Billy Roisz
Ich bin keine Dogmatikerin
Es geht um das Spiel mit Hör- und Sehgewohnheiten, mit Unstrumenten, um Input und Output, jedoch nie darum, Inhalte zu illustrieren: Billy Roisz dehnt die Begriffe Audio und Video, bis sie einander berühren und beschreibt unentwegt die Haptik dieser beiden Gattungen.
Du bist Autodidaktin und in dein Feld quasi hineingewachsen …
Naja, ich hab schon in meiner Kindheit und Jugend Instrumente gelernt und auch in einer Blasmusikkapelle gespielt, ich war an einem musisch-pädagogischen Gymnasium. Das hat zwar nicht unmittelbar mit meiner jetzigen Arbeit zu tun, aber irgendwie prägt das ja doch. Ich bin über Tanz – eigentlich war die genaue Bezeichnung „physical theater“ – also Bewegungstheater, zum Fimemachen und DJing gekommen. Da war es dann zum Musikmachen auch nicht mehr weit.
Hast du bewusst institutionelle Ausbildung vermieden?
Nein, ich hab mich mit meinen Zeichnungen nach der Matura an der Angewandten beworben, allerdings erfolglos. Der Professor für Grafik hat mich nach ewigem Anstehen und Warten zur Malerei geschickt, da war ich aber dann schon zu spät … und dann ist viel passiert: Ich war acht Monate in Südamerika am Reisen, hab mit 20 Jahren eine Tochter bekommen, Biologie und Ethnologie studiert. Kunst ist als Beruf erst mit dem Bewegungstheater, dass mich neben Kunst, Musik und Film auch immer sehr interessiert hat, wieder in mein Leben getreten.
Zusätzlich zu deiner Musikalität waren also die eigene Körperlichkeit beim Tanz, aber auch die Figürlichkeit von Musik im Raum dein Thema / deine Aufhänger …
Mit der Bewegungstheatergruppe vis plastica unter der Regisseurin Jutta Schwarz erschufen wir mit unseren in Ganzkörperstrümpfen gehüllten Körper dreidimensionale, audiovisuelle Skulpturen. Die Außenhaut war also der Strumpf und die Körper selbst nicht sichtbar. Wir arbeiteten großteils mit Live-Musik, und meistens im öffentlichen Raum, also auf der Straße. Diese Jahre bei vis plastica haben natürlich Einfluss sowohl auf meine Bilder als auch auf meine Musik, ich bin ja vor allem auch am Körperlichen, Materialhaften in Bild und Sound interessiert, da liegt sicher ein Hauptinteresse meiner Arbeit.
Ist dir das digitale Instrumentarium dabei Werkzeug, beispielsweise rhythmische Bild-Ton-Kohärenzen zu erzeugen?
Bei meinen audio-visuellen Performances verwende ich zur Bild-Tonverschränkung nur analoges Intrumentarium, also keine Computer. Ich verwende dafür zum Beispiel alte Videomixer, die ich umzwecke, indem ich das Audiosignal in den Videoinput stecke, oder einen Synchronator – ein Minikästchen, wo ich auf die drei Farbkanäle Rot-Grün-Blau je ein Audiosignal schicken kann und somit mit dem Ton das Bild zeichne.
Diesem physikalischen Fakt wohnt ja aber ein ästhetischer, sogar abstrakter Gehalt inne – wie bis du an diesen geraten?
In den späten 90er-Jahren bewegte ich mich in dem Umfeld von Japan Noise und elektronischer Musik aus allen möglichen Bereichen. Ganz direkt hat mich die japanische Musikerin SachikoM inspiriert, die einen Sampler ohne Sample gespielt hat, also nur mit Test-Signalen, die am Sampler gespeichert sind, und diese wiederum in den Sampler eingespeist hat. Diese Feedback-Schleifen waren sozusagen ihr Instrument. Das brachte mich auf die Idee, mit alten Videomixern zu experimentieren, Soundkabel in den Video-Eingang zu stecken, auch Kameras über Monitorfeedback laufen zu lassen und so weiter. Einer meiner ersten Live-Auftritte mit meiner neu entdeckten Art, Videos zu generieren, war dann sehr bald im Duo mit SachikoM im Rhiz, wahrscheinlich im Jahr 2000.
