Thomas Wagensommerer
Ich kuratiere eigentlich meine eigenen Fehler
Um seinem Unabhängigkeitswillen größtmöglichen Raum geben zu können, praktiziert Thomas Wagensommerer eine radikale Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und vermag Eigenschaften immer auch eine konstruktive Bedeutung abzugewinnen. Derzeit macht er mit seiner kontinuierlichen Radioechtzeitinstallation komposition ~nowwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww~ von sich reden, die genau ein Jahr dauert und vom 27.1.2020-27.1.2021 im CTM Radio Lab sowie im Ö1-Kunstradio und auf Deutschlandfunk Kultur online hörbar ist.
Wie bist du auf die 24 gekommen?
Das Thema des CTM-Festivals war damals Liminal spaces, also Grenzbereiche, und das begegnete meiner eher privaten Auseinandersetzung mit dem Jetzt, abseits seiner Verwendung als Kampfbegriff der Gegenwart. Da wird ja gerade während der Coronakrise gern von „Entschleunigung“ gesprochen, einem Begriff, den es in der Physik nicht gibt – da spricht man höchstens von negativer Beschleunigung – und der daher sofort eine esoterische Dimension eröffnet. Die Auseinandersetzung mit dem „Jetzt“ gerinnt außerdem zu einem Wohlstandsthema, weil sich ein Mensch mit existenziellen Nöten wohl kaum mit einem Begriff vom Jetzt auseinandersetzen kann. Deswegen war mein Versuch, es etwas spielerischer anzugehen und den erhobenen Zeigefinger der Achtsamkeitsdebatte auszuschließen. Meine Frage war also: Was kann ein Jetzt bezogen auf ein Jahr bedeuten? Meine Recherchen ließen mich über die 1996 gegründete The Long now foundation stolpern, von der Brian Eno ein Mitglied ist. Mich begeistern seine Person, seine Überlegungen und Vorträge und seine Art, wie er mit seiner künstlerischen Praxis in gesellschaftspolitische Kontexte übergegangen ist, ohne dogmatisch zu wirken. Besagte Foundation wollte eine 10.000-hour-clock entwickeln und mögliche und notwendige Zugänge zu so einem Ziel abklopfen. Mich beeindruckte dieser Vorgang: sich ein fast unerreichbares Ziel zu setzen und dabei interdisziplinäre Forschungsstränge und lauter neue Fragen auszuarbeiten. Diese Gruppe hatte sich bereits Ende der 60er-Jahre als eine progressive, sehr computeraffine Cybergruppe gegründet und versucht, sich im damals sehr wüsten Silicon Valley anzusiedeln und dort eine neue Gesellschaft aufzubauen. Im Whole Earth Catalogue haben sie versucht, alles notwendige Wissen für eine Gesellschaft einzubauen, was als der Vorreiter von Google gilt: Darin sind die Konstruktionen von Buckminster Fuller, aber auch die Vererbungsregeln von Erbsen, Thermodynamik und der Bau eines Holzhauses erklärt – der gesamte Wissensstand der damaligen Zeit ist dort abgebildet. So ein „The Long Now“ wollte ich auch machen und genau vor 24 Jahren, also ebenfalls 1996 ist der Song Coming back to me now von Celine Dion herausgekommen, deren „now“ am Ende des Lieds ich dann verwendet habe und auf ein Jahr ausdehne. Noch einmal 24 Jahre früher, 1972, war das längste astronomische Jahr in der Menschheitsgeschichte und gleichzeitig hat in diesem Jahr der Club of Rome The Limits of Growth veröffentlicht. In dieser Studie wird versucht, die Ressourcenverteilung bei gleichbleibendem Verbauch in der Welt mittels der ersten Computersimulation „World Three“ zu prognostizieren. Sie ermittelte einen turning point in 2044, also 24 Jahre nach jetzt (2020), wo die menschliche Population derart stark zugenommen hat, dass Pandemien beginnen auszubrechen, die Ressourcen zu knapp sind und alles zu kippen beginnt. Die Geburtenrate geht wahnsinnig nach unten, die Todesrate steil nach oben. Ich mag diese spielerischen, teilweise konspirativen Narrative sehr, die ja in Coronazeiten heftig hörbar werden, aber im künstlerischen Arbeiten natürlich strukturierendes Element sein können. Das ist auch das Schöne daran: So frei arbeiten zu können, ohne sich einem Allgemeingültigkeitsanspruch stellen zu müssen.
