Luna Alcalay
Der Esel läuft und ich komponiere Musik!
Luna Alcalay, vormals Lucia Günther, ist Malerin, Pianistin und Komponistin, verdiente ihren Lebensunterhalt beim Unterrichten und äußerte in ihrem Schaffen beständig ihre grenzenlose Humanität, ihr dauerndes Interesse am Wesen des Menschen und die damit verbundene Enttäuschung. Sie ist selbstbezeichnet nonkonform, um die Gehalte ihrer Werke in eine adäquate(re) Norm formen zu können und den leeren Benennungen unserer Zeit menschliche Substanz entgegenzusetzen. Vor allem aber ist sie eine nimmermüde strenge Kritikerin. Was sie zum Beispiel nach den Darmstädter Ferienkursen der beginnenden 60er-Jahre zur Zusammenarbeit mit Bruno Maderna führte.
Was halten Sie vom Feminismus?
Nicht viel. Natürlich habe auch ich in meinem Leben den Unterschied zwischen Komponist und Komponistin kennengelernt. Als ich Bruno Maderna 1962 in Darmstadt kennenlernte, meinte er, ich solle ein Stück für das Radio Rom schreiben. Später hieß es nur: „Mi dispiace!“ Er hatte in Rom mein Werk vorgelegt und sie lehnten es ab, weil es von einer „Donna“ war. Dagegen konnte auch Maderna nichts machen. Aber wir schätzten uns sehr, er verhalf mir in Wien zur Aufführung und dirigierte Una strofa di Dante, von der es auch eine Aufnahme gibt.
Und wie kamen Sie zum Komponieren?
Ich bin Pianistin, habe Klavier gespielt, habe immer gemalt und Stücke geschrieben und da kam ich zum Schreiben von Musik.
Ist es so einfach?
Sehr einfach. Wenn man in der Musik drinnen ist, ist es einfach. Wenn Sie Klavier lernen, ist es zur Flöte ja nicht so weit. Oder zur Geige. Die Frage ist die, wofür sie sich entscheiden. Und da muss ich sagen, bin ich nicht so sehr für diese Progression. Ich habe also für elektronische Musik nichts übrig. Tut mir leid. Obwohl es eine tolle Musik ist. Und es würde mich auch interessieren, weil es ein ganz anderer Aspekt ist von der Kunst: eigentlich ein toter Aspekt, der zum Leben kommt. Aber ich bin nicht dafür. Ich möchte gern einen Ton hören, so wie er ist. Und da brauche ich keine Elektronik.
Aber Sie kommen vom Serialismus?
Seriell ist was anderes. So schnell ist man da überhaupt nicht bei der Elektronischen Musik. Das ist eine falsche Annahme. Warum sollen die serielle Musik oder die Zwölftonmusik zu der Elektronik hinführen? Eher zur nonkonformistischen Minimalistik, zum Beispiel. Aber Elektronik ist ein anderer Aspekt, der eher mit der Musique concrète in Zusammenhang gebracht werden sollte. Toll finde ich diese Möglichkeiten, aber ich mag sofort, im gleichen Moment etwas haben. Elektronische Musik habe ich absichtlich abgelehnt.
„FORM ist ZEIT, die Suche nach der Wahrheit brauchte eine Form, um Ausdruck zu finden, um der Täuschung des Vergänglichen zu widerstreben“ schrieben Sie in Ihrem Brief über sich selbst. Sind die Emotionen, Gedanken, Eindrücke, die Sie in Form wiedergeben konnten, die bearbeiteten oder die verstandenen oder gehen Sie diesen Weg immer wieder mit all Ihren Gedanken und Gefühlen?
Meine Vorgaben bei meiner seriellen Musik waren ja immer programmatische Vorgaben der emotionellen, abstrakte Musik, nicht vergleichbar mit einem Streichquartett beispielsweise. Das ist eine ganz andere Art und Weise des Herangehens. In dem Moment ich etwas thematisch erarbeite, war bzw. ist das Gefühl da. So zum Beispiel Der übergangene Mensch. Die Oper zwar wurde noch nie aufgeführt, aber zusammen mit Klaus Karlbauer ist 2006 ein Präsentationsfilm dazu entstanden – der wird ja zu sehen sein. Und ich freue mich auf das Schlagzeugstück A Game for two. Es wurde 2007 in Schwarza uraufgeführt und konnte damals leider nicht aufgenommen werden.
Sie sagten über sich „Ich bin ein unzufriedener Mensch, aber eine zufriedene Frau“ – steckt darin eine Motivation für Ihren künstlerischen Ausdruck?
Ich bin ein unzufriedener Mensch, politisch und kulturell, eine unglücklich unzufriedene Europäerin bezogen auf die Weltlage, die Politik. Aber eine sehr glückliche Frau, solange mein Mann da war. Motivation? Die Erfahrung des zweiten Weltkrieges nimmt mir niemand weg. Ich bin zweisprachig, Zweiländerin, dann Wienerin und komme noch aus der Monarchie … Das Komponieren ist Ausdruck von nichts, warum soll Komponieren Ausdruck von etwas sein? Es ist Ausdruck von Musik! Der Esel läuft und ich komponiere Musik!
Sie sind politisch, wo Sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Natürlich. Für Der übergangene Mensch habe ich von eigenen abstrakten Bildern Szenen gemacht, 7 abstrakte, geometrische Konstitutionen, die den Weg und den Charakter total zeigen. Daraus entstand die Oper, in drei Büchern. Alle Bilder haben Titel: Verlorenenheit, Ohnmacht, Trauer, Liebe – alles was den Menschen berührt, kommt von diesen Blättern. Was problematisch ist, das sind abstrakte Bilder, reine Geometrie, die in sich keine Kunst hat. Das ist schwer zu realisieren, für mich war das nur eine Nomenklatur, ein verbales Mittel, mit irgendetwas weiter zu gehen. Als ich bei einem Bild steckenblieb, wurde es so reichhaltig, dass ich auf die Musik dahinter/ darin gekommen bin. Komisch oder? Dass man von einer Abstraktion ein Geschehen macht. Ich übersetze die Zeichen in irgendein Motiv.
Birgt dieses Prozedere eine Art Erkenntnisgewinn für Sie?
Nein, um die Wahrheit zu sagen, die Bilder sind aus reiner Freude, aus geometrischem Interesse entstanden. Zum Beispiel das Bild da: ein Vasarely. Ich hab es billig ergattert, noch aus dem letzten Jahr kommunistischen Budapests, heute nicht mehr bezahlbar. Ich liebe es heiß! Elektronisch erzeugte Werke scheinen vielleicht im ersten Eindruck dasselbe zu können, aber ihnen fehlt etwas. Tiefe vielleicht. Seele. Und die fehlt den Menschen dann auch. Schau sie dir an, ihre Politik, wie sie töten. Das kann ja nur geschehen, wenn die Leute nicht mehr wissen, wo sie sind und wie sie sind und was sie sind. Und immer wieder töten sie. Es ist eine fundamentale Angelegenheit, ob eine Generation einen Krieg erlebt oder nicht. Ich habe den Weltkrieg erlebt mit viel Plagerei und viel Tragik und viel Verlust von Familie. Das kann man nicht vergessen, das bleibt eingetragen. Darum die Thematik des verlorenen Menschen, des übergangenen Menschen. Was ist denn der Mensch?
[Luna Alcalay ist am 9. Oktober 2012 verstorben.]
Dieser Artikel ist erstmals erschienen bei e_may.
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