KLANGSPUREN SCHWAZ Reinhard Kager
Bis schließlich nur noch das Rascheln einer Folie hörbar bleibt
Über den diesjährigen Klangspuren Schwaz steht ein riesengroßes „Trotzdem“: Um ein Haar hätte das Tiroler Festival seine 27. Runde nicht erlebt, bekommt mit einer rasant abgewickelten zweiten Programmierung durch Reinhard Kager nun aber eine realistische Chance auf Durchführung. Und es gelingt trotz der Beschränkung auf in Österreich lebende KünstlerInnen, die Internationalität des Festivals zu bewahren. Es zeugt von gar nicht so leiser Ironie, dass das Festival unter dem Motto Zeitzeichen steht und dass ausgerechnet die Corona-Krise die bestehende hochkarätige Qualität der hiesigen Musikszene heraufbeschwört und eine Festivalsituation erzeugt, die hiesigen Musiker:innen eine Plattform bietet, ganz entgegen dem Sinnspruch: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.
Im September 2019 fand Ihr erster Veranstaltungszyklus der Klangspuren statt – was war Ihnen ein Anliegen in Differenz zum Vorgänger?
Es sollte ja keinen extremen Wechsel geben, sondern vielmehr die Kontinuität von Klangspuren gewahrt bleiben als ein Festival für zeitgenössische Musik der verschiedensten Genres. Aber natürlich trägt es meine Handschrift, seitdem ich es übernahm.
Ist Teil Ihrer Handschrift das Feld der Improvisation?
Mein Vorgänger Matthias Osterwold hatte bereits Improvisationsmusik programmiert, wenngleich hauptsächlich aus der elektronischen Ecke. Er hatte eine Late Nite Lounge dafür eingeführt, hauptsächlich in Innsbruck. Ich habe das dann noch an einem konzentrierten Wochenende des Festivals verstärkt und gebündelt und daraus einen Schwerpunkt gemacht: Improv #1-#6 wird am 18./19. September stattfinden und insgesamt sechs Konzerte beinhalten, die aus meiner Sicht wirklich sehr vielversprechend sind.
Sie haben in einer unglaublich kurzen Zeit das Programm aufgrund derzeitiger Umstände durch Corona umgestellt und bezeichnenderweise Zeitzeichen genannt. Haben Sie allein zu dieser Umprogrammierung gefunden?
Das Programm habe natürlich ich allein erstellt, in Abstimmung mit dem Vorstand. Ursprünglich sollte Klangspuren ’20 unter dem Motto Transition stehen und deshalb waren sehr viele ausländische, auch außereuropäische Musiker:innen eingeladen worden und wären in fast alle Projekte involviert gewesen. Da sich die Corona-Situation allerorts und in manchen Ländern zudem noch besonders schwierig darstellt, war schnell klar, dass das Festival so nicht wird stattfinden können. Bis heute hat mir die Realität Recht gegeben: Ägypter können noch immer nicht nach Österreich kommen, und ob Briten und Franzosen im September hierher fahren dürfen, muss auch erst auf’s Corona-Tapet kommen. Also war meine Idee, ein Festival zu programmieren, das unter hoher Wahrscheinlichkeit durchführbar sein könnte. Folglich wurden überwiegend österreichische bzw. in Österreich lebende Musiker:innen eingeladen, die sich ja innerhalb des Landes selbst im Lockdown frei bewegen konnten. Zugleich war es mir auch ein Bedürfnis, gerade diejenige Berufsgruppe einzuladen, die unter dem Lockdown am allermeisten gelitten hat. Darunter auch die Improvisationsmusiker:innen, die keine Absicherungen haben, und bei denen ich von einigen weiß, dass sie Schwierigkeiten bekamen, überhaupt ihre Mieten zu bezahlen.
So zwingt Corona sehr offensichtlich zu ganz besonderen, vorher teilweise undenkbaren Schritten, die gleichzeitig aber auch Chancen darstellen, oder?
