Mimu Merz
Das Theater ist die Königin der Situationen
Bei Mimu Merz aka Miriam Mone scheint alles in Konversation zu münden: jene zwischen den Musikern in ihren Songs, zwischen den Musiken, in denen sie sich bewegt, zwischen den Zuschauern, die sie zum Spielen auffordert. Zwischen den Tönen einer Sprache, zwischen den Lauten eines Worts.
Entweder bin ich schlecht geworden in der Recherche oder es gibt nicht viel zu finden über dein Schaffen in den vergangenen zehn Jahren …
Das ist eine Kritik, die mich oft erreicht: Dass ich wirklich mein Bestes tu, um mich zu verheimlichen. Ich halt es leider überhaupt nicht aus, meine eigenen Sachen aufzubereiten und darzustellen. Aber dieses Jahr ist ja so ein leap year, wo wenig passiert. Ich arbeite an mir. Vielleicht ist ja wieder mal eine Website dran – man wünsche mir Glück …
Also muss ich ganz profan fragen, was du die ganze Zeit über so tust …
Es fällt mir schwer, die Dinge einzuteilen. Mein Fluch und mein Segen ist, dass ich sehr viele verschiedene, oft interdisziplinäre, Projekte mache. Das reicht von Musik und Lesung über Medienkunstkonzepte, Audio- und Videoregie bis zu Illustration und Grafikdesign. In den letzten Jahren hab ich mich dann mehr auf Theater und Performance konzentriert.
Dort passt die Bündelung deiner Fähigkeiten aber auch am besten hin, eigentlich eine zwangslogische Entwicklung …
Das hab ich auch so empfunden. Bei meinem ersten Stück war ich total beeindruckt, dass alles tatsächlich so aufgegangen ist, wie ich es angedacht hatte. Dieses Projekt hatte sich eigentlich nur ergeben, weil meine Schwester meinte, ich solle ihr gefälligst ein Stück schreiben, in dem sie dann auch mitspielt. Ich hatte bis dato nichts in die Richtung gemacht, fand den Wunsch jetzt auch nicht gerade klein. Aber ich war angefixt. Bin dann zu dem Theater, wo es stattfinden sollte, gefahren, hab mir angehört, was sie am liebsten hätten – z.B. im öffentlichen Raum und so – und hab A nach B in Oberzeiring, einem kleinen Dorf in der Obersteiermark, entwickelt.
Ich bekleide oft den Posten des Außenseiters, der in etwas Bestehendes eindringt. Das hat Vorteile, wenn man etwa unerwartete Dinge in einem bekannten Genre machen kann, aber auch extreme Nachteile, wie die enorme Verausgabung, sich immer wieder neu zu bewähren, immer wieder neu anzufangen, dazulernen. Theater ist für mich auch deshalb interessant geworden, weil es halt fixe Budgets gibt, in deren Rahmen man arbeitet und weil es ein Team-Effort ist – da entstehen plötzlich völlig neue Möglichkeiten. Theater ist eben die Königin der Situationen. Aber es ist auch ein wunderbares Rezept für den nächsten Burnout.
Und es ist eine Institution, in die einzutreten einen Kraftakt bedeuten kann.
Oh ja, soviel ist fix. Letztes Jahr kam Covid 19 auch noch dazu – quasi als Black Cherry on Top. Produktionen verschleppten sich, Nerven lagen blank. Arbeit unter Sicherheitsbedingungen, Kontaktkreise, Maskenpflicht … nicht wissen, ob die Premiere, auf die man ein Jahr lang hingearbeitet hat, stattfinden wird. Das war schon außergewöhnlich zach. Dennoch bin ich sehr stolz auf Fahrenheit451, welches 2020 aus genannten Gründen seine schwere Geburt am TAG Theater Wien und auch nur ein paar wenige Vorstellungen erlebte, bevor ein Lockdown nach dem anderen es aus der öffentlichen Wahrnehmung drängte.
Obwohl dort ja ein recht alter Text zugrunde liegt.