Ich hab so eine direkte Assoziation zu John Cages Slow As Possible in Halberstadt, vergangenes Wochenende war gerade Tonwechsel. Hast du daran auch gedacht?
Das ist natürliche eine Arbeit, die ich immer schon großartig fand, und das gar nicht nur wegen seiner langen Ausdehnung, sondern auch, weil die Orgel ja bislang noch von niemandem bespielt werden konnte. Eine Art subversiver Akt, als Veranstalter mit dem Image des Künstlers kokettieren zu wollen und dann aber die Bühne bzw. das Instrument damit quasi zu blockieren.
Entgegen Cage fragst du aber nach dem Gegenwärtigen, indem du es mit dem Unendlichen auszufüllen bzw. die dessen Grenzen aufzuspüren versuchst .
Seit ich dieses Stück wahrgenommen habe, ist es mir natürlich nie wieder aus dem Kopf gegangen. Ähnlich wie bei Brian Eno hat mich das Resultat letztendlich nicht sonderlich überzeugen können. Spannend ist aber zu beobachten, dass dieser Fetisch auftaucht und sich Menschen an der Orgel einfinden, um zuzuschauen, wie der Ton wechselt. Das bestätigt das Konzept noch so viel mehr: Das Publikum feiert das Konzert und braucht trotzdem diese physische Erscheinung an der Orgel.
Was wiederum die Notwendigkeit des Konzeptes bestätigt … Wie baust du die Brücke zwischen Konzept, Gedanke, Theorie, Modell, Frage zur Umsetzung? Brauchst du das Ergebnis als Substanz gegenüber der Lust am Denken? Wie muss das Ergebnis dann aussehen?
Das ist abhängig vom Zugang zu einer Arbeit, der sich schon entscheidet, bevor überhaupt irgendetwas passiert. Wenn ich das „wilde Denken“ wie es mein ehemaliger Professor und heutiger Chef Markus Wintersberger nannte, also das lustvolle Nach-Vorne-Denken, ein Nicht-Wissen-Müssen ansetze, dann ist das Resultat so etwas wie ein Bumerang, der ins Konzept zurückschleudert, ein Ort der visuellen, akustischen oder haptischen Verhandlung, eine Art Schatulle, Gefäß des Aushandelns. Andererseits nähere ich mich unterschiedlichen Projekten doch oft auch sehr von einer praktischen Seite, weil ich das Arbeiten mit dem Material mag und ein in der Kunst Arbeitender sein will. Wie ein Bildhauer bau ich mir zuerst mal mein Material ab, recherchiere, sammle und lege dann Hand an, vielleicht eher prothetische Hände, die über Codes und Erweiterungen funktionieren. Mir geht es um das Eingreifen in und das Resonieren mit dem Material und ich möchte dessen Auswirkungen spüren, einen sogenannten virbrierenden Draht aufbauen, dass heißt, ich muss mich einlassen und einige Zeit in das Material vergraben, mit ihm leben. Natürlich auch für eine gewisse Selbstvergewisserung, für mein physisches und emotionales Empfinden.
Und die Software, die Programmiersprache ist dein Werkzeug …
Genau, obwohl ich kein sehr guter Programmierer bin. Meine eher kindliche Herangehensweise erzeugt wahnsinnig viele Fehler und lässt mich auch auf positive Art und Weise den Respekt vor den Vorgängen verlieren. Ich verwende Material immer gern von einem leicht außenstehenden Standpunkt aus, weil dadurch das Scheitern ausgeschlossen wird.
