Fennesz
Die Mitten zu mischen, ist überhaupt die größte Herausforderung
Zum 30-jährigen Bestehen des Festivals Sonar in Barcelona legte Fennesz seinen Monstertrack Fa neu auf und ließ es in ein visuelles Gewand von Artifical Intelligence kleiden. Unablässig untersucht der gebürtige Wiener mit schimmernden, vor allem komplexen Elektroniksounds alternatives Hören von Clubmusik, vergräbt und beschädigt Audiosignale, bis sie dann aufs Neue glänzen. Als diesjähriger Kurator des Popfest Wien hat ihn Freund und Kollege Dorian Concept am 28. Juli auf den Karlsplatz eingeladen. Eine kleine Unterbrechung der Arbeit an seinem neuen Soloalbum, wie dieses Gespräch.
Du bist in der ganzen Welt unterwegs, nur in Österreich kaum. Im 7. Bezirk hast du aber dein Studio und arbeitest da gern trotz deiner Prominenz ungestört.
Nein, ich bin letztes Jahr mit meinem Studio in den 5. übersiedelt.
Ist das Studio dein Zuhause? Oder die Musik? Und wenn dem so ist, wo bist du dann zuhause?
Ich bin da zuhause, wo ich es mir halbwegs gemütlich einrichten kann. In dem Fall ist das eben jetzt in Wien in einer neuen Wohnung und ich genieße es sehr. Mein Studio hier ist ganz klein, im Prinzip muss alles auf einen Tisch passen. Mein ganzes analoges Equipment hab ich im Keller eingelagert. Aber ich bin sehr zufrieden, alles hat eine top Qualität.
Hast du dich sozusagen sukzessive mit den wachsenden technischen Möglichkeiten auseinandergesetzt oder nutzt du weiterhin, was dir an deinem Equipment vertraut ist?
Ich hatte damals in einem kommerziellen Recording-Studio einen Raum gemietet, ein richtig klassisches Aufahmestudio mit Mischpulten, analogem Audio-Equipment, Synthesizern, jeder Menge Gitarren, Mikrofonen, großen Abhörern usw. Aber nachdem ich dort ausziehen musste, entschied ich mich, wieder wie früher zu arbeiten: in einem kleinen Raum mit wirklich guten Speakern und wirklich gutem Equipment zum Aufnehmen und Komponieren. Wenn ich doch mal extern aufnehmen muss, kann ich das bei Freunden in einem guten Studio gleich hier ums Eck tun. Es geht ja sowieso, wenn es fertig ist, zum Mastering, wo all die analogen Teile wieder dazukommen. Mittlerweile ist die digitale Auflösung so exzellent, dass ich eigentlich keinen Unterschied mehr erkenne. Vielleicht ist ja mein Gehör nicht mehr so gut nach all den Jahrzehnten lauter Musik, aber vor 15 Jahren war echter und synthetischer Sound für mich deutlich hörbar. Das ist mir heute mit diesen hochauflösenden Plugins und Tools nicht mehr möglich.
Hat sich dadurch dein musikalisches Denken verändert? Wie kommt Klang überhaupt zu dir? Suchst du danach?
Manchmal versuche ich eine Melodie mit der Gitarre in Form zu bringen, dann experimentiere ich einfach nur mit Software und Klängen und komm dadurch zu einem Ergebnis, das ich weiterverwenden kann. Das sind verschiedene Stufen im Kompositionsprozess, die nicht vom Equipment abhängig sind. Ich nutze ja im Prinzip die gleichen Teile wie früher, nur dass sie eben nicht mehr analog, sondern digital durch Plugins ersetzt sind. Ganz wichtig sind wirklich gute Tonabnehmer, mit denen man alles hören kann.
