Nadja Kayali
Wir können nicht immer nur das Gleiche hören.
Sie inszeniert ungewöhnliche Musikprojekte, moderiert Konzertabende und gestaltet unterschiedlichste Arten von Radiosendungen. Nadja Kayali ist Weltenöffnerin und Vermittlerin zwischen den Kulturen, immer auf den Spuren von Musik, Literatur und Theater. Nun leitet sie für die kommenden drei Jahre das Festival Imago Dei in Krems.
Was meint Trifoliata denn eigentlich? Kann das etwas mit der Gustation zu tun haben, „foliata“ birgt doch einen Hinweis auf die Zunge und deren Geschmacksknospen?
Gar nicht schlecht, „Trifoliata“ meint die Bitterorange, hat also tatsächlich etwas mit Geschmack zu tun. Die Bitterorange ist ja auch weniger Genussmittel an sich als eher eine Geschmacksnote – sie ist nicht der Kern der Sache, aber wichtig, um die Sache abzurunden.
Ihre Arbeit ist doch aber nicht bloßes Sahnehäubchen, sondern oftmals essenzielle Vermittlungstätigkeit …
Mit Trifoliata entwickle ich ja vorwiegend juristische Projekte, mache Podcasts über Grundrechte oder Nachhaltigkeitsrecht, erforsche da aber nichts Neues, sondern möchte neue Zugänge zu Rechtsthemen zu eröffnen. Es hat zwar Substanz, ist aber eine gute Zutat zum Thema als Ganzem.
Das Bittere kann ja schon irritieren, während der Geschmack der Bitterorange als etwas sehr Deliziöses gilt. Befasst man sich mit dem Recht, passt diese Allegorie schon auch.
Ich fand die Wahl der Orange für etwas, was nicht gerade mit Geschmack und Genuss in Verbindung gebracht wird, sehr originell. Genau diesen kreativen Zugang zu einer eher trockenen Materie zeichne ich so gern nach.
Erstaunlicherweise ist eine Website, die Ihr gesamtes Schaffen darstellt, gerade im Dezember letzten Jahres erst online gegangen. Ein riesiger Zusammentrag verschiedenster Themen. Unter anderem auch ein Portrait von Alexander Kluge, der Sie als „Fremdenführerin der Musik“ betitelte.
Eine unglaubliche Geschichte. Ich hab ja unter anderem 12 Jahre lang im Rahmen der Salzburger Festspiele Opern- und Konzerteinführungen gehalten. So auch im Mozartjahr 2006. In jenem Sommer waren es 32 Vorträge, darunter eine Serie zu den Mozartfiguren und den Tenören bei Mozart. Bei der Der Tenor als Held hab ich mich zum Beispiel gefragt, wieso der Tamino gleich mal in Ohnmacht fällt, wenn der Vorhang aufgeht. Was ist das eigentlich für ein Held, was sind das für Bilder, die da kreiert werden? Daraufhin wurde ich von Alexander Kluge eingeladen, ein Fernsehinterview zu geben, worauf ich mich nichtsahnend einließ, in der Annahme, dass ein Fernsehinterview immer nur maximal ein bis zwei Minuten Sendezeit bedeutet, denn ich hatte weder von Fernsehen noch von Kluge als Regisseur eine Ahnung. Ich kannte nur seine Bücher. Völlig unvorbereitet und ungeschminkt geriet ich also in dieses Portrait und wünschte, ich hätte mich besser vorbereiten können. Dadurch ist ein ganzer Themenblock rausgefallen, bei dem ich mein Wissen hätte vorher verifizieren müssen. Das war und ist einfach schade. Zum Glück sehe ich die Dinge gelassen. Mit Live-Sendungen im Radio wird man einfach entspannter im Umgang mit Fehlern. Und Leben heißt Lernen.
Die Website zeigt Ornamentik und Florales im Kontrast zu Linien. Ist das ein Hinweis auf Ihre Arbeit im Radio?
