Alexandra Karastoyanova-Hermentin
Die Musik selbst ist genug konkret
Sie ist Jury-Mitglied mehrerer internationaler Kompositions- und Klavierwettbewerbe, war 2013 Mentorin für Komposition beim BMUKK und ihre Musik ist mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Ihre Werke fordern Höchstleistungen vom Interpreten, doch diese fordert sie auch von sich. Ihre Musik lässt sich weder der traditionellen noch der zeitgenössischen Sparte zuordnen und ist in höchstem Maße eines: virtuos. Alexandra Karastoyanova-Hermentin im Gespräch.
Mit Tarsis wurdest du im Juni 2019 für die Rychenberg Competition in Winterthur nominiert – wie kam es dazu?
Eigentlich nehme ich selten an Wettbewerben teil, aber zum Zeitpunkt der Ausschreibung wollte ich ohnehin ein größeres Orchesterwerk schreiben. Es ging bei der Rychenberg Competition auch um einen Wettbewerb von größerem Format. Das Musikkkollegium Winterthur arbeitet ja in Kooperation mit dem Fotomuseum Winterthur mit einer renommierten Jury. Die Nominierung der 10 Komponisten war mit einem Anerkennungsgeldpreis und einer Videoeinspielung durch das Musikkollegium Winterthur verbunden. Entgegen meines sonstigen Arbeitsmodus’ entstand diese 20-minütige Komposition mit einer ungewöhnlichen Leichtigkeit, ganz im Widerspruch zu ihrer Komplexität und der daraus resultierenden Dimension. Danach folgte eine enorme, fast erschöpfende zweimonatige Tag-und-Nacht-Arbeit an der Erstellung des Notenmaterials – einerseits wegen meiner Eigenart, alles per Hand zu notieren, und andererseits wegen der ständigen Streicherdivisi. Die darauffolgende Einspielung in Winterthur relativierte diese Anstrengungen aber wieder und es entstand eine großartige Interpretation, nicht zuletzt durch den fantastischen Einsatz des Dirigenten Pierre-Alain Monot.
Steckt im Titel (und im Stück) ein Teil von Katharsis?
Außermusikalische Bezüge sind selten für mich, in diesem Fall wählte ich aus den drei vorgeschlagenen Fotoserien die Arbeit von Anastasia Mityukova Find a Way or Make One – Eine Sicht auf die Arktis – eine schwarz-weiße Collage, die mir mit ihrer Subtilität und trotz minimalistischen Mitteln erreichtem Kontrast imponierte. Ich liebe es, künstliche Titel zu finden, so auch bei Tarsis. Im Großen und Ganzen ist das Werk derart komponiert, daß nach einem dynamischen Aufbau des ersten Satzes, mit seinem langanhalten, abrupt endenden Kulminationsabschnitt, die lyrische Sphäre des langsamen, kammermusikalisch besetzten 2. Satz folgt, durchsichtig und schwebend in seinem Charakter. Die Unruhe des 3. Satzes, bestimmt durch ein pulsierendes Muster, wechselt zur Lyrik und Intensität des zentral stehenden 4. Satzes. Das Werk endet mit zwei Epilogues, die ich in Anlehnung an die Fotobilder und an meine tonhöhenbezogene Frabempfindung Ice blau und Ice grün nannte. Tarsis ist interpretatorisch und vermutlich an manchen Stellen auch perzeptiv herausfordernd, nicht zuletzt wegen der Vermischung orchestraler und kammermusikalischer Umsetzung der Klangarchitektur.
Woran hast du zuletzt gearbeitet?
An einer Auftragskomposition des Festivals Aspekte Salzburg für das Ensemble PHACE. Dessen Titel Tschinar kommt aus dem Bulgarischen und bedeutet Platane. Die Uraufführung und die weitere Aufführungen bei Imago Dei in Krems und beim Osterfestival Tirol mussten leider wegen der derzeitigen Situation verschoben werden. Ihm diente mein für Hayk Melikyan komponiertes Klavierstück Lintarys als Vorlage. Dadurch, dass der Solo-Klavierpart eins zu eins übernommen wird, entstehen mehrere zusätzliche instrumentale Schichten, woraus eine völlig andere Variante des ursprünglichen Werkes resultiert. Zur Zeit arbeite ich außerdem an einem Auftragswerk für das Stadler Quartett. Zwei weitere Aufträge für Ensemblewerke für 2022 sind geplant. Außerdem habe ich mir vorgenommen, die angefangene Arbeit an dem 2. Klavierkonzert fortzusetzen. Stilistisch soll es einen „romantischen Touch“ bekommen, nicht zuletzt durch Virtuosität und größere Dimensionen.