Ist das ein Nachhausefinden, wenn du eine Melodie aus deinem Kopf auf der Gitarre oder einen bestimmten Klang suchst? Vielleicht erscheint die Frage dumm, nachdem du dich mehr als 40 Jahre im Feld des Musikmachens aufhältst …
Die Klangwelten, die ich mir im Laufe der Jahrzehnte so erschaffen habe,
sind schon eine Art Heimat für mich. Wenn etwas aufgeht, eine Idee erblüht, dann fühl ich mich richtig wohl, empfinde so etwas wie Selbstsicherheit und bekomme dadurch eine Art Schutzpanzer.
In meinen Anfängen als Djane konnte ich deine Musik nicht gut spielen. So wohl und eingewoben ich mich darin fühlte, so wenig kam sie beim Publikum an. Ich konnte in deiner Musik von Album zu Album einen sehr stabilen inneren Zustand erreichen, sie schenkt dichte, unsichtbare Räume, in denen man sich gut aufhalten kann.
Es ist keine Clubmusik. Vielleicht liefert sie einen Platz zum Träumen, den sollte es doch geben. Zumindest geht es mir so damit und das ist auch mein Ziel für die Hörenden. Eigentlich ist es sehr emotionale Musik, obwohl sie manchmal sehr schwierig ist.
Eine solche idealistische Haltung hast du nicht bewusst intendiert, sie entspricht eher deinem Bedürfnis, so einen Platz zu schaffen.
Ich hab kein großes Konzept und keinen großen Überbau. Mir geht es einfach nur darum, dass ich selbst träumen kann beim Musikmachen.
Und wie ist das dann für dich, andere daran teilhaben zu lassen? Verspürst du auch einen Drang, dich mit deiner Musik zu zeigen?
Das funktioniert interessanterweise eigentlich meist sehr gut. Meine Konzerte sind ja sehr laut und voluminös, dadurch hat die Musik auch einen gewissen Impact, sodass es manchmal auch ziemlich trance-artig zugehen kann.
Senzatempo, dein jüngstes Album, erschienen im April diesen Jahres, passt in meiner Wahrnehmung wunderbar in den gerade angekommenen Sommer, ich meine an manchen Stellen in Floating Time Grillenzirpen hören zu können. Ist Senzatempo ein Sommeralbum?
Es ist nicht wirklich mein Album, sondern die Veröffentlichung von den zwei Italienern Ozmotic. Ich war eingeladen, Gitarre zu spielen und ein paar epische Sounds dafür zu liefern. Ich hab aber weder komponiert noch gemischt. Das Problem ist leider, dass da mein Name an falsche Stelle gerückt und es als Fennesz-Album verkauft wurde. Das ist nicht der Fall. Das ist ziemlich ungut und ohne meine Kenntnisnahme gelaufen. Nun ist es wie es ist, ein großartiges Album liegt auf dem Tisch – es ist aber definitiv nicht mein eigenes, denn mein Anteil war relativ gering. Wir waren eine Woche zusammen in Turin, ich war einfach ein Session-Musiker. Wir kennen uns ja schon eine Weile und haben bislang auch immer schöne Sachen zusammen gemacht.
Ist da bei dir Ärger?
Meine Soloveröffentlichungen folgen einer Linie. Es dauert immer ein paar Jahre, momentan arbeite ich gerade an einem neuen – Senzatempo war nicht mein Plan.
Es lag so nahe, zu glauben, dass Senzatempo dein neues Album ist, weil es ungefähr in deinen Veröffentlichungsrhythmus von vier Jahren passt.
Wegen Corona musste ich damals meine Amerika-Tournee abbrechen und konnte mein letztes Album ja wirklich nicht promoten. Die Tour für Agora habe ich erst letztes Jahr zweimal in den USA und in ganz Europa nachgeholt. Deshalb müsste man diesmal eigentlich zwei Jahre dazurechnen.
Wie schaffst du diese Touren?