Der Text lässt sich gut auf die digitale Gegenwart umlegen, obwohl das Buch 1953 geschrieben wurde. Er will ähnliche Dinge wie heute, wenn man sagt, das Lesen ginge kaputt und meint unsere ‚Kultur‘ und darum Mündigkeit nähme Schaden. Die digitale Kulturpraxis ist an sich ja nicht zu verachten. Bei aller Suderei ist die digitale Informationskultur schließlich ein unglaublicher Fortschritt. Das Miteinander leidet halt an der Medientechnologie und wie sie genutzt wird, um jeweiligen monetären und politischen Interessen zu dienen, welche halt oft nicht im Interesse der Gemeinschaft stehen. Bei meiner Performance Instant Choir zusammen mit dem Cellisten Lukas Lauermann aus dem Jahr 2018 ging es tatsächlich darum, mithilfe der Technologie übergriffige Situationen im Realraum zu erzeugen, die die Leute dazu bringen, sich einander direkt auszusetzen. Zum Beispiel, indem man deren Smartphone highjacked. Das ist ja mittlerweile quasi eine Extension deines Selbst. Die Besucher bekamen neue Identitäten, neue Namen, wurden in Pärchen geordnet, mussten einander im Raum finden und dann Konversationsaufgaben erledigen. Wir sind es gewohnt, uns in einem diskretisierten Leben aufzuhalten, wo alles messbar und getaktet ist. Mit der Aufgabe, möglichst höflich mit deinem Gegenüber in 90 Sekunden Schluss zu machen, wirst du dann gezwungen, in der Eile deine Floskeln auszupacken, was zum Teil dein Funktionieren offenlegt. Es macht mir wahnsinnige Freude, das zu beobachten. Ein Projekt gefällt mir tatsächlich dann am Besten, wenn sich eine Situation manifestiert, die ich sehen will. Ich bin ein ganz dreckiger Voyeur.
Es ist doch genau dieser Knackpunkt: Der Künstler macht’s. Ich hab vielleicht den Gedanken auch, aber nie den Mut, irgendetwas davon auch nur zu benennen oder so weit auszuarbeiten, dass es sichtbar wird, sich selbst dermaßen auszusetzen.
Es g’hört halt mehr g’redt – sag ich mal. Meine Hoffnung, Menschen ein wenig zur Konversation anzuregen, bedient auch das Projekt Asif Erotik, bei dem ich mit jeweils wechselndem Lesepartner collagenartig Liebesromane verlese. Ich bin zu einer Unmenge dieser Schmuddelbüchlein gekommen, die einer älteren Nachbarin in Judenburg, wo ich aufgewachsen bin, gehörten. Das Zeug ist teilweise so schräg, die Geschlechterrollen so konservativ und überzeichnet, dass man nicht umhin kommt, drüber nachzudenken wie das eigentlich heutzutage, im “echten Leben” quasi, wirklich rennt. Das sind schon nette, dezent feministische Abende, diese Lesungen. Es wird viel dann geplaudert. Und vielleicht sogar ein bisserl mehr g’schmust als normal…
Soziokulturelle Arbeit quasi …
Ja! Könnte man so betrachten. Das ist aber eh immer der gar nicht so kleine Wunsch an Kulturschaffende, wenn z.B zur Residency mit Aufenthaltsklausel geladen wird: dass man, wenn möglich, das zwischenmenschliche Raumklima doch etwas verbessern möge und sich sehen lasse. Mhja, warum auch nicht. Wenn’s denn möglich ist.
Begegnet bin ich deinem Namen aber erstmals als Part bei Ritornell … wie arbeitet ihr zusammen?
Uns verbindet eine schon langjährige Zusammenarbeit. Die Texte, die ich auf das Material von Richard Eigner und Roman Gerold arrangiere, schreibe ich natürlich selbst. Mittlerweile ist das eher ein Remote-Schaffensprozess geworden: Jeder arbeitet allein und dann trifft man sich im Studio, wenn’s gut geht. Da ich zusammen mit Miriam Schmidtke beim heurigen Ö1-Hörspielpreis die Publikums-Trophäe erhalten habe und Roman gleichzeitig in einer anderen Kategorie, nämlich Track5, gewonnen hat, schauen wir beide, dass wir uns da jetzt mal gemeinsam was in die Radiokunstrichtung ausdenken. Den Wunsch wieder direkter miteinander zu arbeiten gibt es jedenfalls.