Die Gestaltung der Website stammt ja aus der Feder von Barbara Toifl. Ein Glücksfall, sie hat sofort verstanden, wer ich bin. Mein Problem bei der Website war jahrelang, dass ich meine Tätigkeiten nicht so einfach schubladisieren kann, weil meine Berufsbilder immer wieder changieren, mal war ich mehr Regisseurin, mal mehr Dramaturgin, dann wieder mehr im Radio. Die Idee der Webdesignerin war, ein Spielfeld darzustellen. Das Leben ist ein Spielfeld: Mal steht man näher beim Tor, dann wieder stürmt man nach vorn oder befindet sich in der Abwehr. Überzeugt hat mich dabei vor allem die Bewegung: dass alles in Bewegung bleibt, kein Stillstand. Die Ornamentik stammt dann sicher aus meiner Persönlichkeit, ich liebe ornamentale Details.
Von der ornamentalen Pracht des Orients geht eine sinnliche, ästhetische Faszination aus, die dessen politischen Umständen diametral entgegengesetzt steht.
Die Situation ist so ambivalent, weil man sich tatsächlich mit den Orientalismen mehr auseinandersetzen muss, wodurch man sehr schnell desillusioniert werden würde. Das, was der Orient für uns EuropäerInnen darstellt, ist durch sogenannte doppelte Transformationsprozesse gegangen und hat Bilder gezeichnet, die unbedingt zu hinterfragen sind. Im Haus meiner Familie väterlicherseits in Aleppo gab es beispielsweise sehr wenig Ornamentik, sondern eher nüchterne Stilmöbel. Im Jänner 2003 besuchte ich Julien Jalâl Al-Din Weiss, den Leiter des Al-Kindî Ensembles, das traditionelle Sufimusik als Ensemble- und Kammermusik wiederaufgegriffen hatte. Er war gebürtiger Franzose, der sich in Aleppo ein altes mamlukisches Haus, einen Mini-Palast am Bazar gekauft hatte. Er empfing mich in der Galabiya mit arabischen Instrumenten und wir setzten uns auf arabische Polster. Da kam ich also von meiner syrischen Familie, die auf den Stil des Louis XIV. setzte zu einem Europäer, der seinen Traum vom Orient lebte. Ich fand das sehr lustig damals und bezeichnend.
Fühlen Sie sich als Mittlerin zwischen Orient und Okzident? Was faszinierte Sie daran?
Ich war in meiner Kindheit Wienerin mit einer böhmischen Großmutter, die genauso gut tschechisch wie deutsch sprach. Mit dem Orient hatte ich keine Berührungspunkte und hab jahrelang gebraucht, bis ich den leichten Akzent meines Vaters überhaupt bemerkte. In den 1990er-Jahren begannen Themen wie Migration und Ausländer in der österreichischen Gesellschaft plötzlich eine viel größere Rolle zu spielen. Beim Studium stutzten die Leute bei meinem Nachnamen und ich wurde plötzlich – selbst von Alexander Kluge – immer wieder als „Syrerin“ bezeichnet, obwohl ich doch Österreicherin bin. Meine syrische Familie wurde mir erst bewusst, weil ich auf einmal unentwegt anders wahrgenommen wurde. Derweil ist mein einziges auffälliges Merkmal meine – für Europäerinnen – eher üppigen Naturlocken. Ich habe keine besonders dunklen Augen oder dunklere Haut. Aber Österreicher:innen empfinden mich oft als „exotisch“. Die arabischen Frauen hingegen finden mich überhaupt nicht „arabisch“ und wundern sich, dass ich syrische Wurzeln habe.
Identität ist offenbar nicht nur eine Frage des Selbstverständnisses, sondern auch eine der Wahrnehmung durch andere. Das Ich kreiert sich am Du. Sind Sie ein Gesellschaftsmensch?
Ich bin unbedingt ein Gesellschaftsmensch und blühe beim Unterhalten von und mit Gästen am meisten auf. Ich liebe die Gespräche bei gemeinsamem Essen und spür mich da auch sehr intensiv, fühl mich lebendig.