Meine Frau Mira, die das Management macht, und ich versuchen, die Konzerte so gut wie möglich zu zentrieren, also lieber vier Wochen konzentriert zu spielen und danach ein halbes Jahr wieder frei arbeiten zu können. In Europa trete ich aber trotzdem immer mal wieder zwischendrin auf, weil es hier häufiger On-Off-Shows gibt. So hab ich im Juli zwei Konzerte und bis Oktober dann aber gar nichts mehr. In diesen drei Monaten hoffe ich, mein Album fertigzustellen, damit es in diesem Jahr noch veröffentlicht werden kann.
Wo sammelst du deine Ideen?
Sie kommen, sobald ich die Geräte einschalte und zu improvisieren beginne. Mit dem Recorder vom Handy halte ich mir zwar immer wieder unterwegs Melodieskizzen fest, auch mit der Akustikgitarre schreibe ich solche Meldodienotizen. Aber mittlerweile ist da ein riesiges Archiv entstanden, auf das ich ununterbrochen zugreifen kann. Vieles vergesse ich und entwickle das dann bei erneutem Drüberstolpern weiter.
Du könntest jeden Tag eine neue Geschichte spinnen, wenn du dich in deinem Fundus eingräbst.
Genau so mach ich das auch. Man muss eigentlich immer ein Aufnahmegerät bei sich haben.
So entstehen auch deine Fieldrecordings.
Das Handy ist perfekt dafür. Die Klangqualität ist dabei völlig egal. Es ist nur wichtigst, die Idee zu catchen.
Gibt es einen Naturalismus in deinem Denken? Grillenzirpen, Fieldrecordings und die Cover leiten auch in diese Richtung …
Das ist Jon Wozencroft, der Fotograf und Künstler des Labels. Er gestaltet die Cover. Hin und wieder verwende ich Fieldrecordings, aber nur ganz selten eigentlich. Mir wurde Naturalismus immer angehängt. Derweil versuch ich viel lieber mit dem Computer Geräusche zu erzeugen, die wie Fieldrecordings klingen. Das weiß aber niemand. Da bin ich schon richtig gut.
Diese Ideen oder Melodien, Umgebungsgeräusche gräbst du dann in Klangflächen ein, sie scheinen ab und an noch durch, sie werden eingehöhlt, nicht versteckt, aber eingekapselt, vielleicht geschützt dadurch?
Ich wollte nie zu direkt sein.
Und zitieren schon gar nicht.
Die Ideen sollten wie hinter einem Vorhang, nicht zu eindeutig präsentiert werden. Das erschien mir immer banal. Man sollte suchen können, und dann auch finden. Es gefällt mir soundtechnisch auch besser, wenn etwas versteckt, nicht so vordergründig ist.
Wie in der Erotik: Der Zauber liegt im Verborgenen.
Unbedingt, auf jeden Fall. Ich sehe es so.
Dann bist du zum einen ein Zauberer, und zum anderen holst du den Zauber zurück in die Welt. Wir in der westlichen Hemisphäre folgen spätestens seit der Aufklärung der fanatischen Idee, alles rational mit einer möglichst emotionslosen Sprache benennen könenn zu müssen, und sind uns dadurch fremd und unwesentlich geworden. Jedenfalls fehlen etliche Parameter, um Mensch ganz zu fühlen.
Obwohl ich bis heute ein sehr sozialer Mensch bin, gibt es Bereiche wie die Musik, das Spielen von Gitarre oder Synthesizer, das Komponieren, die ich für mich behalte. Dort kann ich an eine andere Welt andocken und das will ich auch so belassen und mir erhalten.
Da spielt dir die Digitalisierung in die Hände, Vieldeutigkeit zu schaffen.
Es kommt darauf an, wie man sie nutzt. Je mehr präzise Tools man hat, desto mehr Unfug kann man damit auch anrichten. Man muss sie richtig benutzen. Und schon wird’s eine moralische Frage …
Waren Ethnomusikologie und Gitarre deine Ausbildungswege?