Du singst und schreibst doch aber viel in der englischen Sprache …
Österreich ist ein Kulturimportland, da liegt das nahe. Die meisten musikalischen Vorlagen, die mich prägten, waren halt auch auf Englisch. Man kann sich hinter der anderen Sprache natürlich auch prima verstecken. Als ich vor Jahren zum ersten Mal – und einzigen Mal – zu einem Slam Poetry eingeladen war, habe ich meine erste deutsche ‚Prosa‘ verfasst und mich damit zunehmend für meine Muttersprache zu interessieren begonnen. Es ist zwar ein richtiger Kampf, da die eigene Kunstsprache zu finden, aber ich glaub, das ist es schon wert. Auf meinem Album Elegies in thoughtful neon gab es genau ein deutsches Lied, nämlich Politik der Liebe, und ich finde das am besten, weil es eine Härte aufweist, die man nur in der eigenen Sprache erreichen kann. Und das wiederum erreicht die Leute.
Deine früher noch viel häufiger geposteten Wortspiele und die Vielgestaltigkeit deines Outputs generell zeugen von einem unglaublich aktiven Geist. Verspürst du Lust am eigenen Denken?
Unterschiedlich. Prinzipiell natürlich ja, und in Phasen erhöhter Produktion steckt definitiv eine Lust am eigenen Denken dahinter. Aber Denken ist eher mit Verdauung zu vergleichen, weil antrainierte Prozesse ablaufen, die halt ihren Dienst tun, aber nicht ganz bewusst sind. So empfinde zumindest ich das. Und wenn diese Verdauung gut eingestellt ist und gut arbeitet, macht es auch Spaß, die Welt zu konsumieren. Wenn das Denken nicht gut eingestellt ist, macht es auch keinen Spaß und man wünscht sich, dass es die Klappe hält da oben.
Hast du etwas gefunden, womit sich das Denken einstellen oder sich dieser Vorgang regulieren lässt?
Glücklichsein hilft. Ansonsten: Das Reisen. Was sich im vergangenen Jahr natürlich nicht so ergeben hat. Zuvor war ich noch sehr, sehr viel und vor allem allein unterwegs, in Tokio, Australien, Paris … Da war ich mit so vielen neuen Dingen, so einem reichen Buffet verwöhnt, da hat das Denken wirklich Spaß gemacht. Ich mag es so gern, Dinge zu beobachten, mich auf Details einlassen, Vorgängen zuzusehen. Und das gelingt mir am ehesten, wenn ich fremd bin. Dieses Entdecken bringt in mir die guten Seiten zum Vorschein. Während das Hiersein und das Feststecken die ganzen schlechten aufzeigt. Da wendet sich das Denken quasi autoimmun-mäßig gegen mich selbst.
Meine Frage zielte gar nicht auf das Glück, eher auf die Traurigkeit bzw. Melancholie, die sich oft in deinen Sätzen zeigt. Es wird manchmal ziemlich düster …
Ja, ich bin ein sehr düsterer fröhlicher Mensch. Es ist schon immer ein Kampf, war es auch immer. Sicher der Hauptgrund, warum ich überhaupt in der Kunst hängenblieb und mein Leben lang noch nie etwas anderes gemacht habe. An andere Karrierewege hab ich nie gedacht, was sicherlich daran liegt, dass ich Dinge abarbeiten und Methoden entwickeln muss, mit gewissen Schiefständen umzugehen. Manche Methoden bringen Früchte, andere nicht. Gegenwart ist für mich ein Zirkus-Act, bei dem man probiert, die Jonglierteller am Drehen und oben zu halten.
Im Frühjahr 2019 brachte der Verein ADA [artistic dynamic association], in dem du einige Jahre im Vorstand warst, mit Wiener Grippe den Virus auf die Bühne und von Masken ist da auch die Rede – seid ihr Propheten?
Lydia Haider, Barbi Markovic, Stefanie Sargnagel spielten mit dem Titel ja auf die „Wiener Gruppe“ an. Generell hatten wir ‚Adaisten‘ schon längere Zeit ein verstärktes Interesse an der Volksgesundheit – vor allem an Homöopathie und Esoterik. Das ist aber vor allem Markus Hafner geschuldet, der dann auch begann, sich die Orgonenenergie urbar zu machen und Energieheilungssessions im Vereinslokal anzubieten.
Wilhelm Reich war ja auch ein Wiener …
Ein weiterer Adaist, Michael Hackl, hat homöopathische harte Drogen gemacht, unter dem ‚Markennamen‘: Asifin Plazebo Forte. Es gab dann Kokain-, Heroin-, LSD- und Ketamin-Globuli, authentisch nach dem tatsächlichen Verfahren hergestellt: potenziert bis nichts mehr drin ist und dann geschüttelt. Er bietet sie dann manchmal an der Bar an. Da die Idee der Homöopathie ja ist, dass sich durch dieses Potenzieren und Schütteln die Wirkung der Substanz umkehrt, ist das Heroin-Globuli zum Aufputschen und das Kokain-Globuli zum Runterkommen. Geht weg wie warme Semmeln.