Wann und wodurch wird aus so einem Experiment ein Stück oder eine Skulptur?
Spannend waren für mich in diesen Anfangszeiten mehr die Fragen als die Antworten. Ich habe erste Videoexperimente im Rhiz und in der Filmcoop im WUK gezeigt. Zu der Zeit gab es reichlich vom Do-it-yourself-Punk-Noise-Spirit. Aus heutiger Perspektive sind diese Sachen extrem roh, unausgearbeitet und frech. Imperfektionismus und Rotzigkeit gehörten da auch ganz stark dazu.
Aber es gibt eine Handschrift ein, die sich in dein Schaffen eingraviert. Was von dieser Handschrift ist dir bewusst? Sind Fieldrecordings ein Materialzugang, um Körperlichkeiten zu erzeugen, wie beispielsweise bei AQUAMARINE?
Dieses Video ist eine Auftragsarbeit für Mopcut, also Lukas König, Audrey Chen und Julien Desprez. Ich habe es in Zusammenarbeit mit Dieter Kovacic gemacht. Ein klassisches Musikvideo in dem Sinn, dass der Soundtrack, die Nummer Aquamarine schon fertig war und wir dazu ein Video machen sollten. Kurz nachdem uns Lukas gefragt hat, sind Dieter und ich nach La Gomera gereist – die Reise war ja schon geplant gewesen – aber wir haben dann mit dem Aquamarine im Kopf nach Bildern gesucht. Das Meer hat sie uns geliefert. Nach unserer Rückreise konnten wir dann aus dem gesammelten Material das Video zum Sound montieren.
Es gibt also keine Grenzen, du nimmst, was dir zur Verfügung steht …
Ich bin keine Dogmatikerin. Aber ich bin trotzdem sehr wählerisch. Also ich mach nur, was mich wirklich interessiert.
Mit Dieter Kovacic aka dieb13 bist du eigentlich von Anbeginn zusammen unterwegs …
Wir sind seit 1998 Partner im Leben und in der Kunst und haben schon einige Projekte mit teilweise recht verschiedenen Ausrichtungen miteinander gemacht. Das jüngste Live-Projekt ist TWIXT. Dieter und ich haben sich in den letzten Jahren für verschiedene Filmprojekte mit den Formeln und Strukturen des Genrekinos beschäftigt. Wir haben experimentelle Western-, Horror- und Roadmovies produziert, gerade arbeiten wir an einem experimentellen Science Fiction Film. Eine große Menge des dafür produzierten Materials haben wir gar nicht für die Filme verwendet, die sind dann der Kurzfilmlänge und der Dramaturgier zum Opfer gefallen. Also haben wir jetzt aus diesen Filmaufnahmen und auch aus generiertem Bildmaterial einen 45-minütigen visuellen Score angelegt, zu dem wir dann live musizieren. Eine Mischung aus Komposition und Improvisation, von der Dramaturgie her und auch vom Klangmaterial sehr stark strukturiert. Mit diesem Projekt treten wir vor allem im Filmfestival-Kontext auf, wo ich auch finde, dass es sehr gut verortet ist. TWIXT braucht große Leinwand!
Sehr konzeptuell, ganz im Gegensatz zu cilantro mit Angélica Castelló.
Dieses Projekt besteht schon seit 14 Jahren, wir haben allerdings erst vor ein paar Jahren ein Debüt-Album produziert – Borderland bei mikroton. Wir kennen uns sehr gut und spielen meist ganz frei zusammen. Manchmal überlegen wir uns auch was Konzeptuelles, manchmal erweitern wir unser Duo zu einem größeren Ensemble, z.B. mit Guro Moe und Liz Allbee. Angélica spielt neben der Paetzold-Flöte auch Tapes, eine Zeit lang waren auch eine Ukulele, ein mikrofoniertes Holzbrett, ein großes Messer und Cilantro, also zu deutsch: Koriander mit auf der Bühne. Ich spiele E-Bass, Elektronik und anfänglich auch einen alten Röhrenfernseher.