Meine Abschlussarbeit für die Matura am Musikgymnasium war ein Stück von Johann Sebastian Bach auf der klassischen Gitarre. Ich spielte gleichzeitig auch immer in Bands, mit 14 hatte ich eine Punkband. Während meiner Studienzeit unterrichtete ich sogar kurzzeitig mal Gitarre, aber eine Ausbildung am Konservatorium hab ich nicht, obwohl ich derzeit sogar einmal im Semester an der Musikuni ein paar Stunden unterrichte. Letztlich habe ich mir alles selbst beigebracht. Und studiert hab ich damals Ethnologie und Musikwissenschaften. Meine Dissertation wollte ich über die Popmusik der 60er Jahre in Westafrika schreiben. Mitten in der Dissertation ging es irgendwie nicht weiter. Ich hatte die ersten Aufträge für Theater und Tanz und merkte, dass ich ein sehr schlechter Wissenschaftler, aber vielleicht ein besserer Musiker wäre. Also hab ich die Seiten gewechselt.
Total weise.
Im Nachhinein ja. Damals war das für Eltern etc. nicht so toll. Aber meine Mutter ist heute sehr zufrieden.
Fruchtbare Begegnungen halfen wahrscheinlich dabei, was in der Szene der elektronischen Musik der 90er Jahre unabdingbar war, wie Billy Roisz oder Michaela Schwentner zum Beispiel beschrieben haben …
Eigentlich komme ich ja aus der Underground-Rock-Szene und spielte in Bands, die ein bisschen nach Sonic Youth oder My Bloody Valentine klangen. Als ich mich bereits in den 80ern mit Elektronischer Musik zu beschäftigen begann, kam ich mit Brian Eno, David Sylvian und Ryuichi Sakamoto in Kontakt, sie sind und waren – Sakamoto ist im März 2023 gestorben – wirklich enge Freunde. Diese Mischung hat schon meinen Sound geprägt. Gleichzeitig war ich aber auch immer an Jazz, am Improvisieren interessiert und hab da ganz großartige Leute getroffen.
Welche Sprache sprichst du in den mannigfaltigen Kollaborationen, die es mit dir gibt, beispielsweise dem Trio Fenn O’Berg?
Wir waren damals so ca. 1995/96 auf einem Jazzfestival eingeladen, obwohl wir so verrückte Elektronikmusik machten und trafen da auf Jim O’Rourke. Es stellte sich heraus, dass er ein großer Fan von Peter Rehberg und mir war. Wir entschieden uns zu einer spontanen Session auf der Bühne, die so cool war, dass wir damit weitermachten. Noch in den 90ern gab es dann eine große Europatournee von Fenn O’Berg, in Japan auch und zwei, drei Alben natürlich.
Wie nah muss man bei sich sein und wie sehr sich seiner Sache sicher, um auf einer Bühne quasi zu proben?
Das war alles improvisiert. Es gab überhaupt nichts Vereinbartes und hat aber super funktioniert, weil Peter und Jim sich auf ihr Handwerk verstehen. Es war auch ein bisschen punkmäßig, aber hat uns unglaublichen Spaß gemacht.
Dafür war es dann gut, auch mal draußen zu sein …
Stimmt, genau.
Und wie bist du mit Ryuichi Sakamoto zusammengekommen?
Das war 2002, auf Tour in New York. David Sylvian erzählte ihm, dass ich in der Stadt bin und Ryuichi rief mich einfach an, ich sollte in sein Studio in seinem Haus in Westvillage kommen. Ein sehr schönes, angenehmes Studio. Wir haben den ganzen Tag miteinander verbracht, gemeinsam gejammt, gegessen, ein bisschen Wein getrunken. Es war sehr gemütlich und ganz klar, dass wir unbedingt zusammenarbeiten müssen.
Wie ist das, wenn Menschen, zu denen eine solche Verbindung besteht, gehen? Peter Rehberg ist vor zwei Jahren, Ryuichi Sakamoto erst in diesem Jahr verstorben.
