Rupert Huber
Mit den Ohren denken
„Der Erfolg von Tosca damals war ein Unfall.“ So lautet das Statement von Rupert Huber, bekannt für besagtes Projekt Tosca zusammen mit dem DJ und Produzenten Richard Dorfmeister, das den Vienna Sound der 90er Jahre entscheidend mitprägte. Abseits dieses Erfolgs entwickelte der Komponist und Pianist Musik im und für den Raum, bei der jeder Zuhörer mitspielt, und nennt sie Dimensionale oder Soziale Musik.
Woran arbeitest du gerade?
Im Moment läuft noch bis Ende des Jahres im Gasometer Oberhausen eine Installation, Das zerbrechliche Paradies. In diesem 100 Meter hohen und recht schmalen Gasturm hat die deutsche Raumfahrtsbehörde DLR eine riesige Kugel von mehr als 20 Metern Durchmesser als Abbild der Erde gehängt. Hall und Delay sind in diesem Raum riesig, bei 15 Sekunden habe ich abgebrochen, ihn zu messen – solche akustisch schwierigen Räume sind zunehmend zum Spezialgebiet für meine Musik geworden. Entstanden ist quasi eine Filmmusik zu einer riesigen Skulptur, die die Beobachtungen der Erde von Satelliten aus zeigen soll. Einerseits wird da in 15 Minuten Zeitraffer die Entwicklungsgeschichte der Welt abgebildet, andererseits auch die des Klimawandels. Man sieht Stromverbrauch, Erderwärmung und auch die Verkehrswege – ein wahnsinniges Netz, das da über der Welt liegt. Ähnlich war eine Ausstellung der europäischen Raumfahrtsagentur ESA/ESRIN in Frascatti bei Rom: interaktive Tools waren Stationen mit Sound hinterlegt. Die deutsche Raumfahrtsagentur stellte dazu ein Höhenmodell aus.
Quasi eine Filmmusik zur Installation?
Ja, Filmmusik im Raum, mit speziellen räumlichen Gefühlen. In den letzten 15 Jahren richtete sich mein Fokus zunehmend auf Musik in Räumen, die hauptsächlich partizipativ oder interaktiv über Sensorik Installationen erzeugt, die musikalisch gedacht sind. Bei dieser Technik gibt es pro Station also eine Melodie oder längere musikalische Phrasen, die durch die Bewegung bzw. die Begegnung von Menschen ausgelöst werden. Diese Musik funktioniert folglich nur als Installation, ohne Aktivität der Menschen gäbe es nichts zu hören.
Und das Zusammenspiel der einzelnen Stationen kann dann wie Stimmen verstanden werden?
Als wenn man durch ein Orchester durchgehen würde und je nachdem, wo man vorbeikommt, fängt der jeweilige Interpret, die jeweilige Interpretin zu spielen an. Die einzelnen Spuren sind also nicht auf einen Beat synchronisiert, sondern komplett frei. Dafür hab ich eine Technik entwickelt, ohne zu wissen, was wann ausgelöst wird, zu komponieren. Und nenne es Soziale Musik.
Im März 2020 erklang mit Music for the senses solche Musik auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten …
Ich hatte die Freude und Ehre, den Österreichischen Pavillon in Dubai bei der World Expo mit eben dieser Technik bespielen zu dürfen. Zum ersten Mal hat eine solche Weltausstellung im arabischen Raum stattgefunden. Drei Räume, die nur dem Hörsinn gewidmet waren – es gab nichts zu sehen und nichts zum Sitzen. Ein Traum für mich, der auch gut angekommen ist. Im Gesamtkonzept sollte es um Elemente gehen, die in Österreich wichtig sind. Das war für mich zum einen Luft. Den Grundloop hab ich daher aus Kirchenorgeltönen einer alten Wallfahrtskirche in Rohrbach bei Berg in Oberösterreich gesetzt. Beim Spielen dieser Orgel hört man noch das Anblasen der Pfeifen. Daraus hab ich Akkorde so aufgebaut, dass sich die Räume drehen. In einer zweiten Sequenz ging es um Stahl, also Klaviersaiten. Und auf diesen Grundloop gab es dann einen Chor, Stahlgeräusche durch Perkussion usw. zur Orchestrierung. Da sich Massen von Menschen da durch bewegten, hat die Installation auch sehr gut funktioniert.
Es braucht also einen Anreiz für die Menschen, sich in dem Raum zu bewegen, um das Klangbild zu verändern?
Es gab einen musikalischen Grundloop, der durch die drei Räume wanderte und über spezielle Sensorik mit zusätzlichen Klängen, welche die Besucher auslösten, orchestriert wurde. Jeder Zuhörer kreiert so seine eigene individuelle Version dieser Musik. Das ist quasi der soziale Kontrapunkt. Wegen der häufigen Nachfrage, ob und wie man diese Musik mit nach Hause nehmen könnte, ist dann auf eigene Kosten eine limitierte CD davon entstanden. Global ist die CD ja noch immer als Tonträger gültig und stellt eben ein greifbares Objekt dar.
Hat diese Art, für den Raum zu komponieren, 2012 mit AIRPORT #1 SOUNDSCAPES für Flughäfen angefangen?
