Peter Jakober
Das Ganze beginnt dann akustisch so zu eiern …
Die Idee zum Eröffnungsstück der Musiktheatertage Wien 2019 ist bei einer Besprechung für ein neues Musiktheaterstück entstanden. Der Gedanke an eine Art Klanginstallation im WUK, die das Thema Zivilisation aufgreifen soll, bekam Raum. Und dann kristallisierten sich Details immer mehr heraus: beispielsweise Dunkelheit bei der Aufführung. Die Sänger:innen konnten also keine Noten lesen und einander nicht sehen – Peter Jakober über die Kombination von technischer Präzession mit menschlicher Ungenauigkeit, Emanzipation und Akusmatik.
Wie nähert sich dein Stück Sound Cloud I. den beiden Begriffen Mythos und Zivilisation?
Ich bin gerade auf der Suche nach Textvorlagen zum Thema, aber mehr noch wirkt bei diesem Vokalstück die Masse an Menschen, die daran mitwirken: Ein Großteil des Innenhofes wird beschallt, circa 50 Sänger:innen singen in Duos aus den Fenstern des WUKs. Ich arbeite also mit der Wirkung einer solchen Menschenmasse auf der einen Seite und mit der Tempopolyphonie auf der anderen Seite. Vor ein paar Jahren gab es schon ein Chorstück mit drei Chören und zwölf Subdirigenten von mir. Alle Sänger sind verkabelt und tragen einen MP3-Player, den sie auf einen Punkt einschalten. Er spielt ihnen Tonhöhen, Tempo usw. zu. Diese Verkabelung, dieses technisch Genaue und gleichzeitig das menschlich Ungenaue, Nicht-Schaffen ist schon seit langem ein wesentlicher Punkt in meiner Musik und betrifft auch den Begriff Zivilisation.
Die Tempiverschiebung erzeugt eine sehr dichte Atmosphäre, die den Hörer zu sich nach innen bringt.
Die Aufhebung eines Grundschlags erzeugt eine Loslösung von oder mit sich selbst, das wäre aber auch bei Instrumentalstücken so. Wie mein Lehrer Georg Friedrich Haas, der Mikrotonalexperte, so schön in einem Aufsatz beschrieben hat: Wieso klingt die C-Dur-Tonleiter so voll? Weil sie halt zu einer Obertonreihe so schön verstimmt ist. Und bei mir geht es in einer anderen Richtung, eben den Polytempi, auch um diesen Punkt: Man versucht exakt zu sein, aber durch den Einschwingvorgang von Instrumenten zum Beispiel entsteht immer eine Ungenauigkeit. Die versuchte Annäherung an Perfektion, also das maschinelle Denken versus den Menschen, der daran immer wieder scheitert, aber dadurch auch eine Kraft hat. Bei Sound Cloud I. bekommt dieser grundlegende Aspekt noch einmal eine besondere Qualität, weil die Stimme so nah am Körper ist. Da ist dieser Versus meiner Meinung nach noch stärker.
Was wird musikalisch bei Sound Cloud I. passieren?
Bei diesem Stück gibt es dieses Mal einen großen Graubereich. Ich kann alles simulieren, man wird dann 50 Tempi übereinandergelagert hören, was eine riesige Soundcloud erzeugt. Zusätzlich kommt hinzu, dass MP3-Player unterschiedliche Abspielgeschwindigkeit haben. Selbst bei gleicher Marke entsteht schon allein dadurch wieder eine kleine Phasenverschiebung. Klanglich gesehen wird das für mich eine riesige Freude, 50 Menschen teilweise sprechen, teilweise singen zu hören: syllabisch, im Tempo und phasenverschoben. Dieser Gegensatz wird so sehr stark erfahrbar werden, glaube ich.
Bringst du durch das Aufzeigen der fehlenden Perfektion, der der Mensch vermeintlich anhängt, die Menschlichkeit in den Klang?
Ja. Wobei das Menschliche im Klang ja immer da ist, wenn ein Mensch einen Klang spielt. Ich bin sehr beeindruckt von Joep Lieshout, an den ich immer denken muss, wenn es um dieses Bildliche im Werk geht: am Kabel hängen auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Mensch, der da singt und diese Klanglichkeit erzeugt. Da ist eine Emanzipation des Menschen spürbar. So auch bei Lieshout: Dessen begehbare Skulpturen setzen den Menschen wieder mehr in den Mittelpunkt, auch wenn es bei ihm eher etwas Bedrohliches hat. Da gibt es Skulpturen, in denen der Mensch agiert, ohne dass man den Menschen darin sieht, man denkt es sich nur. Jeder macht dort seine „Arbeit“, wird zu einem Teil von einer Maschine. Oft führen Schläuche oder Kabel von Postionen weg, an der der mögliche Mensch agiert.