Schlimm, es hat mich sehr mitgenommen. Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht, diese ganzen Tourneen, auch mit Peter. Mit ihm war ich zum ersten Mal in Japan, zum ersten Mal in Australien, auch zum ersten Mal auf Amerikatournee. Und mit Ryuichi war es ähnlich: Unser Duo ist ja wirklich sehr viel getourt, vor allem in Italien, Spanien und Japan, auch ein bisschen in Amerika. Da lernt man sich schon sehr gut kennen. Es ist, als hätte ich Mitglieder meiner Familie verloren. Wir chatteten noch per iMessage, drei Tage vor Ryuichis Tod. Seine Frau rief mich dann an, dass es soweit ist. Und ich musste auf die Bühne in Malmö, Schweden – das war wirklich furchtbar.
Hörst du das in der Musik, die du danach komponiert hast?
Natürlich.
Kollaborationen sind also gar keine Brotjobs für dich.
Meine besten Freunde sind auch in der Musik. Es ist einfach schön, Freunde zu treffen und gemeinsam zu spielen. Das ist der Grund. Außerdem sind wir alle ein bisschen verschieden, mit jeweils eigenen Stärken und Schwächen. Ich kann da immer auch etwas lernen. Jim O’Rourke ist zum Beispiel ja fast ein Renaissance-Mensch. Mit ihm im Studio mache ich jedes Mal so tolle Erfahrungen. Ihn wiederum fasziniert es auch, dass ich so schräg an die Dinge herangehe.
Und die Musik ist eure Sprache.
Wir sind jetzt schon seit mehr als zehn Jahren wirklich enge Freunde, aber die Musik ist das, was uns zusammenhält. Wir schicken uns gegenseitig unsere neuesten Ideen und sagen uns auch ehrlich die Meinung dazu. Wenn man viel allein arbeitet, gibt es ja schon auch diverse Isolationsstrudel. Und da ist es gut, sich ab und an auszutauschen.
Mehrfach sprachst du in anderen Interviews davon, die Gitarre eine Terz, den Max MSP überhaupt tiefer zu stimmen, damit du in die unteren Schichten kommst. Bist du ein Archäologe in der Musik?
Das ist eine gute Wortwahl. Mark Linkous, Sparklehorse zum Beispiel, meinte einmal zu mir, ich wäre ein Archäologe der Popmusik der 70er Jahre, FM-Radio-Geologe. Und irgendwie hatte er da recht. Mir sind Melodien aus meiner Kindheit und frühen Jugend immer noch präsent.
Man kommt nicht weg von seiner ersten Prägung.
Das ist aber auch schön so. Mir macht es einfach Spaß, eine schöne Akkordfolge zu finden und die am Ende in völlig Abstraktes geführt zu haben. Dieser archäologische Prozess ist so sehr faszinierend.
Theoretisierst du deine Musik auch?
Nicht vordergründig, nicht am Anfang. Nachher aber doch, um zu verstehen, was ich da gemacht habe. Zum Beispiel gibt es oft Harmoniewechsel, die ich interessanter als andere finde: wenn ich beispielsweise von der ersten auf die siebente Stufe wechsle. Dem versuche ich auf die Schliche zu kommen, damit ich Querverbindungen zu bereits bestehender Musik finden kann, wie von Chopin oder Bach. Diesbezüglich habe ich viel von Ryuichi Sakamoto gelernt.
Ist ein analytisches Hören Teil des Musikkomponierens?
Es ist furchtbar, in so einem analytischen Hören gefangen zu sein. Man kommt dann ganz schwer wieder raus. Ich habe einen rein emotionalen, keinen analytischen Zugang zur Musik. Sicher gibt es ein Verständnis für die Theorie von Musik, aber ich belasse sie lieber dort, wo sie einmal war.
Was würdest du als dein Instrument bezeichnen?
Die Gitarre und den Laptop, beides. Einmal das analoge Instrument und Laptop und Studio sind auch mein Instrument.
Hast du bei dem Vorgang, etwas Abstraktes aus etwas Konkretem zu schaffen, auch einen Bezug zum Raum? Oder entsteht er für dich durch die Musik?