In meinem Fall kann man das sicher so sagen. Normalerweise hätte ich sicherlich niemals so kurzfristig, also im Mai 2020 für den September 2020 einladen können. Und das war auch nur möglich, weil etwa das Klangforum Wien im Herbst eine Tour ausgerechnet in China geplant hatte, die nun abgesagt worden war. Die neuartige Chance ist also, zu zeigen, wie hervorragend die österreichische Musikwelt derzeit aufgestellt ist. Wir haben vier der besten österreichischen Ensembles für neue Musik zu Gast: eben das Klangforum Wien, das Ensemble PHACE aus Wien, das österreichische ensemble für neue musik aus Salzburg und Studio Dan aus Wien. Es gibt aufgrund der blühenden Wiener Musikszene derzeit zahlreiche Übersiedlungen nach Wien, auch und gerade von Improvisationsmusikern, wie Georg Graewe, der mit seinem Trio anreisen wird. Auch Tiziana Bertoncini und Thomas Lehn, zwei Improvisationsmusiker, die ein Duo spielen werden, sind nach Wien übersiedelt. In Österreich lebende Musiker:innen, die keine Österreicher:innen sind, sind also eingeladen und belegen gleichzeitig auch die Fülle des gegenwärtigen Musiklebens, und das ist natürlich eine Chance. Damit wird auch eine Entwicklung in Österreich gewürdigt, denn vor dreißig, vierzig Jahren hätte ein solches Programm nicht stattfinden können, weil man schlicht und ergreifend zu wenige Musiker dafür gehabt hätte.
… die ohne Corona auch nicht verfügbar gewesen wären …
Das wäre so nur von sehr langer Hand planbar gewesen. Und trotzdem sind auch Künstler:innen mit ins Programm eingebunden, die eigentlich im Zentrum von Klangspuren ’20 hätten stehen sollen: Adriana Hölszky, die Composer in Residence in 2020 hätte sein sollen und es hoffentlich nächstes Jahr sein wird, ist jetzt trotzdem vertreten aus dem paradoxen Grund, weil ihr Violinkonzert Apeiron nur von 18 Streichern gespielt wird, die auch unter Wahrung der Abstandsregeln genügend Platz auf dem Podium des Schwazer Silbersaals haben. Es wird auch Frank Gratkowski, der Improvisor in Residence, der 2021 hoffentlich auch bei der International Ensemble Modern Academy (IEMA) mitwirken wird, zu Gast sein in einem auf bizarre Weise entstandenen Duo mit der Pianistin Elisabeth Harnik. Die beiden trafen sich zufällig in Australien, weil beide dort auf Tournee waren, und beschlossen dann, gemeinsam ein Konzert in Canberra zu spielen. Diese Zusammenarbeit wollten sie fortführen, weswegen Frank Gratkowski mir die Europapremiere der beiden als Duo hier in Schwaz bei den Klangspuren vorschlug.
Den Gedanken, das Festival abzusagen, hatten Sie nie?
In unserem Fall haben wohl die Salzburger Festspiele geholfen, denn es war der unbedingte Wunsch der Festspielpräsidentin Rabl-Stadler und des Landeshauptmanns Haslauer, diese 100. Festspiele stattfinden zu lassen. Dadurch wurde nach Möglichkeiten gesucht, wie Veranstaltungen unter den gegenwärtigen Bedingungen überhaupt stattfinden können. Es war dann überraschend schnell im Mai schon klar, dass unter bestimmten, sehr restriktiven Bedingungen Veranstaltungen im Sommer durchführbar sind. Und das war ein klares Signal für mich, auch wenn eine Restwahrscheinlichkeit für eine Absage bleibt. Die Lockerungen motivieren die Leute zur Unvorsichtigkeit, daher begrüße ich, dass das Tragen der Masken in Supermärkten wieder angeordnet wurde.
Die Auswahl der Stücke unterliegt bzw. unterlag ja nun auch einer sehr harten Vorgabe, eine bestimmte Anzahl an Musiker:innen nicht zu überschreiten. Auch eine seltsame Form des Kuratierens, oder?
Einerseits ist es natürlich eine Einschränkung, kein riesiges Orchester auf der Bühne zu haben, andererseits ist es aber gerade auch ein Zeichen der Zeit, was Zeitzeichen natürlich auch bedeutet, wenn man ein Konzert spielt, in welchem sukzessive die Besetzung des Orchesters immer kleiner wird. Wir beginnen mit 38 Musiker:innen bei Hannes Kerschbaumers schiefer, haben dann, wie gesagt, 17 Streicher plus den Solisten Martin Mumelter bei Apeiron von Adriana Hölszky, und am Ende bei Música pura von Gerd Kühr sind dann nur mehr 16 Musiker auf der Bühne und spielen eine Musik, die, wie der Titel schon verrät, eine reine Klangmusik ist. Sie besitzt eben keine subversiven Elemente von außen, keine rhythmischen Elemente, ihre Struktur entwickelt sich eigentlich aus der Gestaltung des Klanges heraus, und dadurch wirkt das Stück natürlich auch sehr Tableau-artig. Und ich finde, dass das schon ein deutliches Zeichen setzt, dass es um Besinnung geht, um die Rückbesinnung auf die wirklichen Probleme und auf die wirklichen Bedürfnisse des Menschseins, um jenseits von kapitalistischen Strukturen vielleicht doch in eine andere Richtung weiterdenken zu können.