Und wie gehst du da ran?
Ich habe diesen sehr uneffizienten Zugang, immer wieder von vorn zu beginnen und mich für Projekte in das Material sehr tief und lange einzugraben und halte es da mit Aphex Twin, der sagt, dass er alle seine Sachen löscht, wenn er einen Track fertig hat, damit er die Sachen daraus nie wieder verwendet und immer wieder von vorn beginnen muss.
Vor Jahren hätte ich dich eher im elektroakustischen Feld aufgesucht, jetzt sind es mehr Videos, die dein Output dominieren – ist es egal, womit du arbeitest?
Ich muss mich nicht einer Tradition verpflichten, sondern steh gern lieber für mich allein. Ich arbeite nur mit Freunden und lebe in einer Generation, in der solche Unterscheidungen gar nicht mehr so stark stattfinden. Wir nehmen einfach das, was kommt und bearbeiten es.
Wie läuft dann die Zuordnung in gemeinsamen Projekten?
Abhängig von den Konstellationen ergibt sich das meist sehr schnell von selbst. Wie in einem aktuellen Projekt mit Jorge Sanchez-Chiong und Brigitte Wilfing, das End-Art-of-Stage-Ensemble, das versucht hat, Situationen zu entwickeln und dann zu schauen, wer welchen Zugang liefert. Der Versuch ist der, dass die Choreografie sich entsprechend dieser Zuordnungen verändert. Zusammen mit meiner Partnerin Louise Linsenbolz sind wir als TE-R auch Teil des Ensembles neben David Panzl und Samuel Toro-Pérez und versuchen Freundschaften auch einfach ins Praktische umzusetzen. Je nach Projekt ändern sich da die Konstellationen und somit auch die Funktionen. Das Meiste passiert also tatsächlich vor Ort durch das Zusammenkommen.
Das ist eigentlich Improvisation.
Genau, ich improvisier die ganze Zeit, das meinte auch mein ‚Außenstehen‘ beim Programmieren. Ich lerne in Tutorials, setze dann fehlerhaft um und verwende das fehlerhafte Ergebnis weiter, wenn es mir gefällt. Ich kuratiere eigentlich meine eigenen Fehler.
Trotzdem ist eine Aufmerksamkeit gegenüber Details feststellbar, die dann von dir wie bei Morpheme mikroskopisch betrachtet und in Bewegung versetzt werden…
Bei diesem Projekt mit Electric Indigo hatte Susanne Kirchmayr genau diesen mikroskopisch-konzeptionellen Zugang vorgeschlagen. Die gesamte Arbeit basiert auf dem Satz „To let noise into the system is a kind of fine art in both cybernetic terms and in terms of making music, too.“ von Sadie Plant, den Susanne bei dem CTM panel sound, gender, technology 2014 aufgenommen hat. Ich habe dann versucht, diesem Konzept folgend, aus dieser Reduktion gemäß dem Imperativ Robert Henkes „Give me limits!“ das größtmögliche Potenzial dieser Limitierung auszuschöpfen.
Warum arbeitest du wissenschaftlich?
Ich arbeite an unterschiedlichen Forschungsprojekten an unterschiedlichen Universitäten, weil es sich einerseits so ergeben hat, ich aber die wissenschaftliche Auseinandersetzung auch immer schon gesucht habe, Zugang und Möglichkeit zu Erkenntnis zu ebnen, um auch etwas zu tun, das nicht nur mir hilft. Denn das Spekulative aus dem künstlerischen bzw. persönlichen Ausdruck hilft mir, gesund zu bleiben. Ich bin und bleibe ein unbedingter Vertreter von open access und finde nichts schlimmer, als gesperrte Zugänge zu Wissen sowohl im künstlerischen als auch im wissenschaftlichen Kontext. Ökonomische Gründe stellen für mich dabei keine legitime Begründung dar, es darf in einer Wissensgesellschaft einfach keine Sperrungen solcher Art geben. Mediale Inhalte, die virtuell bereits existieren, müssen frei zugänglich sein, weil deren Kopie keine Ressourcen außer Speicherplatz und Strom aufbrauchen. Aber das sind andere Diskussionen.