Wie gewinnt man denn ein mehrstufiges Auswahlverfahren zur Festivalleitung für sich? Wie war Ihr Konzept?
Die grundlegende Einstiegsvoraussetzung war neben dem Lebenslauf natürlich die Ausarbeitung eines Konzepts. Es gab mehrere Runden an Gesprächen mit der Geschäftsführung, der Personalberatung und ein großes Hearing. Ich bin es gewohnt, aufzutreten und konnte diesen Anforderungen recht gelassen begegnen. Meine Bemühungen um diese Stelle waren ernst und ehrlich, aber nicht verbissen. Eine andere hätte diese Stelle eben anders ausgefüllt.
War Ihre Idee, den Fokus des Festivals auf weibliche Wahrnehmung zu lenken?
Ich hab zwar unmissverständlich erklärt, dass das einen wesentlichen Faktor für mich darstellt, hauptsächlich wollte ich dieses Festival allerdings mehr auf eine Eigenproduktionsschiene zu bringen. Daher hab ich mich im Moment dafür entschieden, mit einer Ausnahme nur in Österreich lebende Künstler:innen zu beauftragen und eigene mehr oder weniger große Projekte mit ihnen zu entwickeln. Das endet mit den Divinerinnen, die Wienerlieder aus Krems und Umgebung aufführen und wird eröffnet mit Imago Deae, das mir sehr wichtig war. Das Bildnis des Gottes, Imago Dei, wird zum Bildnis der Göttin. Rund 50 Musiker:innen und Sänger:innen weben ihre Lieder und Musikstücke zu einem großen Ganzen. Ursprünglich war es ja ein reines Osterfestival, was aber bereits unter der Leitung des Gründers wesentlich weiterentwickelt und geöffnet worden war. Ich bin sehr dankbar dafür. So kann ich ein tolles Festival übernehmen und meine Vorstellungen verwirklichen, ohne zwanghaft erneuern oder mich abgrenzen zu müssen. Und Frauen sind da eben wichtig.
Sowohl die Felder zwischen den Geschlechtern als auch zwischen den Kulturen scheinen Ihnen der Teppich zu sein, auf dem sie stehen, von dem aus Ihre Arbeiten beginnen.
Dieses Dazwischensein beschäftigt mich natürlich sehr in meinem Leben, weil ich auf keine Richtung fixiert bin und mich auch nicht gern fixiere. Die Zuschreibungen Musikwissenschaftlerin und Journalistin zu meiner Person sind schlichtweg falsch. Ich bin Generalistin im besten Sinne des Wortes, also auf nichts spezialisiert, aber interessiere mich für alles und kann mir Bereiche dann sehr schnell erarbeiten. Zum Beispiel gab es von mir kürzlich eine Sendung über den persischen Dichter Nizami, der mich unglaublich fasziniert. Dieses Dazwischensein prägt mein Leben und meine Wahrnehmung von Welt und Kunst. Gleichzeitig spüre ich, dass es da eine Resonanz in der Gesellschaft gibt, um den derzeitigen Polarisierungstendenzen etwas entgegenzuhalten. Wir können und müssen einfach viele Räume öffnen, die Dazwischenleben ermöglichen. Die Pole sind nur die Extrempositionen, aber eigentlich kein Aufenthaltsort.
Die Pole der Erde halten sie in der Form einer Kugel, sind also notwendig, aber keine Lebensorte. Die Felder dazwischen, entlang ihrer magnetischen Anziehungskräfte sind Aufenthaltsräume. Ist die Kunst ein möglicher Übermittler dieses Bildes?
Sie wäre der richtige Ort dafür. Eigentlich sollte ja gerade die Kunst der weniger dogmatische Raum sein. Mal schauen, ob das im Laufe der Zeit gelingt. Wir sind im Augenblick in einem riesigen Transformationsprozess, einer echten Zeitenwende. So etwas verunsichert natürlich total, ermöglicht aber gleichzeitig, Neues zu definieren und Dinge neu zu positionieren – ein unglaublich spannender Moment. Alles wird in Frage gestellt, alles müssen wir neu verhandeln, auch unsere Vergangenheit. Wir verharren immer noch in den alten Stoffen, wo Männer die Helden und Frauen die Huren sind. Wir brauchen neue Bilder, Erzählungen und Ausdrucksformen. Es gibt da sicher schon einen Kanon, den man aber unbedingt erweitern muss. Wir können nicht immer nur das Gleiche hören.