Welche Rollen nehmen die Prinzipien Cluster und Mikrotonalität in deinen Werken ein?
Es gibt doch von Stockhausen diesen bekannten Text „Wie die Zeit vergeht“, wo er Textstrukturen mit den Tonhöhen in Verbindung setzt. Ich hab das auch mit diesen Tempoüberlagerungen versucht, indem ich „chromatische“ Temposchritte mit dem Faktor der zwölften Wurzel aus Zwei übereinander gelagert habe. Das Ergebnis klang extrem fad, obwohl der Text von Stockhausen großartig ist. Wesentlich lieber nehm ich Primzahlen als Grundverhältnis für die Tempoüberlagerungen. So haben sie nichts mit chromatischen oder mikrotonalen Verhältnissen zu tun. Für die Erzeugung von Primzahlen gibt es ja keine Formeln, es steckt also schon in deren Mathematik eine „Ungenauigkeit“ drin. Mikrotonalität beziehe ich nur auf die Tonhöhenkonstellation. Schwebungen die durch mikrotonale Intervalle entstehen, erzeugen auch Pulsationen, da entsteht eine Entsprechung. Sie ist für mich eigentlich immer da. Man spricht davon sobald man weniger als einen Halbtonschritt macht, was mich klanglich einfach fasziniert.
Was reizt dich, für so besondere Instrumentenkonstellationen zu schreiben?
Hauptsächlich ergibt sich das über Aufträge. Mein erstes Auftragswerk war für Gitarrenquartett beim Musikprotokoll, was sich sehr gut für meine Tempogeschichten eignete, weil Gitarren sehr kurze Attack-Zeiten haben und dann schnell ausklingen. Oft bekomme ich Anfragen auch, weil es um das zeitgenössische Repertoire für Cembalo und Zither zum Beispiel sehr dürftig bestellt ist. Bei dem Stück für Cembalo ist es fast schon parodistisch, dass es teilweise nicht nur für eines, sondern gleich für 40 Cembali steht. Ich frage mich aber schon: Was hat das Instrument, was hat es für Vorzüge, was kann ich damit anfangen? Auch das Cembalo hat ja diesen kurzen Attack … In dem Cembalostück spielt sie beispielsweise sehr schnell immer einen Akkord mit oder gegen eine Aufnahme desselben Akkords in anderem Tempo, was sehr schwierig für sie ist. Das Ganze beginnt dann akustisch so zu eiern, was für mich ziemlich toll klingt und natürlich auch etwas lustiges ist.
Deine Oper Populus hat den Johann-Joseph-Fux-Kompositionswettbewerb gewonnen und wird 2020 beim Musikprotokoll in Graz aufgeführt. Was willst du „dem Volk“ sagen?
Ich wollte zum Thema Populismus arbeiten, aber nicht mit dem Zeigefinger, das hat eh keinen Sinn. Jeder, der zu dieser Oper kommt, gehört wohl eh nicht zu diesem Klientel, die offensichtlich populistische Parteien wählen. Und genau deswegen soll die Oper nicht fassbar sein, was gar nicht so leicht ist und mich ziemlich in Verzug gebracht hat. Es gibt keine Guckkastenbühne, sondern das Publikum kann rundum gehen. Gesprochen werden Texte von Ferdinand Schmatz, dessen Texte sich teilweise auf politische Parteiprogramme beziehen. Es soll nie fassbar sein, was da eigentlich überhaupt los ist. Ein Zirkus mit dem Populismus, mit dem Thema Volk. Durch seinen „Freigang“ ist der Zuhörer automatisch ein Teil vom Stück, von dem ganzen Volk, was (sich) da aufführt.
Welche Klang- bzw. Kompositionsprinzipien waren dir dafür dienlich?
Zwei Parameter interessieren mich neuerdings mehr: Akusmatik, also Klangerzeuger und Klang werden nicht mehr gleichzeitig gesehen. Als Hitchcock-Fan weiß ich zum Beispiel von der Mutter in „Psycho“, die man nie sieht, sondern immer nur hört, Ursache und Wirkung werden voneinander getrennt. Das erzeugt eine Art von Entfremdung. Passend zum Thema Populismus: Die Ursache weiß man nicht mehr, aber man spürt immer noch eine Wirkung. Es gibt da auch bei mir Finsternis, in der man Zuspielung von Live-Spiel nicht mehr unterscheiden kann. Und das Phänomen Lernen durch Imitation, durch das Kinder sich entwickeln und Verhaltensweisen aneignen, greift das Thema Populismus an: Politiker müssen ihre Sätze nur oft genug wiederholen bzw. oft genug von anderen, der Masse wiederholt werden, um in das eigene Hirn Eingang zu finden und man muss da wirklich mit dem ganzen Verstand dagegen anarbeiten, dass einem diese Mechanismen nicht passieren.
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at.
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