Es wird also in der Programmierung des Eröffnungskonzerts auf Corona zurückverwiesen … Meines Wissens gibt es mittlerweile auch jede Menge „Corona-Kompositionen“ – wurden solche Werke auch berücksichtigt?
Für kurzfristige Kompositionsaufträge zu Kurzstücken in kleinen Besetzungen waren wir natürlich zu spät dran. Ich weiß, dass das RSO Wien etwas in der Richtung machen wird, da sie ja auch einen etwas längeren Vorlauf haben als wir. Ich habe stattdessen andere Stücke programmiert, wie zum Beispiel Mathias Spahlingers doppelt bejaht. Ursprünglich als Orchesterstück geplant und auch 2009 uraufgeführt in Donaueschingen, wird es jetzt in einer komplett neuen Fassung für Kammerorchester stattfinden. Und das auch Corona-gerecht, weil die Musiker:innen nicht auf einer Bühne zusammen, sondern um das Publikum herum verteilt auf vier verschiedenen Bühnen sitzen. Es ist als ein Stück geplant, in dem die Musiker:innen ihren Weg durch das Werk finden müssen, um die Etüden, wie Spahlinger sie nennt, also kurze Klangmodule, sinnvoll zu verknüpfen, was das Ensemble selbst entscheidet. In Donaueschingen hat das Ganze insofern nur partiell funktioniert, weil die Freiheit, die dieses Orchester – ohne Dirigenten wohlgemerkt – hatte, eher für Verunsicherung bei den Musiker:innen gesorgt hatte. Ihre Entscheidung fiel damals dann auf Monitore, die ihnen gewissermaßen vorgaben, in welche Richtungen sie sich zwischen diesen Klangmodulen bewegen sollten. Die Idee Spahlingers war es nun diesen gesamten Apparat auf ein überschaubares Instrumentarium von 18 Musiker:innen zu reduzieren und es dafür aber so umzusetzen, wie es eigentlich gedacht war. Also wirklich vollkommen ohne Lenkung von außen, allein der Eigeninitiative und der Eigenbestimmtheit der Musiker:innen überlassen, die ad hoc entscheiden, in welches Modul sie gleiten. Es gibt natürlich einen Bauplan, der vorsieht, dass ich zum Beispiel vom Modul 8 die Gelegenheit hätte, in die Module 1, 3 und 14 zu springen. Und ich kann dann entscheiden, in welchen dieser drei Vorschläge ich jetzt gleite, und das hängt natürlich immer vom jeweiligen musikalischen Kontext ab, der sich von Aufführung zu Aufführung gewissermaßen kaleidoskop-artig verschiebt. Genau das ist das Spannende an dem Stück: Es ist auf der einen Seite ein strenges Konzeptstück, auf der anderen Seite aber so offen, dass es bei jeder Aufführung die Identität wahrt und gleichzeitig auch unglaubliche Variationsmöglichkeiten eröffnet. Diese Uraufführung der Kammerorchesterfassung von doppelt bejaht am 13. September stellt für mich einen der Höhepunkte in diesem Festivaljahrgang dar.
Diese Durchführungsanleitung kann ja direkt als Symbol für die gegenwärtige Situation verstanden werden, wo man ganz plötzlich und unvermittelt gezwungen ist, Entscheidungen zu treffen oder Laufrichtungen zu bestimmen, von denen man kein Ergebnis kennt …
Das hab ich mir auch gedacht. Ein solches Projekt kann man natürlich nicht in 14 Tagen aus dem Boden stampfen, es ist auch eines der wenigen Stückes, die 2020 sowieso hätten aufgeführt werden sollen. Dass es auch im derzeitigen Programm noch vorgesehen ist, zeigt vor allem dessen noch größere Aktualität. Diese Form von Selbstbestimmung und Koordination innerhalb eines mit 18 Stimmen immer noch sehr unübersichtlichen Gewebes ist genau das, was wir in dieser nach wie vor katastrophischen Situation eigentlich benötigen.