Wie gehen Sie da vor? Wie schaffen Sie sich eine Bahn in so einem überbordend weiten Feld, wie kommen Sie zum Beispiel auch zu einem Programm für dieses Festival?
Wenn ich irgendetwas sicher bin, dann eine Dramaturgin. Mich leitet mein dramaturgischer Blick, ich denke in Bögen.
Das ist ein gestaltender Blick …
… der mir eine große Sicherheit gibt, meiner Intuition zu den Dingen zu vertrauen. Genau dadurch gewähre ich einen künstlerischen Zugang, der sich deutlich von einer journalistischen oder wissenschaftlichen Herangehensweise unterscheidet. Ich bin total subjektiv und dazu stehe ich auch.
Möglicherweise bekommt dadurch auch etwas Ausdruck, was gerade in und an der Zeit ist.
Wenn man sich öffnet, empfängt man dadurch natürlich auch die Zeitströmungen und kann sie besser reflektieren, was einer intellektuell-programmatischen Arbeitsweise viel schwerer möglich ist. Die notwendige intellektuelle Arbeit kommt erst in einem zweiten Durchgang zum Tragen. Vorher entsteht erst noch die Frage, welche Menschen zu den Themen passen, welche ich dafür vielleicht zusammenbringen kann. Oftmals sind auch Menschen und Begegnungen Initial für meine Programmentwicklungen.
Wie sind Sie denn überhaupt zum Radio gekommen?
Relativ spät, also erst mit 37 Jahren. Ich steckte in den Recherchen zu einem Buch über das Ensemble Die Reihe, hab bei den Cerhas Material dazu abgeholt, in meiner Wohnung alles geordnet und den Ensembleleiter interviewt. In diesem Gespräch kamen wir auch aufs Radiomachen und meine Liebe zum Pasticcio zu sprechen. Er vermittelte mich an den Sendungsverantwortlichen, wir trafen uns und hatten zu ungefähr 80 Prozent völlig auseinandergehende Meinungen zu Musik, Theater und so weiter. Erstaunlicherweise fand er diesen Widerspruchsgeist interessant und lud mich ein, ein Konzept zu schreiben. Ich begann eine Sommervertretung und dachte mir: Wenn man so eine Möglichkeit im Leben schon mal bekommt, dann muss man das tun, was man am besten kann. Also habe ich das Konzept gesprengt, denn eigentlich ist ein Pasticcio, eine rein assoziative Kette zu bilden. Ich habe aber ein Thema genommen und so meine erste Sendung Vom Orient zum Okzident fabriziert. Manchmal muss man die Regeln eben durchbrechen.
Die Sendung haben Sie dann auch selbst gesprochen.
Sie kam sehr gut an und mein Glück ist meine Radiostimme. Sie ist ein Geschenk, nicht mein Verdienst. Dann gewann ich mit meinem Konzept zu Carl Maria von Webers Klarinettenquintett eine regelmäßige Kammermusiksendung, die ich seit mittlerweile 13 Jahren mache. In der Folge gestaltete ich viele Spielräume-Nachtausgaben, Spielräume-Sendungen, Selten wie ein Feiertag und Weihnachtssendungen, Opus – alles, was es an Formaten gab, hab ich ausprobiert.
Der Reiz einer Festivalleitung jetzt ist für Sie das Orchestrieren eines Programmes?
Es ist die dramaturgische Arbeit, aber vielleicht noch viel wesentlicher: die Arbeit mit den Menschen. Das Radiomachen ist eine sehr einsame Arbeit. Ich sitz allein am Schreibtisch, schreibe die Sendung und teilweise mach ich auch die technische Umsetzung, allein. Das ist nicht meine Lebensform. Ich bin kein lonely wolf. Es war für mich nie eine Option, 100 Prozent beim Radio zu bleiben. Kompensieren konnte ich dieses Arbeiten mit meinen Moderationen und Konzerteinführungen, wo ich das Publikum wiedersehe.