Und gibt’s Studien?
Von unserer Seite noch nicht… Fix ist, dass nach dieser Verdünnung keine Substanz mehr nachgewiesen werden kann, deswegen brauchen wir uns auch keine Sorgen zu machen. Das Lustige ist aber, dass für die Herstellung dieser Globuli die Ausgangssubtanzen zerstört werden, weil ja alles nach Originalrezept hergestellt wird.
Es ist die Frage, wie Bewusstsein und Unbewusstsein körperliche Vorgänge steuert, welchen Einfluss die innere Verfassung und Haltung auf das sichtbare Äußere nimmt …
Das passt zu dem vorher Gesagten was das Funktionieren von Denken betrifft: Glück ist ja sehr subjektiv, wenn es hilft, sich dafür Zuckerkügelchen reinzuschieben – so be it. Anscheinend ist es ja eh so, dass bloße zwischenmenschliche Interaktion, was eben auch ein Besuch beim Homöopathen sein kann, positive Wirkungen auf das Gesamtbefinden haben kann.
Studien haben auch bewiesen, dass nicht die Behandler oder Substanzen heilen, sondern dass das Vertrauen des Patienten in den ausgesuchten Behandler bzw. in dessen Vorgehensweise die Selbstheilungskräfte des Patienten aktivieren oder stärken. Eine solche Einsicht macht unglaublich autonom und zeigt gleichzeitig überdeutlich, wie wichtig zwischenmenschliche Interaktion ist, was ja meinem Empfinden nach ein essenzieller Bestandteil deiner Arbeiten ist. Allein lässt sich schwer etwas ins Leben holen.
Das find ich auch tatsächlich im Alltag sehr schwierig. Die Entwicklung eines Projektes, bis es förderfähig ist und man damit andere Leute ins Boot holen kann, bedeutet viel anstrengende Alone-time. Was letztes Jahr endlich einmal große Thematisierung fand, halt unter dem Begriff ‚Homeoffice‘: keine Wege mehr, sich selbst motivieren müssen usw. Rein inhaltlich ist es beim allein Arbeiten schon eine Herausforderung, an einer Idee so lange festzuhalten, bis sie Ergebnisse zeigt. Du glaubst gar nicht, wie viele Ideen wie nasse Enten auf den Boden gefallen und da auch geblieben sind. Die meisten eigentlich.
Ob Ideen auch Leben innewohnt, welches erlischt, wenn sie nicht bewegt werden?
Ich habe die Tendenz, gern mit anderen Leuten über Ideen zu reden, weil ich Privates und Berufliches offenbar sowieso nicht voneinander trennen kann. Da ist es auch ein bisschen entertaining, wenn man seine Spinnereien besprechen kann, auch wenn es nur für den Augenblick ist. Die Ideen, die mir sehr lieb waren, aber niemals ihre Erlösung gefunden haben, bauen sich in mich ein. Aber irgendwann muss man wieder etwas sichtbar machen. Bei How to protect you internal ecosystem, das den Ö1 Hörspielpublikumspreis 2020 bekam, wird ja ein Leidensdruck beschrieben, der nicht unwesentlich mit diesem Sichtbarkeitszwang zusammenhängt, der bedeutet, dass man die ganze Zeit das, was in einem drinnen vorgeht, nach außen bringen muss, um überhaupt künstlerisch zu existieren. Nach zehn Jahren weiß keiner mehr, dass ich Musik mache.
Wie zeichnet sich das denn in deiner ganz alltäglichen Lebenspraxis ab? Hast du Aufträge? Du arbeitest hart an deinem Existenzminimum?
Naja, ich stell mich schon auch blöd an. Sonst würden wir beide hier nicht Detektivarbeit betreiben und meinem Wirken nachzuspüren. Aber im Ernst, ich wurschtel mich so durch. Reich wirst du mit so Zeug nicht werden. Ein vergleichsweise breites Spektrum an Leistungen hat mich in der Krise aber vor dem Schlimmsten bewahrt.