Und bei Husband bist du Teil ein ganz gewöhnlichen Band?
Gewöhnlich würd ich die Band auf keinen Fall bezeichnen – haha! Aber ja, wir spielen da Nummern, richtige Songs, die Leo Riegler getextet und mit Elise Mory arrangiert hat. Meine Wenigkeit liefert Electronics, Bass und ab und zu singe ich auch ein bisschen.
Dein unglaublich freier Umgang, dir an jeder Stelle irgendetwas zu eigen machen zu können, ist beeindruckend. Ist es immer so (einfach)?
Ich find einfach alles, was neu ist, eine spannende Herausforderung und vertrau dann auch den Leuten, die mich einladen, dass sie wissen, was ich mache. Also vorausgesetzt natürlich, es gibt da was, das mich interessiert, das mich berührt, wo ich mir eine interessante chemische Reaktion vorstellen kann.
Fühlst du dich im Noise / Electronic / Experimental zuhause?
Das ist die Schwierigkeit, wenn man sich nicht so leicht in Schubladen pressen lässt. Ich seh mich selber schon da, aber was ich mache, bewegt sich genauso im Umfeld der elektroakustischen Improvisation, im Experimentalfilm, in Sound Art.
Interessiert dich demgemäß auch Musik- oder Sprechtheater?
Gerade sind die Musik und das Video für die Inszenierung des Briefromans Hyperion von Hölderlin in Tübingen fertig geworden. Seit ungefähr zwei Jahren bin ich dabei, herauszufinden, was ich mit Sprechtheater anfangen kann. Bei Hyperion war ich das erste Mal ganz stark involviert, zuvor habe ich meist Videoarbeiten als Beitrag zu Theaterstücken geliefert. Ich finde diese Arbeit sehr spannend, muss aber noch schauen, wo ich mich selbst da einordnen kann und will. Die Institution Theater ist da auch ein bisschen schwierig für mich. Aber die Arbeit an sich mit dem Team, in dem Fall der Regisseurin Carina Riedl und der Bühnenbildnerin Pia Greven, in früheren Arbeiten mit dem Regisseur Franz-Xaver Mayer, ist einfach wunderbar. Nur an die Arbeitssituation im großen Apparat Theater muss ich mich noch gewöhnen. Oder auch nicht. Was ganz neu ist und sehr viel Spaß macht, ist ein Projekt mit der Performerin Anat Stainberg. Wir haben schon öfter zusammengearbeitet, das neueste Projekt Franz Stuttgart – highlights and headaches ist ein Filmprojekt ohne Bilder. Anat liest Samples aus diversen Geschichten, die sie geschrieben hat, und ich spiele live dazu. Wir möchten das gern nach der Corona-Kultur-Pause häufiger auf die Bühne bringen.
Wie kommst du mit Hölderlin beispielsweise zu deiner Sprache?
Ich hab mich mit der Sprache Hölderlins bis zum Schluss nicht leicht getan. Durch die enge Zusammenarbeit mit Carina Riedl und Pia Greven hab ich aber einen Zugang auf einer Meta-Ebene bekommen. Carina hat den Stoff aus dem Hyperion nach einem System aufgebaut, auch schon ein Farbsystem für das Bühnenbild gehabt, und so hab ich mich dem Stoff über eine abstrakte Ebene angenähert: über Jahreszeiten, über Elemente, die immer wieder vorkommen. Ich hab dann versucht, einerseits diese Meta-Ebene des Briefromans und andererseits – ich nenne es gern: Unterströmungen – aufzuspüren, also das, was ich unter den Texten lese. Das hat für mich etwas sehr Strukturelles, Materielles und Körperhaftes, auch Rhythmisches, womit ich dann arbeiten kann. Den Text hab ich eher als einen Teil der Klangwelt betrachtet, mich also nicht inhaltlich-assoziativ darauf eingelassen.