Wie komponierst du und wie kommst du zu deinem Material? Dein genaues Schreiten durch die Jahrhunderte ist erkennbar, doch werden Zitate maximal in Andeutungen erkennbar …
Wirkliche Zitate sind in ganz wenigen Kompositionen vorhanden, beispielsweise das verschlüsselte 10-Sekunden-Don Giovanni-Zitat in Annäherung. Dieses Orchesterwerk entstand im Auftrag der Salzburger Landesregierung und die Aufnahme, gespielt durch das Mozarteumorchester Salzburg mit Johannes Kalitzke als Dirigenten, war das ganze Jahr 2006 in der Salzburger Viva!Mozart Ausstellung zum hören. Auch Allusionen sind manchmal eine Intention, so zum Beispiel eine stilistische Nähe zum Werk Scarlattis in den Klavierstücken Hommage an Scarlatti und Scarlatti Arie – letztere arbeitet die bekannte d-Moll-Sonate von Scarlatti um. Hier habe ich die zusätzlich entstehenden linearen Schichten farblich notiert. Mein primärer Arbeitsvorgang ist grundsätzlich unabhängig von den Aufträgen, im Sinne eines außermusikalischen Kontextes. Für mich ist Musik nicht programmatisch. Sie selbst ist genug konkret in ihrem Charakter. Neben Emotio und Ratio spielt für mich eine dritte Ebene die führende Rolle: kontrollierbare Intuition. Das Konstruktive ist mir fremd. Die Suche nach etwas, was nicht in Regeln zu definieren ist, durch einen intuitiven Vorgang, erlaubt schließlich mehr Kontrolle über die Materie. Das kann man schwer erklären. Als ob es etwas gäbe, was über mir selbst steht. Die Stilistik manifestiert sich auf der Mikroebene. Konkret suche ich nach prägnanten thematischen Kernen. Oft verarbeite und entwickle ich solche Modelle, die ich in all den Jahren gesammelt habe. Ich improvisiere oft am Klavier, auf der Suche nach solchen Modellkomplexen, besonders im Anfangsstadium des Komponierens. Danach ist die Arbeit nicht unbedingt mit dem Instrument verbunden. Die Idee bekommt ihre Position im Konzept und so ergibt sich die Form.
Wie wird dann aber der Gegenstand für dich greifbar, beispielsweise beim Klavierkonzert mit Bajanorchester?
Ein Instrumentalkonzert ist immer um einiges schwieriger zu komponieren, als Werke ohne solistische Instrumente. Seit der Entstehung meines 1. Klavierkonzertes im Jahr 2000, damals von Per Rundberg mit dem Mozarteumorchester Salzburg und Johannes Kalitzke uraufgeführt, sind viele neue Ideen für das Instrument entstanden, die ich umsetzen möchte. Das Klavier als Instrument erlaubt keine bloßen Klangeffekte und wird leider des Öfteren als Schlaginstrument betrachtet. Besagtes Angebot, ein Klavierkonzert mit Bajanorchester für eine Uraufführung im Mariinsky Theater zu komponieren, war hochinteressant, musste aber auch aufgrund der derzeitigen Situation verschoben werden. Für solo Bajan habe ich eine Version meines 1. Klavierkonzertes geschrieben, uraufgeführt 2013 durch Artem Nyzhnyk in der Staatsoper von Donetsk. Ein Bajanorchester dagegen ist für mich ein neues, spezifisches Medium, da die üblichen Funktionen des Sinfonieorchesters anders zu betrachten sind. Stilistisch wollte ich es romantisch, mit größeren Dimensionen und virtuosen Ansprüchen haben.