Wie hältst du es dann mit dem Begriff des geistigen Eigentums?
Den versteh ich nicht ganz. Wieso kann die Idee des einen nicht auch zur Idee eines anderen werden? Sobald Kosten in der Produktion entstehen gehören die meiner Meinung staatlich getragen, um so kulturelles Allgemeingut zu erzeugen, dass jedem zugänglich und so auch im Sinne der Gesamtgesellschaft ist. Das darf weder auf Künstler noch auf Rezipient übertragen werden, ganz ähnlich wie in der Grundlagenforschung.
Warum Virtualisierung und Game Arts? Lockt dich die Möglichkeit, eine andere Welt zu entwerfen?
Mich lockt nicht so sehr eine andere Welt zu entwerfen, als meine Welt, als eine andere, eine virtuelle Realität. In der physischen Realität, wo wir uns gewissen physikalischen Gesetzmäßigkeiten unbestreitbar ausgesetzt wissen, besteht aber auch die Möglichkeit, eine Realität im Virtuellen auszugestalten, die Simulationen ermöglicht, welche sich dann wieder auf die physikalische Realität rückbeziehen und anwenden lassen.
In virtuellen Realitäten und deren Simulationen sind Erkenntnisgewinne, also auch emotionale Erfahrungen möglich, wobei die Gesetzmäßigkeiten der Rahmenbedingungen von mir ja erst erfunden und festgelegt werden. Hierin liegt auch der Unterschied zwischen Game und Play: beim Play wird durch den spielerischen, prozessualen Zugang die Welt und deren Gesetze überhaupt erst beschrieben. Sie ist nie vollendet, sondern wird immer wieder um eine neue Beschreibung erweitert. Mir gefällt, dass in dieser virtuellen Realität auch Beziehungen aufgebaut werden können, ohne eindeutig wissen zu müssen/können, wer oder was sich hinter den jeweiligen Bezugspunkten verbirgt. Hier bietet sich auch eine Möglichkeit, sich selbst mit verschiedenen Charakterzügen zu modellieren und auszuprobieren, also auch eine Art sich seiner Selbst zu ermächtigen. Daraus lässt sich auch die Nähe einer virtuellen Welt zum Theater ableiten, weil diese Konzepte sehr wesensverwandt erscheinen. Mein Zugang zur Welt ist der, dass man durch Technik, also in Prothesen überführte Technologie, Arbeit vermeiden kann. Das wohnt ja auch jedem Organismus inne, um Ressourcen zu schonen. So können wir auch endlich dahin kommen, Lohnarbeit überflüssig zu machen, sofern das zum gesamtgesellschaftlichen gewollten Ziel erklärt wird.
Deine Videos spielen auffallend mit Plastizität, sie entsteht und verschwindet. Geht es dir da um die Körperlichkeit im Virtuellen oder darum, den menschlichen Körper zu animieren?
Ja, ich möchte eigentlich genau diese prozessuale und zustandslose Körperlichkeit im Virtuellen erspüren. Ich will nicht etwas Physisches im Virtuellen ab- oder nachbilden – nichts ist langweiliger und erkenntnisloser als Photorealismus – sondern ich möchte genuin virtuelle Plastizitäten und Körperlichkeiten und deren Übergänge herausbilden. Manchmal, vor allem in der Arbeit mit Louise Linsenbolz als TE-R, beschäftige ich mich bzw. wir uns auch mit der Virtualisierung menschlicher Körper und deren Bewegungen und physikalischen Limitierungen, die ja im Virtuellen aufgehoben werden, in der Rezeption aber immer noch eine Rolle spielen. Wie denkt und spürt man als Rezipientin die Bewegungen, die im physischen Raum gar nicht möglich wären? Wann und wie beginnt der Mensch mit dem Virtuellen zu resonieren?