Es kommt dir also entgegen, dass du in your mind sehr viel bedienen kannst: dein Geschenk sind viele Disziplinen in Personalunion. Gleichzeitig ist es für dich aber ein unglaublich erhebendes Gefühl, wenn mehrere Leute auf der Bühne für den Moment in einem Stück synchron laufen.
Absolut. Es gibt aber verschiedene Aspekte, die einen Lustgewinn bedeuten können. Einerseits natürlich im Bandkontext, wo diese Synchronisation und das Konversieren auf einem sehr einstimmigen Level geschieht. Wenn ich in einer Performance eher eine begleitende Funktion habe, ist mein Spaß daran, dass ich das Geschehen quasi auf meinen Händen trage und ihm einen gewissen Drall verpassen kann. Am allerliebsten mag ich es natürlich, wenn das Publikum in irgendeiner Form, entweder partizipativ beteiligt ist oder zumindest direkt angegangen werden kann. Das können ganz minimale Eingriffe in eine Situation sein, die enorme Auswirkungen zeigen. Es fasziniert mich sehr, was für einen unfassbaren Unterschied es macht, ob ich beim Einlass an der Seite des leeren Saales stehe oder in der Mitte. Es werden sich entweder alle an die Wand drücken und Angst haben einen Schritt zu tun, oder sich plötzlich frei bewegen. Das zeigt auch, auf was für einem präzisen Level wir einander beeinflussen. Eigentlich ist alles Kommunikation.
Hast du das Gefühl dieser Kommunikation auch für dich, wenn du schreibst?
Ich glaube nicht. Ich habe unerhörte Probleme mit Linearität, wahrscheinlich ein Ergebnis von 20 Jahren Internet und Hypertext. Mein Schreiben funktioniert eigentlich, indem ich Gedanken sammle, sie auf meinen digitalen Geräte ablege und bei einer strukturgebenden Idee dann in diesem Archiv wühle um das leere Gerüst aufzufüllen. Wenn ich mich wie für einen Aufsatz hinsetze, fließt ein unweigerlicher Pathos mit ein, der mir nicht gefällt. Während diese gesammelten Dinge Authentizität haben und ihrem ursprünglichen Moment entsprechen. Diese Perlen nehme ich dann lieber her und reihe sie aneinander.
Wie trittst bzw. tratest du dann mit deinen Sachen auf?
Früher war es tatsächlich nur die kaputte Ziehharmonika, auf der wenige Töne klangen, aber ich viel dazu gesungen und erzählt habe. Manchmal im öffentlichen Raum, manchmal in Stiegenhäusern von Zinshäusern und Universitäten, mit viel Interaktion mit dem Publikum. Dann kamen die Studioproduktionen, wo die Sachen auch live mit Gastmusiker:innen enorm an Komplexität gewannen. Jetzt bin ich am ehesten solo mit digitalen Sets anzutreffen, wo ich vorgefertigte Fieldrecordings oder Samples live bearbeite. Mit viel Live-Stimme und Stimmbearbeitung. Ich nenn’s immer Ambient Singer/Songwriting. Das gab’s in gleicher Machart allerdings auch im Duo mit Lukas Lauermann als FLMNT. Lukas und ich arbeiten sowieso öfters zusammen, bei Fahrenheit, bei How to Protect und letzten Sommer haben Markus Zahradnik und ich ihm ein Musikvideo gebastelt.
Du bist eine Schatzhüterin.
Es ist schrecklich. Ich hab schon wahnsinnig viel produziert, aber es liegt irgendwo herum und irgendwann ist es weg. Als letztes Jahr so viele Konzerte wegfielen und auf Streaming umgestellt wurde, hat mich die Stadtwerkstatt Linz im Rahmen der Reihe Future Sounds um einen Streaming-Beitrag gebeten. Mein Beitrag war dann Future Sounds of the Past, wo ich meine Rohrkrepierer ausgegraben habe und dazu erzählt habe, wann, warum sie waren und warum sie nichts geworden sind. Das hat die Idee geboren, ein Format zu suchen, wo alles das, was keine Verwertung findet, in irgendeiner Form eingebracht werden kann. Ich hoffe, dass ich 2021 noch die Idee verwirklichen kann, zusammen mit Sandro Nicolussi die geheimen Schätze anderer Musiker:innen in Form unveröffentlichter Skizzen und Stücke auszuheben und die Schwierigkeiten mit ihnen oder die Liebe zu ihnen zu besprechen. Als Podcast. Es g’hört mehr g’redt.
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at.
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