Das ist überhaupt die Frage, die mich in letzter Zeit viel beschäftigt: die Zugehörigkeit zur Modernität. Ich behauptete immer, dass wir uns in den zeitgenössischen Strömungen artikulieren sollen. Seit geraumer Zeit ist es mir aber egal, wie etwas zuzuordnen ist. Wenn eine Hülle wegfällt, bleibt vermutlich das Wesentliche. Ich versuche, mit beiden Füßen im Jetzt zu stehen, aber mit einem Auge zurück und mit dem anderen nach vorn zu blicken. Mich beschäftigen die einfachsten und gleichzeitig schwierigsten Fragen der Melodik und Harmonik, auch jene der Zugänglichkeit. Dies ist zum Beispiel in der Hymne, einem der sechs Sätze meines letzten Klavierstücks und dessen Bearbeitung Tschinar für Klavier und Ensemble spürbar. Hier verwende ich eine spezifische Klavier-Akkordtechnik, die einen besonderen „Schlag-Klang“ hervorbringt. Das geschieht durch ein artikulliertes gleichzeitiges Staccato- und Legatospiel in der Basslinie der linken Hand. Die Mischung zwischen den konsonanten Harmonien und dieser spezifischen Klaviertechnik dienen der Idee des Erkennbaren und des Entfernten. Ähnliche Ideen romantischer Semantik sind in Polynj für Violoncello und Klavier zu hören, zuletzt in einer fantastischen Interpretation durch Peter Sigl und den Pianist:innen Per Rundberg und Nora Skuta bei den Festivals Dialoge in Salzburg und Ultraschall in Berlin aufgeführt. Auch Fragen der Symmetrie und Asymmetrie, des Erwarteten und Unerklärlichen, der Ungleichmäßigkeit der rhythmischen Zusammenhänge spielen immer eine Rolle. Aber es gibt ein menschliches Bedürfnis nach Erkennbarkeit und rhythmischen Impulsen und ich bemühe mich, auch in diese Richtung zu arbeiten. Oft ist jedoch das, was ich als elementar empfinde, nicht leicht nachvollziehbar. Also braucht es immer ein Gleichgewicht zwischen Dissonantem und Konsonantem und eine innere Logik, unter anderem: eine Melodie.
Meinst du das tonale System?
Jedes System, auch das tonale System, hat eine hierarchische Struktur, in der man sich orientieren kann und muss. Schließlich bleibt eine Tonika in ihrer Funktion, unabhängig davon, ob sie von einer Tuba oder vom Klavier gespielt wird. Diese strukturelle, organisatorische Ebene ist für mich kein vorgegebenes Feld. Ich finde noch immer viele Ideenressourcen, die an den tonalen Wendungen anknüpfen. Besonders spürbar ist es in manchen Stellen vom Ensemblewerk Elimo, wofür ich den Staatspreis Outstanding Artist Award Musik erhielt. An manchen anderen Stellen ist der Gedanke völlig konträr dazu.
Die Umordnung der Parameter eines Stücks ergibt also das Neue?
Alexandra Karastoyanova-Hermentin: Es ist nicht die Frage nach Neuem, die mich umtreibt. Ich komme nicht von diesem Ausgangspunkt, dass das Neue primär und von Anfang an tragend ist. Ich glaube, unsere Sicht ist da historisch begrenzt auf einen kleinen Zeitraum, doch das Existierende ist ja um einiges größer. Es gibt wahrscheinlich zwei Typen von Komponist:innen: die einen, die einer Theorie vorauseilend und suchend arbeiten und sehr viele, die sowieso mit ihren Werken schon etliche theoretische Erkenntnisse haben, ohne das unbedingt zu wollen oder bezweckt zu haben.
Suchst du in deinen Kompositionen nach den Grenzen, die ganzen Parameter so in Beziehung zu setzen, bis dass das Ganze Struktur bekommt, hörbar, erfahrbar und stringent logisch wird bzw. an Chaos grenzt? Wo beginnt es zu kippen, dass es keine erkennbare Ordnung mehr gibt?