Du gibst dir die Freiheit, mit Virtualitäten zu spielen – lässt du Fragen nach Zukunft, Utopie, Dystopie in deine künstlerische Arbeit ein?
Ich habe transdisziplinäre Kunst (TransArts) studiert, als sich dieser Studiengang gerade im Übergang vom Bildhauerstudium befand, wo es üblich war, zu Semesterbeginn Material zu bestellen und dann zu bearbeiten, um nach Missglücken wieder Material zu bestellen. Das kostet Geld und noch mehr Zeit und dafür bin ich eindeutig zu ungeduldig. Deswegen auch meine Arbeit mit Sound: da ist sofort ein Resultat da. Ich möchte den Moment von Inspiration zur Befriedigung nutzen und spüre auch den Drang, ihn sofort zu nutzen, weil ich nicht weiß, ob er morgen noch da ist. Ich bin mir jeden Tag aufs Neue unsicher, ob ich tatsächlich auch wieder künstlerisch arbeiten kann. Das ist gut und begründet meinen kindlichen Zugang, aber ich bin auch froh, dass ich daran nicht verzweifle. Deshalb ist das Arbeiten im Virtuellen, speziell im Realtime-Virtuellen, für mich großartig. Im 3D-Raum arbeite ich nicht mit 3D-Modellierungsprogrammen, wie das meine Partnerin Louise Linsenbolz wie eine Bildhauerin tut. Ich muss in Echtzeit arbeiten. Das ist schon beim Rendern von Videos ein großes Problem für mich. Mittlerweile arbeite ich fast nur noch Realtime, wo es kein Rendern mehr, dafür aber bei der Ausführung zufällige Abweichungen gibt.
Ist da Zufall mit eingeplant oder Echtzeit, die in jedem Moment andere Abbilder erzeugt?
Manchmal ist es ‚programmierter Zufall‘, also ein Pseudo-Zufall: es taucht in einem bestimmten Rahmen eine gewisse Variation auf. Das bringt auch Spannung in die Vorführsituation, weil ich nie genau weiß, ob diese Variationen gut funktionieren werden. Für die Betrachterin ist es natürlich oft nicht erkennbar, ob das Video gerade realtime oder vorgerendert ist. Ich kann so aber einen Prozess statt nur ein Produkt abbilden, was meiner Idee einer Aufführsituation eher entspricht.
Improvisierst du auch manchmal komplett live auf der Bühne zur gegebenen Atmosphäre und Musik?
Manchmal geht es sehr konzeptionell zu. Aber wenn ich beispielsweise mit Louise Linsenbolz und Jorge Sanchez-Chiong arbeite, sind das meistens von Jorge komponierte Stücke, die erst durch die Aufführung fertiggestellt werden. Wir tauschen uns zwar im Vorhinein viel und lange über das, was da kommen und produziert werden wird, aus, aber was es dann genau geworden ist, sehen wir oft erst nach der Aufführung. Natürlich gibt es auch komplett improvisatorische Zugänge, bei denen ich nicht weiß, was kommen wird und es en detail auch gar nicht wissen will, weil ich mich sehr gern solchen Situationen aussetze, wo ich darauf vertrauen muss, dass ich durch meine improvisatorische Praxis die richtigen Lösungen, den richtigen Zugang finden werde.
Du hast ein Philosophiestudium ohne Abschluss und jede Menge gestalterische Abschlüsse mit Auszeichnung in der Tasche. Brauchst du Material und Konstruktionen aus der Philosophie oder suchst du da nach Erklärungen?
