meisten Platz weg. Es ist ein Versuch herauszufinden, wie wenige Dinge ich tatsächlich zum Leben brauche, wie weit man auch in Bezug auf die eigenen Ansprüche reduzieren kann.
Du organisierst diese Weltreise und stellst eine Finanzierung dafür auf, hast Konzerte und gemeinsam mit deinem Partner auch einen Alltag mit Kind – das klingt viel …
Ich stoß schon auch an meine Grenzen, wo nichts mehr geht. Aber da brennt so ein Feuer für dieses Projekt in mir, greifbar und trotzdem unfassbar. Natürlich sprechen wir auch mit unserem Kind darüber, dass wir eine lange Reise machen werden. Aber wenn für uns Erwachsene nicht fassbar ist, was das genau bedeutet, ist es noch viel schwieriger, das jemandem Anderen begreifbar zu machen. Und jede positive Nachricht irgendwoher bringt Energie und lässt diese eigenen Grenzen dann wieder vergessen.
Partner und Kind begleiten nicht nur die Weltreise, sondern auch das Projekt …
Mein Partner Sebastian Schmid wird als Fotograf und Redakteuer das Ganze auf dem Blog www.connecting-the-dots.at dokumentieren, wo man unsere Reise verfolgen kann. Wir wollen die zwischenmenschlichen Momente und Begegnungen festhalten, auch die Begebenheiten und Hintergründe, wie es zu den jeweiligen Stücken kommt, fotografisch und videografisch aufnehmen, nicht zuletzt natürlich auch für uns selbst. Es wird sicher sehr viel an Eindrücken sein, die wir für uns und die Öffentlichkeit festhalten wollen. Dass unser Sohn dabei sein wird, ist auch ein Geschenk. Er erfährt und teilt dadurch, wofür wir brennen. Kinder spüren das und alles funktioniert ohne ein Problem. Umgekehrt übertragen sich etwaige Bedenken auch sofort und nähren Schwierigkeiten.
Hat sich etwas verändert für dich, seit dein Sohn mit im Auditorium sitzt?
Nein, weil ich hundertprozentig darauf vertrauen kann, dass er gut betreut ist.
Olivia De Prato hat auf einem Album I. A.M. – Artist Mother Project im Schaffen von Komponistinnen und Instrumentalistinnen thematisiert. Wie beeinflusst sie dich?
Mutterschaft beeinflusst natürlich das künstlerische Schaffen. Ich hatte schon immer einen verspielten Zugang zur Musik, aber seit ich in meinem Alltag gleichzeitig Mutter und Künstlerin bin, haben sich meine Offenheit und Experimentierfreude noch verstärkt. Die Welt mit Kinderaugen sehen, vorbehaltlos Eindrücke aufsaugen und daraus Neues schaffen – das ist mein Auftrag, mehr denn je.
Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at
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