e_may
Über Frauen an und in der Musik
Stimmperformerin und Schauspielerin Gina Mattiello und Komponistin und Subbassflötistin Pia Palme gründeten 2007 das e_may – Festival für neue und elektronische Musik für zeitgenössische Komponistinnen. Am 25./26. Oktober 2012 fand es bereits zum sechsten Mal statt – Zeit für ein Gespräch.
Dieses Jahr gibt es ein Special von e_may in Kooperative mit Wien Modern, weswegen es ausnahmsweise nicht im Mai stattfindet. Wie kam es denn zu dieser Zusammenarbeit?
Gina Mattiello: Da es uns primär darum geht, die Wahrnehmung auf das Schaffen von komponierenden Frauen zu lenken, suchen wir Partner:innen, mit denen sich dieser Aufmerksamkeitsradius relativ leicht vergrößern lässt. Außerdem war es für uns spannend, mit einem bereits lange bestehenden Festival zu kooperieren; auch um herauszufinden, wie hoch der Anteil an komponierenden Frauen war, deren Werke in diesen vergangenen 25 Jahren zur Uraufführung gelangten und welche Spuren sich dadurch im Zurückblicken erkennen lassen. Wir hatten letztes Jahr erstmals eine Kooperation mit den Klangspuren Schwaz. Das war eine sehr gelungene Zusammenarbeit, die uns ermuntert hat, auch dieses Jahr auf einen Festivalbetreiber zuzugehen und eine Kooperation bzw. Koproduktion anzubieten.
Was treibt eine Komponistin und Subbassflötistin bzw. Schauspielerin und Stimmperformerin, ein solches Festival zu initiieren und auf den Beinen zu halten?
Pia Palme: Zunächst Ärger: In den Jahren 2005 und 2006 hat Wien Modern jeweils ein einziges (!) bzw. drei Werke von Komponistinnen aufgeführt – das ist ein schwerwiegendes Handicap für Frauen, wenn man bedenkt, dass dieses Festival international Beachtung findet und für viele österreichische Komponist:innen Ausgangspunkt einer Karriere werden kann. Wir haben im Herbst 2006 diese Situation diskutiert und beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen: wir veranstalten selbst ein “Mini”Festival, vergeben Kompositionsaufträge, weil das eine wichtige Arbeitsgrundlage für Komponistinnen ist, und suchen einen geeigneten Raum dafür. Dabei sind uns ein paar Dinge wichtig gewesen: Der Ort soll eine möglichst flexible Raumgestaltung ermöglichen, denn wir wollen den üblichen Konzertrahmen sprengen. Wir möchten elektronische und instrumentale Musik durchmischen; die Komponistinnen sollen freie Hand haben, was sie tun möchten: Komposition neben Improvisation, interdisziplinär, Elektronik oder Instrumente oder beides – alles sollte offen bleiben. Die Grenzen des Genres wollten wir ebenfalls öffnen. Neue Musik wird meiner Ansicht nach zu sehr eingeengt. Wir laden Experimente ein, haben Nahtstellen zum zeitgenössischen Jazz ebenso wie zum abstrakten Techno.
Gina Mattiello: Ich denke, es ist der Wunsch mitzugestalten und eine starke Neugierde. In dem Wort Neugierde steckt ja auch die Gier. Und nach Heiner Müller ist Gier in der Kunst etwas sehr Positives, geradezu eine Voraussetzung für Kunst. Darüber hinaus geht es mir um ein „sich aussetzen“, wie ja jeder Kunstprozess immer in einer bestimmten Art und Weise ein „sich aussetzen ist“. Einem heute geschriebenen Stück zur Aufführung zu verhelfen heißt, einen Abschnitt, einen Augenblick bewusst zu machen: Musik als Destillat kultureller und politisch-sozialer Stimmung.
Welche Rolle spielen Gender und Feminismus dabei?
Gina Mattiello: Luna Alcalay beschreibt in einem Interview, wie sie 1962 Bruno Maderna in Darmstadt kennenlernte, und er meinte, sie solle ein Stück für das Radio Rom schreiben. Später hieß es nur: „Mi dispiace!“ Er hatte in Rom ihr Werk vorgelegt und sie lehnten es ab, weil es von einer „Donna“ war. Seit Beginn des Festivals vergeben wir Aufträge an Komponistinnen mit dem Motiv, die Aufmerksamkeit auf ihr Schaffen zu lenken. Wir setzen das auch in den nächsten Jahren fort, bis wir uns mit diesen Bestrebungen überflüssig gemacht haben werden.
Pia Palme: Die vorherrschenden Strukturen des neuen Musikgeschehens sind maskulinistisch im Sinne Arthur Brittans: Ensemblehierarchien, große Festivals, Entscheidungen von KuratorInnen, die Rezeption und auch die musikwissenschaftliche Auslegung neuer Musik ist stark gefärbt vom Maskulinismus, vom gesellschaftlich dominanten Gender. Dies wird von vielen Seiten als einengend empfunden und führt letzlich zu Stagnation und Wiederholung. Die Neue Musik tritt auf der Stelle. Wir meinen, im Sinne einer offenen und partnerschaftlichen Gesellschaft zu agieren und damit einen Prozess zu unterstützen, der tatsächlich eine Veränderung bewirkt und damit auch in der Musik eine Weiterentwicklung unterstützt. Wohin das geht, kann man im vorhinein nicht planen; das birgt für uns als Kuratorinnen natürlich auch großes Risiko.