Die Morgenstund, aber auch die Thematisierung des Mysteriums bei Skrjabin lassen Bezüge zum christlichen Osterfest vermuten …
„Ostern“ hab ich bewusst aus dem Titel des Festivals gestrichen, weil für mich der Frühling als Leitgedanke stand. Das Aufbrechen, Neuwerden, wieder Hoffnung schöpfen, einen neuen Zyklus beginnen bzw. den alten Zyklus wieder reaktivieren. Das Osterfest beschreibt im Grunde genauso Tod und Auferstehung. Aber die Perser:innen, Kurd:innen und Menschen in Aserbaidschan feiern am 21. März „Nouruz“, das Neujahr. Da beginnt der neue Zyklus, nicht am 1. Jänner.
Wie kommt es dann zu dem Ritual der Morgenstund?
Es wird sich noch ergeben, was wir genau da machen, alles ist noch im Werden. Denn je näher der Zeitpunkt rückt, desto deutlicher wird auch das Gefühl dazu. Unser Grundgedanke war: Musik – Text – Stille. In gleichen Portionen. Damit wollen wir arbeiten und jeden Morgen anders gestalten. Nur kleinere Formationen und kurze Stücke für einige wenige FrühaufsteherInnen. Diese Dinge haben nichts mit Religion oder Ostern zu tun, sondern mit der Tatsache, dass wir Menschen alle dieser inneren Zentrierung bedürfen. Gerade in solchen Umbruchszeiten wie den unsrigen mit den sehr starken Veränderungen brauchen wir dieses innere Gleichgewicht so stark. Im nächsten Festivaljahr betone ich das dann noch mehr.
Sie machen auch eine Zeitreise durch die Jahrhunderte, durch die Musikgattungen, es gibt keinen musikalischen Fokus … Vielfalt in vielen Hinsichten, die auch für Ihre Person steht. Sie lassen Poesie der Musik begegnen, Schauspiel dem Tanz, sogar Puppenspiel kommt vor. Geht es hier wieder um das Dazwischen?
Auch. Aber wenn ich meine wirkliche künstlerische Heimat benennen sollte, dann ist es das Theater. Natürlich muss ich sehr dosiert vorgehen, weil es Strukturen und Budgets zu beachten gilt. Daher sind beispielsweise die zwei Kompositionsaufträge privatfinanziert und sehr viele Kooperationen und Koproduktionen organisiert, das geht vom Carinthischen Sommer bis zum Literaturhaus Salzburg, der Österreichischen Nationalbibliothek oder dem Polnischen Kulturinstitut. Ich möchte drei Jahre lang einen Fokus auf vergessene, deportierte, teilweise ermordet, polnisch-jüdische Komponist:innen legen, Gesprächskonzerte moderieren und auf diese Musik spezialisierte Ensembles einladen und neue Zugänge durch verschiedene Kunstformen ermöglichen. Ganz wichtig sind mir auch die privaten Menschen, die sich zur Neuen Musik verbinden und Kompositionsaufträge besser bezahlen als irgendein Budget vorsehen würde. Nur so konnte ich heuer gleich zwei Kompositionsaufträge dieser Größe vergeben. Für solche privaten Förder:innen gibt es nun den Festivalförderungsclub. Ich habe das Weingut Türk in der Kremser Region gefunden, das einen Festivalwein, aber auch JUZZZ aus Verjus, Holunderblüte und Melisse, quasi einen antialkoholischen Hugo, kreiert. Alles Dinge, auch die Sinnlichkeit des Lebens zu feiern, und gleichzeitig ein Zusammenkommen anlässlich der Kunst zu pflegen.
Sie sorgen nicht nur für die Erschaffung neuer Werke, sondern auch für eine längere Lebenszeit der Werke, was Aussicht bzw. Zuversicht stiftet.