Wenn ich etwas komponiere oder produziere, denke ich nicht in erster Linie an den Raum, sondern an den finalen Mix. Wie der dann in den Raum klingt, ist eine ganz andere Frage. Bei manchen Stücken war ich extrem unglücklich, wie sie dann im Raum, in einer Halle klangen. Das ließ sich aber nicht vorhersehen. Daher spiele ich meine neuesten Ideen immer gleich bei den Live-Konzerten und kann dann gleich einschätzen, welche Sachen eher albumtauglich sind oder super Live-Nummern werden.
Wovon hängt das ab?
Es hat womöglich viel mit den Frequenzen zu tun, aber ich bin noch nicht wirklich drauf gekommen. Die Nummern, die live nicht funktionierten, waren meistens schwierig in den Mitten. Die Mitten zu mischen, ist überhaupt die größte Herausforderung. Auch verzerrte Klänge kommen live nicht so gut, man muss sie dann live direkt verzerren. Dieses Thema beschäftigt mich ständig, wenn ich an einem Album arbeite.
Du machst dann auch alles selbst an einem Album?
Natürlich. Der Mix ist bei mir auch ein Teil der Komposition.
Fokussierst du dich nur auf das Gegenwärtige oder hältst du dich auch an eigenen Meilensteinen fest?
Das darf man nicht machen, dann kommt man nie mehr weiter. Abgeschlossene Sachen dürfen für sich stehen. Lange wurde von mir ein neues Endless Summer erwartet. Aber wozu? Ich hab es doch schon gemacht. Ich will mich doch nicht wiederholen, da wird mir langweilig.
Das ist die Dialektik des Musikerdaseins: Man entwickelt eine eigene Handschrift mit Wiedererkennbarkeit gerade indem man unentwegt Neues ausprobiert und produziert.
Das ist so schwierig. Ich habe mit David Sylvian an seinem Album Blamish nach dem Ende seines Vertrages mit Virgin Records gearbeitet, er schickte mir die Aufnahmen und ich erklärte ihm, dass seine Fans ausrasten und diese Musik nicht verstehen werden: sie war viel abstrakter geworden, die Ambientmelodien alle weg. Das nächste Album Manafon war noch ärger – die gesamte Fanbase war wütend und hat sich von ihm abgewandt. Irgendwann haben sie es verstanden und kamen wieder zurück. Das war total interessant.
Der Künstler arbeitet für und aus sich und ist doch abhängig von der Resonanz des Publikums, wie Corona ja auch anschaulich verdeutlichte.
Mir erging es zum Glück sehr gut. Ich hab Ballette und Choreografien von Damien Jalet, meinem Freund und belgischen Choreografen, vertont. Seine Arbeiten sind sehr ausschweifend, fast kitschig. Aber er mag meine Musik und will sie oft dafür haben. Dann gestaltet sich unsere Zusammenarbeit bisweilen auch schwierig, wenn er beispielsweise nachts um Vier anruft und meint, Takt 43 müsste eine Sekunde länger sein. Diese Freundschaft wird also doch immer wieder auch stark belastet. Aber die Stücke sind wahnsinnig virtuos mit spektakulärer Lichtshow, sie werden an allen großen Häusern der Welt gespielt. Es gibt gute Tantiemen. Aber natürlich war Corona frustrierend. Obwohl ich die Ruhe im ersten Lockdown sehr genossen habe.
Man konnte Beziehungen, zum Beispiel die zu seinen Kindern, stärken. Meine Tochter wünscht sich bis heute wieder Lockdown, weil es da mehr Möglichkeiten für sie gab, dem eigenen Rhythmus zu folgen.
Beim nächsten und beim dritten Lockdown wurde es dann aber schwierig.
Machst du Sounddesign für Theater, Ballett und Film?
Es ist alles durchkomponiert, aber eine wahnsinnig anstrengende Arbeit. Ein Brotjob sozusagen. Interessanterweise kann ich da ziemlich radikal und heftig werden, womöglich als Gegenpol zum Kitsch und Mainstream.