Zeitigt das Amt der Festivalleitung Auswirkungen auf die eigene künstlerische Arbeit?
Pia Palme: Ja, und zwar durchaus positiv. Engagement macht sensibel gegenüber Strukturen, und für mich fließt strukturelles Denken ganz tief in den Kompositionsprozess ein. Es ist auch schön, Verbündete zu finden. Die Arbeit einer Komponistin ist nach wie vor ungewöhnlich, man steht sehr einsam und allein da. Kolleginnen zu kennen ist sehr unterstützend.
Gina Mattiello: Ich denke schon, da es viele neue Impulse gibt und diese Anregungen auch in die eigene künstlerische Arbeit einfließen. Vor allem aber gehört zu dem Festival ein enormer organisatorischer Aufwand – dieser Zeitfaktor wirkt sich deutlich auf meine Arbeit aus. Wir würden eine bessere Basis-Struktur brauchen, da die Vorlaufzeiten sehr lang sind.
Welche Themen bilden den Schwerpunkt im eigenen Kunstschaffen bzw. welchen Themen ist in dem Zusammenhang immer wieder zu begegnen?
Pia Palme: Für mich ist derzeit die Arbeit mit Zeit- und Ablaufstrukturen ein ganz wichtiges Thema. Ich lasse Einzelstimmen, Gruppen, Blöcke von Stimmen nach unterschiedlichen Zeitempfinden, aber im gleichen Zeitraum agieren. Ich sehe darin eine Art gesellschaftliche Struktur in der Musik. Hier neue Strukturformen zu schaffen, empfinde ich als große Herausforderung. Ich denke, man kann durch klares, aber entschieden anderes Positionieren von einzelnen Klangereignissen in Zeiträumen viel bewirken.
Gina Mattiello: Meine Ansätze im Stimmperformativen und im Theater liegen eng nebeneinander, ergänzen und beeinflussen sich. Wenn ich zum Beispiel das postdramatische mit dem dramatischen Theater vergleiche, dann fällt sofort auf, dass der Fokus ganz unterschiedlich ist. Während im dramatischen Theater die Stimme der Sprache untergeordnet ist, wird im postdramatischen Theater das Spannungsverhältnis zwischen Stimme und Sprache stark ausgelotet. Das führt zu einem Nebeneinander von Stimme und Sprache, und einem Irritieren oder Erschweren des Gesprochenen bis zur vollständigen Auflösung der Wortsprache und folglich ihrer Desemantisierung. Diese Bestrebungen im postdramatischen Theater finde ich auch in der Neuen Musik: Beispielsweise in der Art der Stimmbehandlung im Musiktheater fremd körper des Komponisten Reinhold Schinwald, sowie in der Komposition I am out of breath all for you von Tamara Friebel.
Woran wird gerade abseits von e_may gearbeitet?
Gina Mattiello: Im November werde ich gemeinsam mit Wolfgang Musil Bernhard Langs ICHT III mit einem Text von Christian Loidl uraufführen, eine abendfüllende installative Textperformance mit Live-Elektronik. Weiters spiele ich die Rolle der Alice in der Inszenierung von Ernst Maria Binder und einem Text von Sophie Reyer nach dem Theaterstück Alice im Wunderland. Im Dezember trete ich in Cages EUROPERA in der Dampfzentrale Bern auf. Im selben Monat folgt eine Wiederaufführung von Elisabeth Harniks Komposition für Stimme Solo for Gertrude nach Texten von Gertrude Stein.
Pia Palme: Persönlich sicher eine kurze Phase der Ruhe. Ich werde ein Werk fertigstellen für Querflöte mit Stimme (Sopran) und Schlagwerk mit Stimme sowie Elektronik, als Auftragswerk für das Duo Alice Teyssier und Jonathan Hepfer, eine Komposition für dieses außergewöhnliche Duo zweier Interpret:innen, die außer ihren Instrumenten auch ihre Stimmen einsetzen. Ein paar Konzerte als Performerin in Wien und Graz folgen, danach hoffe ich, die Arbeit an einem außergewöhnlichen Werk für Musiktheater beginnen zu können: ABSTRIAL soll im Frühjahr 2013 im Kosmostheater uraufgeführt werden.
Haben Frauen als Künstlerinnen eine Doppelfunktion bzw. haben Frauen nicht generell in unserer Gesellschaft Mehrfachfunktionen? (Oder ist dies eine Milchmädchenfrage?)
Pia Palme: Frauen sind im Gegensatz zu Männern nicht dazu sozialisiert, den “God’s View” einzunehmen, also sich selbst als losgelöst und unbehelligt von der Umgebung wahrzunehmen. Das funktioniert nur, weil andere die Versorgung der Umgebung übernehmen. Ich empfinde es als interessanter, vielseitig verknüpft zu sein, man muss aber achtgeben, den Überblick zu behalten. Wenn das gelingt, entstehen ganz neue Räume.
Gina Mattiello: Davon bin ich überzeugt! Es ist jedoch vor allem ein Phänomen unserer Zeit, das sich durch alle Lebensbereiche und gesellschaftliche Schichten zieht. Die Schwierigkeit besteht vielleicht darin, trotz der Mehrfachfunktionen in einer gewissen Langsamkeit zu bleiben. Wie Hélène Cixous sagt, „… es bedarf all der Zeit, die wir brauchen, um uns anzunähern.“
Dieser Artikel erschien erstmals in Magazin an.schläge.
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