Das trifft einerseits auf die Uraufführungen zu, andererseits, im Falle von Tamara Friebels Auftrag, auf die Koproduktion mit dem Carinthischen Sommer, wo ihr Werk 2023 noch um einen zusätzlichen Auftrag erweitert wird. Ein work in progress, der in weiteren Stationen das Grundwerk ganz woanders hinführen könnte. Da bieten sich auch für Intendant:innen anderer Formate unzählige Möglichkeiten anzudocken. Beim Kompositionsauftrag für Wolfgang Suppan, den ich sehr schätze, gibt es den Hintergrund, dass ich Heinz Rebers String Trio aus Walking in the limits unbedingt spielen wollte.
Wieso?
Heinz Reber war ein absoluter Nonkonformist, ein Schweizer, der in Wien gelebt und zweimal mit dem Klangforum Wien gearbeitet hat: einmal mit seinem Stück Superstrings und beim anderen Mal hat Christian Utz ein Konzert initiiert, bei dem auch die Music for Sheng von Heinz Reber uraufgeführt wurde. Er war Buddhist, sehr spirituell und Gastprofessor an der heutigen mdw, während ich noch Musiktheaterregie dort studierte. Ich war seine Assistentin im Schubertjahr 1997 und hab mit ihm an einem Musiktheaterstück gearbeitet. Sein Zugang zur Musik und sein Umgang mit diesen Schubert-Fragmenten, die gleichzeitig an die berühmten Schubert-Bilder von Moritz von Schwind und Julius Schmid angedockt waren, haben mich sehr beeindruckt. Ich hatte da ja bereits mit Christoph Marthaler am Theater gearbeitet.
Aber warum ist es dann Walking in the limits geworden?
Das war seine jüngste Arbeit, ein Stringtrio mit Elektronik. Ich erinnere mich an unser letztes Treffen, als er in unseren Garten kam und mir die CD gab mit den Worten: „Das ist mein letztes Werk.“ Er war da schon in einer anderen Welt. Von diesem Stück ausgehend entwickelte Wolfgang Suppan im Auftrag von Imago Dei Welten…auseinander für das gesamte Ensemble Platypus. Zugrunde liegen auch Galileo Galileis erste Mondbeobachtung und die Mondbeschreibungen des Apollo 8 Piloten Jim Lovell. In ihnen steckt eine Poesie, die einen weiteren Raum neben dem der Wissenschaft eröffnet. Die Denkvorgänge dieser beiden Welten hat Wolfgang Suppan in dieser Uraufführung in Klang übersetzt. Ein weiteres Stück von ihm beim Festival ist Ulam. Es wird zweimal gespielt, soll den Raum in der Längs- und in der Querachse durchmessen und ihn musikalisch zu öffnen.
Die Architektur spielt auch eine Rolle in Ihrem Denken.
Die schon im 18. Jahrhundert säkularisierte Kirche in Krems ist ein fantastischer Raum, der auch etwas ungewöhnlich ist: Schaut man in Richtung Apsis, sind die Linien verschoben. Wenn die Dinge auf den zweiten Blick nicht ganz stimmen, wird es immer sehr interessant. Die Komponistin Tamara Friebel hat auch Architektur bei Zaha Hadid studiert. Ihr musikalischer Blick auf den Raum ist faszinierend.
Wie ist der Bezug zum Polnischen gekommen?
Der Produzent und Verleger Frank Harders-Wuthenow hat mich vor vielen Jahren auf diese Musik aufmerksam gemacht und ich wusste, dass sie unbedingt ins Repertoire gehört. Meine Wahl fiel auf Simon Laks, der Auschwitz nur durch Musik überlebt hat. Seine Erinnerungen hat er in seinem Buch Musik in Auschwitz festgehalten, aus dem Cornelius Obonya an diesem Abend lesen wird. Um auch literarisch auf sein Schaffen zu reagieren, habe ich den Schriftsteller Doron Rabinovici, mit seinem starkem Zugang zur Musik, gebeten, einen Text dazu zu schreiben. Das ergibt die Möglichkeit, ein Festival im Festival zu gestalten mit Abenden im Polnischen Kulturinstitut in Wien, in Krems, im Literaturhaus Salzburg und der ehemaligen Synagoge St. Pölten.