Als Begleitung kann Musik natürlich auch viel mehr wagen.
Klar. Wenn ich so noisy, manchmal fast brachial werden kann, macht es fast schon wieder Spaß.
Gab es ein Schlüsselerlebnis für deine Hinwendung zur elektronischen Musik? Oder war es die erste Begegnung mit einem Sampler?
Ich war hatte damals gerade ein Theaterstück vertont und konnte mir meinen ersten Ensoniq Sampler mit eingebautem Sequenzer leisten. Der klang super. Ich hab sofort begonnen, meine ersten Aufnahmen damit zu machen. Das war ein extrem befreiendes Erlebnis. Plötzlich war ich Produzent und konnte meine eigenen Sachen aufnehmen. Ich kam damit an die Öffentlichkeit, hab sofort das Album für Mego begonnen, das Label Synthaktik in Wien machte eine 7inch, in London hab ich sofort angedockt. Plötzlich war ich in der Szene drin. Die verfügbaren Produktionsmittel wurden mit Sommerjobs zunehmend leistbarer.
Das hast du auf der Gitarre nicht gefunden.
Das wär nicht gegangen. Es gab damals Studios mit billigen Fostec-Abspulmaschinen – dagegegen klang mein Sampler echt seriös. Die beginnende Techno- und Houseszene wirkte auch sehr faszinierend auf mich. Alles fresh und neu.
Man musste sich connecten.
Die Leute haben sehr unterschiedliche Dinge gemacht: Drum’n’Bass, Downtempo von Kruder&Dorfmeister, die Cheap-Fraktion um Patrick Pulsinger, Techno und Mego. Wir waren eher so die Schrägen, die ganz abgefahrene Dinge gemacht haben. Trotzdem waren wir alle an einem Platz im Austausch. Richtig schön.
Ist das nicht auch eine Enklave gelebter Demokratie unter dem Dach der Elektronischen Musik?
Vielleicht. Damals war es schon so. Eine kurze utopische Szenerie. Sehr inspirierend.
Wie werden dein Samples zu einem Track?
Ich hab kein richtiges Vokabular dafür, aber ich weiß, wann ich für mich die Qualität habe, zu bestehen. Das ist ein Gefühl und vieles schmeiß ich auch weg.
Bist du dein einziger Gutachter dafür?
Im Prinzip schon. Meine Frau und Managerin Mira sagt aber auch manchmal etwas dazu und sie hat immer recht. Gerade nach den vielen Tourneen bin ich ganz schön müde und mein Enthusiasmus hält sich in Grenzen, aber das kann sich ja auch wieder ändern. Inspiration darf man nicht pushen, sie kommt oder sie kommt nicht. Das kann sich innerhalb von Tagen total ändern. Monatelang hatte ich keine Ahnung, was ich machen soll. Und dann hab ich in nur wenigen Tagen die Tracks. Diese frustrierenden Momente sind auszuhalten, ich hab ja einen schönen Job.
In die Abstraktion zu gehen, bedeutet viel Zeit in Anspruch zu nehmen: von dir selbst, von den Rezipienten, von der Sache selbst, einen Weg dahin zu bahnen. Woher nimmst du diese Zeit, um deine Atmosphären zu entwickeln und den Momenten, die dich fesseln, in den Kern zu zoomen? Weniger im Sinne der Analyse, als vielmehr diesen Kern zum Leuchten, in einen anderen Wahrnehmungskanal zu bringen.
Diese Zeit muss man sich einfach nehmen. Da muss man müßig sein. Ich erbitte mir das manchmal schon, muss dann da durch und kann anschließend wieder stehen, kurz absetzen und weiter sehen. Als freiberuflicher Musiker ist es schon sehr schwierig, man muss sich Zeit verschaffen für seinen Job, seine Berufung, für sich selbst. Ein Künstler ist im Prinzip immer ein Egoist, der diese Tatsache auf ein erträgliches Maß abstufen können muss.
Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at
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