Das Denken ist das Grundgerüst meiner Arbeiten, denke aber jetzt wohl nicht mehr als andere Künstlerinnen. Illustrative Kunst lehne ich jedoch ab. Das Illustrieren von Philosophie war und wäre nie mein Ansinnen und ich finde das auch meist nur lächerlich. Ich bin kein Philosoph und auch froh, den Anforderungen, die so ein Beruf mit sich bringt, nicht folgen zu müssen. Ich greife mir nur heraus, was ich möchte. Genauso wie ich „respektlos“ im musikalischen, visuellen Arbeiten bin, bin ich es auch in der Philosophie, wohlgemerkt gegenüber der Philosophie, nicht gegenüber den Philosophinnen. Ich lasse mich inspirieren und weil ich oft nicht verstehe, was ich da lese oder dabei einschlafe, spekuliere ich über mögliche Fortgänge der Handlungen und Gedanken. Mich interessiert dieses „Worldbuilding“ eines Zustands, die Beschreibungen von Vernetzungsverhältnissen und meine möglichen Aktionen darin. „Ich bin meine Welt.“ Auch interessiert mich der – im besten Sinne des Wortes – naive Zugang zu vielen andern Fachbereichen. Ich verabscheue und vermeide aber jede Form von Konkurrenz oder Wettbewerb, was mich davon abhält, Experte auf irgendeinem Gebiet zu sein, zu werden oder werden zu wollen.
In einem Interview von 2011 sagtest du, du wünschst dir für die Zukunft, dir deine Begeisterung bewahren zu können. Das ist eingetreten, oder?
Ich denke sogar noch eindeutiger als ich es mir damals hätte denken können. Die positiven Auswirkungen, die die künstlerische Praxis auf meinen Körper und mein Wohlbefinden hat, zeigt, dass ich den richtigen Zugang gewählt habe. Ich habe die Bereiche, in denen ich mich wohl und kompetent fühle, nun viel klarer definiert, und bin zufrieden, in einem Feld zu arbeiten, in dem ich meinen Ein- und Ansatz immer selbst entscheiden kann. Außerdem habe ich den Eindruck, in mehreren Persönlichkeiten nebeneinander existieren zu können und somit variabel und nicht wirklich greifbar zu bleiben. Und ich bin auch sehr gerne der Ausführende in der zweiten Reihe.
… und die Anstellungen an den Unis verhindern, dass du existenzielle Zweifel an deiner künstlerischen Arbeit haben musst.
Genau. Diese Absicherung macht meinen Satz für freien Zugang zu geistigem Eigentum oberflächlich auch zu einer eher elitären Aussage. Dieser Modus verpflichtet ja nicht nur nachzudenken über die Zustände und Zusammenhänge der Welt, sondern in seinem unmittelbaren Umfeld, mit seinen Fähigkeiten auch zumindest zu versuchen, Anfänge zu machen, zu erfahren, wie es sein könnte. Vor allem beim Unterrichten habe ich Möglichkeiten dazu: Meine Begeisterung zu teilen und den Studierenden ihr Potenzial zur Selbstermächtigung aufzuzeigen. Oft sind die Studierenden wahnsinnig gut, wissen aber noch nichts davon und befinden sich in Strukturen, die ihnen nur Begrenzungen auferlegen und abgedroschene Rollenbilder vorzeigen. Mein Ziel ist, ihnen dieses Selbstbewusstsein mitzugeben, dass ihre Begeisterung zu dem maßgeblichen Indikator für ihr Handeln wird. Das Selbstverständnis, zu dem ich hinführen will, ist: Es gibt über Dir keinen Herren und unter Dir keinen Knecht. Auch wenn Strukturen das anders vorgeben. Es braucht ein Selbstverständnis vom eigenen Wollen und Können und deren Wichtigkeit für die Gesellschaft, weshalb die Gesellschaft auch gut daran tut, Personen mit ihren Fähigkeiten, die sie mit Umsicht, Bedacht, Durchhaltevermögen und immer mit Begeisterung ausüben, entsprechend eingebunden zu halten.
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at.
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