Ich hab deinen Namen immer mit Visuals bzw. Audiovisuals verbunden …
Ich sag zu meinen Videos nie Visuals. Audiovisuelle Arbeiten schon, aber Visuals kommen für mich aus dem Clubkontext. Ich erzeuge eher audiovisuelle Skulpturen, wo Ton und Bild miteinander eine feste Bindung eingehen, einander bedingen, sich miteinander verschränken. Teilweise entstehen natürlich auch aus den Sounds Videos, teilweise passiert das auch umgekehrt.
Meinst du deine Arbeit politisch, willst du ein Statement liefern?
Ich sehe mich als eine politische Zeitgenossin. Auf meine Kunst bezogen: Ich spüre keinen Auftrag, will auch keine Message überbringen. Es geht mir eher darum, sowohl in meinen Filmen als auch in Konzerten oder Live-Auftritten, im besten Fall die Fahrerin zu sein und das Publikum auf eine Reise durch meine Welten mitzunehmen. Da geht es eher um Erweiterung, Tore aufzumachen, anders wahrzunehmen, neu zu sehen, zu hören, zu denken. Vielleicht ist das auch politisch.
Was ist copy-art für dich bzw. was machst du daraus?
Das ist schon lange her. Ich hab in meinen ersten Videos mit dem Ausgangsmaterial Foto gearbeitet und das so oft kopiert, bis es sich am Kopierer auflöste. Diese Ergebnisse wurden dann in als Einzelbilder abfotografiert und quasi animiert. Dieses ständig wiederholte Kopieren eines Fotos, das sich dadurch dann auflöst, bringt eine Zeitachse in einen perpetuierenden Prozess und erschien wie eine Erinnerungsauflösung durch Wiederholung. Ein statisches Bild wird durch diese Auflösung in Bewegung gesetzt und was überbleibt, sind Punkte und Schlieren. Solche Arbeiten wurde beispielsweise dann auch mal zur Ausgestaltung des Foyers vom Schauspielhaus hergenommen.
Und du arbeitest aus dem Material ein Innenleben heraus …
Genau, vielleicht ein Skelett oder eine Formel, die einem Material innewohnt, wird durch diesen Vorgang offengelegt.
Würdest du zu deinen eigenen audiovisuellen Arbeiten auch performen?
Also ich würde sagen, sobald ich auf der Bühne bin, performe ich. Aber zurück zum Bewegungstheater will ich nicht mehr.
Wie kommt das „gnu“ in deiner Mailadresse?
Das „gnu“ war mein DJ-Name. Ich hatte damals so eine Frisur, Sidecut und oben an beiden Seiten die gelben Haare zu Hörnchen gedreht.
Bist du gefährdet durch Corona?
Konzerte werden laufend abgesagt oder verschoben, klar. Aber dadurch, dass das Theaterprojekt in Tübingen schon fix war und ich auch gerade an einem Film mit Dieter Kovacic arbeite, der auch schon finanziert ist, und mit Unterstützung durch die Künstlersozialversicherung geht es sich bei mir im Moment noch aus. Kompliziert ist es halt mit Reisen, man weiß nie, ob man in eine Quarantäne-Falle tappt. Persönlich find ich den Zustand sehr erschöpfend. Ständig bin ich am Abwägen des Zuviel und Zuwenig – das ist schon fast schizophren. Künstlerisch hab ich dieses Ausgebremstwerden durch den ersten Lockdown, das mir ja wortwörtlich im Zug nach Frankfurt widerfuhr: mir wurde ein Konzert auf meiner Hinreise im Zug abgesagt und ich mußte wieder umdrehen, in einem Trailer für ein Filmfestival in Hamburg, das dann eh nicht stattfinden konnte, versucht einzufangen. „Quarantine Carousel“ heißt er: den körperlichen Zustand des Ausgebremstwerdens und gleichzeitig sich im Kreis Drehens zu beschreiben. Das Vergrößerungsglas ist durch Corona auf die prekäre Lage aller Freischaffenden gerichtet worden und es stellt sich die Frage, ob akute Maßnahmen nachhaltig auf das gesamte Geschehen wirken können. Das wäre sehr wichtig und sehr wünschenswert.
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at.
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