Wird auf die Klangkunstschiene im Festival auch Bezug genommen?
Nein, ich programmiere das Festival Imago Dei und nicht die Klangkunstschiene, das wird teilweise falsch kommuniziert. Aber es wird eine Ausstellung der Berechnungen von Tamara Friebel zur Kirche geben, wie sie von deren Proportionen zu einer Partitur und einzelnen Figuren gekommen ist.
Auch Kulturtransfers lassen Sie mit regionalem Bezug stattfinden …
Das Eröffnungskonzert Imago Deae ist ein work in progress. Ich wollte die Lieder verschiedener in Österreich lebender Sänger:innen verknüpfen und etwas Neues, Gemeinsames daraus machen. Dazu sollten unter anderem auch die Burgenlandkroatinnen und orientalische Sängerinnen miteinbezogen werden. Geleitet wird der Abend von zwei Musikerinnen unterschiedlichen Backgrounds und unterschiedlicher Generation: instrumental von Beate Wiesinger, die Musikerinnen aus dem Jazzbereich zu einem Ensemble verknüpft, und gesanglich von Nataša Mirković. Sie arbeitet mit den in Österreich beheimateten Frauenchören aus dem Balkanraum und den solistischen Sängerinnen Anna Anderluh, Basma Jabr, Golnar Shahyar und Sakina Teyna zusammen. Dieser Mix aus verschiedenen Musikerinnen, verschiedenen Gesangsstilen, verschiedenen Instrumentalstilen wird aber als durchkomponierter Abend aufgeführt. Es ist ein verschmelzendes Werk, das die große Kraft von Frauen abbildet, verbindend zu wirken.
Fiel Ihre Wahl zufällig auf Frauen, diese Projekte zu entwickeln? Suchten Sie eine bestimmte Qualität?
Mir war die weibliche Energie so unglaublich wichtig. Ich liebe es, Frauen, die großartige Musik machen, auf der Bühne zu sehen. Das ist einfach ein super Gefühl. Die Botschaft vermittelt sich durch’s Tun!
Im Prozess können wir erkunden, wohin es gehen soll und dürfen im Miteinander-Tun lernen, wieder in Kontakt und Begegnung zu geraten.
Und dabei aber offen zu bleiben, sich gegenseitig Ideen zu zeigen und dann aus ganz unterschiedlichen inhaltlichen Räumen kommend aufeinander zuzugehen. Es gibt die Grundidee dieses gemeinsamen Kreierens, eines Verbindens, Verwebens, einer Verknüpfung miteinander, aus dem wirklich Neues entstehen kann. Da vertrau ich vollkommen meiner Intuition.
Wie schaffen Sie es, Ihre Idee so freizugeben, dass eine solche Entwicklung stattfinden kann?
Das hat wahrscheinlich wieder mit dem Theater zu tun. Als Regisseurin hab ich dort bis zur Generalprobe gearbeitet. Und ab da musste ich loslassen, das war der Abschied. Und zwar nicht als Ende, sondern als Anfang. Der nächste Transformationsprozess begann, den die Abendspielleitung und die Menschen auf der Bühne begleiten. Dieses Loslassen macht wieder frei für etwas Neues. Und das hab ich auch immer wieder getan: Dinge aufzuhören, obwohl sie sehr erfolgreich waren. Nach 12 Jahren Konzerteinführungen in Salzburg mach ich dankbar den Platz frei für neue Leute. Ebenso im Konzerthaus die Begleitung des Streichquartettzyklus von 2015 bis 2020, der Nachfolge-Zyklus des Alban-Berg-Quartetts mit dem anspruchsvollsten Publikum, das man sich vorstellen kann … aber als sich das Repertoire zu wiederholen begann, hörte ich auf. Ich erzähle nicht gern zweimal das Gleiche.
Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at.
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