Das heißt, man kann das aktuelle Programm überhaupt nicht als Interimsprogramm, sondern vielmehr als Abbild dessen verstehen, was von der Kunst aktuell auch verlangt wird: Kreativ auf die fremden Gegebenheiten, die Unschlüssigkeit, die Unsicherheit zu reagieren, die in den Menschen ausgelöst werden.
Es war natürlich nicht möglich, innerhalb dieser kurzen Zeit einen derart stringenten dramaturgischen Rahmen zu schaffen, wie das eigentliche Programm 2020 beinhaltet hätte. Es hat trotzdem einen dramaturgischen Bogen in verschiedenste Richtungen, ist auch offen gegenüber verschiedensten Musikströmungen, wie beispielsweise der Kontrapunkt zu Spahlinger, das eher verspielte Stück Passaggio verso il rischio von Vinko Globokar, das Studio Dan spielen wird. Auch der Improvisationsschwerpunkt geht bewusst in ganz verschiedene Richtungen: experimentelle, freie Improvisationsmusik ist genauso vertreten wie eine elektronische Performance und Fusion Jazz der :xy Band von Lorenz Raab am Ende. Ich verspreche mir auch vom Konzert der IEMA viel, die ein sehr hochkarätiges Programm zusammengestellt hat: Außer Mauricio Kagels Ludwig van gibt es noch Stücke von Edgar Varèse, Karola Obermüller und Friedrich Goldmann.
Trotz der Vielfalt gibt es einen dramaturgischen Bogen, der sich vor allem im Schlusskonzert mit dem Klangforum Wien zeigen wird, das den Impuls des Eröffnungskonzerts wieder aufnimmt. Die Uraufführung von Clara Iannottas neuem Stück a stir among the stars, a making way mit 23 Stimmen wird von einem Werk von Liza Lim kontrapunktiert, in dem nur mehr zwölf Instrumente zugange sein werden. Überdies reflektiert Liza Lims Stück die Situation unserer Zeit, nämlich die Zerstörung unserer Umwelt und die Verschmutzung der Meere auf eine Weise, die nie irgendwie plakativ wird und trotzdem so wie das Eröffnungskonzert als ein einziger Fade-out konzipiert ist und zum Reflektieren einlädt: Am Ende bleibt nur noch eine Sologeige über, die verblasst, bis schließlich nur noch das Rascheln einer Kunststofffolie hörbar bleibt.
Werden die anderen Formate wie KLANGSPUREN Barfuss und KLANGSPUREN Mobil im Programm auch bedient oder mussten sie unter Corona leiden?
Gelitten hat in erster Linie die International Ensemble Modern Academy, die diesmal nur von in Europa lebenden MusikerInnen besucht werden kann, weil einfach das Risiko mit außereuropäischen MusikerInnen viel zu groß gewesen wäre und wir dann mit Lücken im Programm dagestanden wären. Es kommen diesmal auch nicht so viele Musiker:innen wie üblich, denn die Räumlichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, wären unter den geforderten Bedingungen einfach zu klein gewesen für größere Ensemblebesetzungen. Trotzdem wird es ein Ensemblestück geben, in dem alle 18 MusikerInnen spielen: Mauricio Kagels Ludwig van, eine Hommage von Beethoven, wie Kagel das so schön formuliert hat, das auch als eine Referenz vor dem Jahresregenten Ludwig van Beethoven gelten kann.
Die Jugendprojekte werden trotzdem unter verkleinerten Bedingungen durchgeführt, also auch Barfuss und Lautstark, und sind aber diesmal eher peripher mit dem Festival koordiniert. Das lag schlicht an pragmatischen Gründen, weil für die Abschlussperformance so kurzfristig kein Saal zur Verfügung stand und das alles terminlich jetzt ganz anders geschichtet ist, als es ursprünglich vorgesehen war.
Was spielt für Sie die Philosophie in Abgrenzung zur Musik für eine Rolle?
Ich hatte damals neben der Philosophie in Graz als Kontrabassist auch Musik studiert, musste dieses Doppelstudium dann aber auf die Philosophie beschränken, um meine Dissertation zu schreiben. Der Hintergrund war natürlich meine Faszination von den Schriften Theodor W. Adornos. Ich spürte, dass hier ein Ansatz gefunden worden war, der bestimmte Phänomene des Musizierens, des Musiklebens nicht nur aus einer philosophischen Perspektive, sondern eben auch aus einer soziologischen betrachtet. Mein Zweitfach war übrigens ja auch Soziologie. Das Motivierende war für mich also, auf einer reflektierenden Ebene immer mit Musik in Verbindung zu bleiben. Das bewegt mich bis heute und meine dramaturgischen Ideen sind natürlich auch von meinen philosophischen Erfahrungen gespeist.