Ja, es braucht ein Gleichgewicht zwischen allen Parametern. Das Erkennbare hat ja sehr viele Dimensionen oder Schichten. Es ist auch nicht mit dem Gewohnten zu verwechseln. Musik muss nicht immer verstanden werden. Aber sie muss sehr logisch sein. Neben den gewollten gibt es aber auch immer die ungewollten, spontanen Zusammenhänge, die mir am interessantesten erscheinen. Auch wenn meine Musik nicht verstanden werden muss, soll sie doch mindestens zum Nachdenken bringen und in den meisten Fällen spürbar sein. Es ist heikel, vorzuschreiben, was eine Emotion ist, aber wenn selbst emotional nichts spürbar ist, war das Stück umsonst. Wenn ein Interpret zuhause arbeitet, muss seine Intention sein, dasselbe Gefühl wie auf der Bühne zu ermöglichen: er selbst muss ab und zu eine Gänsehaut vom eigenen Spiel bekommen. So verhält es sich auch mit dem Komponieren: Es gibt Strukturen, Systeme, Logik, Intuition, aber am Ende vom Tag muss etwas entstanden sein, dass darüber hinausgeht und berührt.
Das menschliche Gehirn ist doch nur begrenzt in der Lage, komplexe Musik zu erfassen. Selbst einem geübten Gehör ist es ohne Partitur nicht möglich, komplexe Strukturen ad hoc zu speichern und zu begreifen – dazu arbeitet der dafür zuständige Teil unseres Gehirn zu langsam. Aber der Mensch kann sehr wohl spüren, was das Gehörte in ihm auslöst …
Natürlich gibt so komplexe Stellen, dass man sie nicht mehr erfassen kann, aber diese wechseln ja auch wieder mit Erkennbarem ab. Der Mensch braucht auch Ruhe von der ganzen Komplexität, denn sie ist nicht leicht zu erfassen. Und zum Tonalen hat der Mensch leichter einen Zugang. Aber es wird kaum möglich sein, meine Musik als Tonal zu bezeichnen. Nichtsdestotrotz meine ich, dass der Mensch sehr wohl ein analytisches Gehör entwickeln kann, das ist nur eine Frage des Trainings. Was früher historisch gesehen schwer zugänglich war, ist heute verständlich. Das heißt, die Musiker und das Auditorium entwickeln sich. Die Frage ist nach wie vor die nach dem Gleichgewicht oder der Dosierung der Musikmittel. Sollten wir nur Kulminationen hören, dann empfinden wir die ständigen Gipfel als Plateau. Wenn sich ständig zu viele interessante Momente abwechseln und sich nicht entwickeln, dann wirken sie nicht mehr und die Materie erstarrt. Unsere Erkenntnis braucht einen Aufbau, eine Form, nach einer Anstrengung suchen wir den Ausgleich – das ist es, was ich in meiner Musik zu transportieren versuche. Komplexität versus Einfachheit, zugunsten derer ich zunehmend komponiere.
Fließt dieser Gedanke auch in dein Stück Tarsis mit ein?
Der erste Satz vom Tarsis ist am komplexesten, da habe ich fast kammermusikalisch für das Orchester geschrieben, was wegen den vielen vorherrschenden Dissonanzen im Orchester das Spiel erschwert. Bei einer optimalen Umsetzung eröffnen sich neue orchestral-funktionale Möglichkeiten. Hohe Komplexität in den Ensemblewerken ist bei mir auf unterschiedliche Weise immer präsent. In Galechri ist zum Beispiel der Ausgleich zwischen Komplexität und Durchsichtigkeit ein anderer, in gedehnter Form, bis ins Extreme – eine wirkliche Herausforderung für jedes einzelne Ensemblemitglied, sowohl technisch, als auch in Richtung feinster Nuancierung.
Ist dir die Interaktion zwischen Komponist und Interpret dann wichtig?
Über Interpreten nachzudenken ist für den Kompositionsprozess sehr wichtig, ebenso wie das heikle Thema Virtuosität – in dem Sinne, dass ein Interpret etwas vorzuzeigen hat, dass er mit etwas glänzen darf. Und das ist oft ein Gedanke während des Schreibens: Inwiefern begrenze ich einen Interpreten, indem ich etwas zu exakt notiere, und inwiefern gibt es die Möglichkeit zu mehr Eigenständigkeit? Ein Beispiel wäre Kastena für Violine und Violoncello, komponiert für das International Contemporary Ensemble ICE. Die freie Notationsweise und die Materie selbst erlauben hier viele Interpretationsdeutungen, in denen die Qualitäten der Musiker so hörbar sind, vermutlich einer der Gründe für mittlerweile um die 50 Aufführungen, Radiosendungen und auch Workshops seitens mehreren Universitäten. 2019 veröffentlichte der renommierte amerikanische Geiger David Bowlin in New York seine CD Bird as Prophet mit einer Einspielung von Kastena, im Duo mit der Cellistin des CSO Katinka Kleijn, neben meinem meinem 20-minütigen Trio Mari Mamo für Flöte, Violine, Percussion und meiner Gesangsimprovisation , sowie mit Werken amerikanischer Komponisten. Mit David verbindet mich eine langjährige Zusammenarbeit, unter anderen war er Solist bei der Premiere meines Violinkonzertes Mahagoni in der Carnegie Hall. In Österreich wurde dieses Werk 2016 durch Alexander Janiczek und dem Symphonieorchester Vorarlberg unter Scott Voyles aufgeführt. Ich habe mit fantastischen Musikern und renommierten Orchestern und Ensembles zusammengearbeitet. Was die Musiker in der heutigen Aufführungspraxis der Neuen Musik leisten, ist enorm. Jeder klassische Interpret schleift jahrelang an seinem stilistischen Geschmack und erreicht uns vor allem durch die emotionale Geladenheit seines Spiels. Dasselbe sollten wir von den Musikstücken erwarten. Ich stehe seit mehreren Jahren nicht mehr auf den Bühnen und habe das Konzertleben dem Komponieren sozusagen „geopfert“. Trotzdem weiß ich, dass meine pianistische Interpretationsschule nicht unwesentlich für das Komponieren ist. Ich beobachte gewisse Tendenzen, darunter einen ständigen Drang nach Exaktheit, fast eine Angst vor dem Rubato und einer gewissen Interpretationsfreiheit, die sich auch in den klassischen Interpretationsschulen zunehmend durchsetzt. Nur mit Exaktheit funktioniert nichts in der Kunst. Während der Probenarbeit zeige ich häufig am Klavier, wie es klingen soll. Oder es genügt manchmal, zu sagen: „Bitte fang an zu musizieren“ und plötzlich funktioniert alles.
Hat dich die Suche nach deiner eigenen musikalischen Sprache automatisch zur Neuen Musik gebracht oder lag es eher an deinen Ausbildern wie Boguslaw Schaeffer u.a.?
Ich glaube, es ist die Summe von vielem, was am Ende zählt. Ich bin klassisch ausgebildet, kann in allen, nicht nur klassischen Richtungen improvisieren, komme aus einer Musikerfamilie in dritter Generation. Mit sechs Jahren wurde ich für eine Klavierausbildung in die Elite-Musikschule Merzljakovskaja beim Moskauer Konservatorium aufgenommen und durch meine Eltern in der Musiktheorie ziemlich viel gefördert. Mit zwölf Jahren erzielte ich die besten Resultate beim musiktheoretischen Evaluierungstest von allen Musikschulen in Moskau und wurde im Nachhinein von Gehörbildung in allen Musikausbildungsinstitutionen befreit. Abgesehen von mehreren Musikausbildungsstätten in Russland und Bulgarien, von etlichen erlebten Begegnungen von Ur- und Aufführungen von zeitgenössischen Komponistinnen und zwar seit frühesten Jahren, habe ich zuerst sporadisch komponiert – die ersten Versuche waren mit sechs Jahren. Danach folgten Kompositionsstudien an der damals einzigen Musikakademie Bulgariens, in der zum Studium nur vier Komponisten pro Jahr zugelassen wurden, später am Mozarteum. Selbstverständlich hat mich die Denkweise von Boguslaw Schaeffer nicht nur beeindruckt, sondern in gewisser Weise positiv erschüttert. Doch ein Lehrer kann höchstens Anregungen geben. Ich habe ich von Anfang vieles selektiert und war mir sicher, einen eigenen Weg zu finden.
Wie gehst du mit der Corona-Krise um?
Wir befinden uns doch permanent in einer Krise. Ich bin es durch meine Kompositionsarbeit gewöhnt, zu Hause die Jahreszeiten durch das Fenster vorbeilaufen zu sehen. Mit der Coronazeit wird die Situation von Komponisten zunehmend prekärer, weil nichts mehr langfristig zu denken geht. Auch dann, wenn sich die Pforten öffnen, bräuchten die Kunstwerke Zeit, bis sie entstehen. Die Einstellung gegenüber Kunstschaffenden wird generell immer kritischer. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als weiterhin intensivst und ununterbrochen zu arbeiten.
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