Das heißt, Sie sind bei Klangspuren Schwaz genau am richtigen Platz, Sie arbeiten aber auch als Journalist …
Lange Jahre war ich zunächst im Printjournalismus unter anderem bei den Salzburger Nachrichten, beim Monatsmagazin Bühne und beim Standard tätig und dann natürlich als Korrespondent für die F.A.Z., was ich im Übrigen bis heute noch bin. Sehr viel war ich auch im Rundfunk unterwegs: Beim SWR als Leiter der Redaktion Neue Musik/Jazz hatte ich natürlich Gelegenheit, die avancierteste Musik der Gegenwart kennenzulernen und selbst zu programmieren und zu initiieren. Auch das fließt als Erfahrungsschatz in die Programmierung von Klangspuren Schwaz mit ein. Auch meine Mitverantwortlichkeit für Teilbereiche der Donaueschinger Musiktage und das jährliche NEWJazz Meeting, dessen Konzept darin bestand, dass ein zentraler Künstler gemeinsam mit mir eine Gruppierung für ein Projekt zusammenstellte, die es vorher noch nicht gegeben hatte. In den schönsten Fällen ist es dann auch gelungen, hier wirklich neue Gruppen ins Leben zu rufen, die bis heute noch bestehen.
Ist Jazz also Ihr anderes Steckenpferd?
Das, was ich in den Produktionen beim SWR programmiert hatte, hatte mit dem herkömmlichen Jazzbegriff eigentlich nur eines gemein: nämlich die Improvisation. Aber vom klanglichen Duktus her waren nicht viele Projekte wirklich Jazz-kompatibel, sondern das war wirklich frei improvisierte Musik, die ihre Impulse aus den verschiedensten Richtungen zog, aus der experimentellen Elektronikszene, aus der freien Improvisation, aber auch aus der zeitgenössischen Musik, wo beispielsweise mit mikrotonalen Aspekten experimentiert wurde. Für das Publikum vor Ort war das sicher zunächst eine Umgewöhnung, aber am Ende überwog die Freude, so vielfältige Musik gehört zu haben. Und ich hoffe, dass ich diese Vielfalt auch bei Klangspuren einbringen kann.
Es gibt auch einen Hinweis auf die Vielfalt der Instrumente und deren Spielarten.
Unbedingt! Da ist noch Wolfgang Mitterer zu nennen, der ein spezielles Orgelkonzert in der Hofkirche spielen wird, bei dem eine Renaissanceorgel mit einer elektronischen Tonspur kontrapunktiert wird. Wolfgang Mitterer hat übrigens ein wunderschönes Projekt entworfen, nun also für das nächste Jahr, das eines meiner großen Ziele anpeilt: nämlich wieder mehr Schwazer Publikum für Klangspuren zu interessieren.
Spätestens im nächsten Festivaljahrgang, wenn Tiroler und ägyptische Musiken sich begegnen, wird deutlich, dass diese Gegenüberstellungen überhaupt keinen Sinn ergeben und zeigen gleichzeitig Lösungen auf, um die im Moment so gerungen wird.
Es geht nur gemeinsam. Es geht nicht gegeneinander, auch nicht im Nicht-aufeinander-Zugehen. Man muss einmal verstehen lernen, was andere Kulturen eigentlich für einen Background haben, was sie eigentlich wollen, wie diese Kulturen eigentlich gelebt werden und was deren fruchtbare Meriten sind. Und erst dann kann man mit dieser Kultur in einen Dialog treten. Genau diesem Dialog soll das nächstjährige Programm dienen. Und das gilt nicht nur dem Austausch zwischen verschiedenen Völkern, sondern auch zwischen den verschiedenen musikalischen Genres. Es zeigt sich auch, dass jegliche nationalistische Denkart eine ungebührend eindimensionale Vereinfachung der bestehenden Zusammenhänge darstellt.
Ein Fazit?
Es sind sehr dichte 14 Tage, die zwar eine Verkürzung des Festivals um eine Woche darstellen, in Wahrheit aber nur drei Konzerte weniger beinhalten als in durchschnittlichen dreiwöchigen Jahrgängen. Es war mir auch wichtig, ein konzentriertes Ausrufezeichen in dieser Zeit zu setzen, anstatt es langsam tröpfeln zu lassen, und ich hoffe, dass es mir gelungen ist, dieses Ausrufezeichen auch gut zu platzieren.
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at.
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