Ich bin immer auf zwei Beinen dahergekommen: das Installativ-Räumliche und natürlich das reine Musizieren. Einerseits braucht es natürlich eine gewisse Reifezeit, bis man als Künstler damit wirklich etwas zu sagen hat/sagen kann und eine eigene Vision, eigene Sonision hat. Andererseits ist das auch eine Funktion des Alters. Deswegen ging dieser Prozess recht langsam vonstatten und war auch immer von dem Tosca-Projekt überschattet, weil das als Stereo-Format auf jedem Gerät auf der ganzen Welt funktioniert. Die Airport #1 Soundscapes am Flughafen Wien waren eine Sonifizierung der Flugdaten vom Tower. Diese steuerten die Töne und konnten auf Liegen mit acht eingebauten Lautsprechern gehört werden. Das war auch sehr schön, wurde aber mit dem Wechsel des Managements dann alles zurückgebaut. Als Nebenschiene begann meine Soziale Musik 2006 mit dem Projekt Erinnerungswellen im Roten Turm in Halle an der Saale.
Was spielst du in der Sozialen Musik?
Da sie ja im (halb-) öffentlichen Raum, also in Passagen etc. stattfindet, habe ich begonnen, die Menschen dort zu interviewen und daraus dann Klänge gebaut. Oder bei anderen Installationen die Leute, die musizieren, gebeten, dass sie ein paar Töne einspielen. Im Konzernzentrum von SAP bei Waldorf gibt es eine bald 80 Meter lange Fußgängerbrücke zwischen den beiden Hauptgebäuden, wo seit 2014 bis heute meine Installation Building Bridges läuft. Da sind Sensoren und 60 Lautsprecher am Werk, für die das Betriebsorchester Töne von Kontrabass, Flöte usw. Töne eingespielt hat. Das war das erste Werk, bei dem es mir gelungen ist, nicht nur die Klänge von den Menschen einspielen, sondern das ganze Stück von ihnen steuern zu lassen. Von den Seiten gegenüber spielt es jeweils eine Melodie und ergibt einen Zusammenklang, man hört sich quasi näherkommen. Um den Störfaktor der Klänge im Arbeitsumfeld zu minimieren, hatte ich den Anschlag weggeschnitten, sodass ein gewisser Ambientsound entstand. Wenn sich zwei Personen dann wirklich treffen, kommt aber der Anschlag. Nach dieser Formel konstruiere ich seither soziale räumliche Musik. Es ist ein Musikstück, kein künstlerisches Auseinandersetzen mit einem Klang.
Ähnlich war auch Walking Music beim Erste Campus in Wien 2019 …
Ja, da hingen 24 Lautsprecher in 10 Metern Höhe mit jeweils einem Sensor. Aus baulichen Gründen mussten diese an Stahlseilen befestigt werden, sodass mir die Analogie zum Klavier natürlich aufschien, weswegen diese Installation dann auch mit Klavierklängen komponiert wurde. Dieser Raum war wirklich öffentlich, nämlich der Durchgang vom Hauptbahnhof zum D-Wagen und zum Schweizer Garten. Im Sommer vor Covid war da auch noch Begängnis. Ein sehr schönes Erlebnis, vollkommen ungefiltert: keine Security, keine Einschränkungen. Als dann Restaurants begannen, ihre Musik leiser oder gar ganz abzudrehen, kam ich auf den Höhepunkt meiner Freude.
Läufst du da nicht Gefahr, mit dem Begriff der akustischen Umweltverschmutzung, Muzak, Fahrstuhlmusik in Verbindung gebracht zu werden?
Das sind ja Kategorien der Beschallung, wo irgendetwas, das irgendwo produziert wurde, missbräuchlich oder korrekterweise abgestrahlt wird. Das kann zu besagter akustischer Verschmutzung führen. Ich persönlich sehe nicht ein, warum man im Supermarkt Musik hören muss. Aber der Gang in ein Konzert oder in den Club ist ja klassische Musikrezeption, woher meine sozialen Installationen eigentlich kommen. Die Klangauswahl muss einen Bezug zum Ort haben und es ist immer sehr leise. Es sind Töne, also einzelne tonale, nicht-perkussive Elemente, die sehr langsam, aber letztendlich doch für Passanten wahrnehmbar sind. Es ist gar keine Beschallung, sondern eigentlich ein Instrument, mit welchem ich auch sehr lange Samples anbiete.
Und jeder Mensch ist dann eine Taste.
Nein, jeder Mensch wäre dann ein Pianist oder ein Geiger, ein Dirigent eigentlich.
Du sonifizierst die Bewegung der Menschen und ohne Passanten ist nichts von deiner Installation zu hören.
Dadurch verschmutzt eben auch nichts.
Also könnte auch ein Hund durchlaufen oder ein Vogel hindurch fliegen?
Der Hund bildet einen Grenzwert, wie ein kleines Kind. Das könnte gerade so noch wahrgenommen werden. Der Vogel ist allerdings zu schnell und zu weit oben. Insekten sind sowieso viel zu klein, die Sensoren sind schon auf Menschen skaliert. Ich verwende Lidar-Sensoren. Sie nehmen kein Bild auf, sondern Punktwolken. Ich weiß als Komponist des Stückes also nur die Größe und den Umfang der Personen, aber nie Hautfarbe, Geschlecht oder Ethnie. Das spielt überhaupt keine Rolle, es geht immer nur um die Begegnung.
Ist die soziale Gemeinschaft durch Bewegung aufeinander zu und voneinander weg abgebildet?
Mein Hintergrund ist, zu glauben, dass ein Mensch nicht allein leben kann. In der Stadt womöglich, weil da die Zusammenspiele und Abhängigkeiten anonymisiert sind. Aber ein Mensch allein am Mars kann nicht überleben. Der Mensch braucht andere Menschen, braucht die Begegnung, ob im Vorbeigehen oder miteinander redend und gut bekannt oder interviewend: Es braucht einfach die menschliche Begegnung. Ich schreibe also Huldigungen an Begegnungen, Begegnungssinfonien.
Das Experimentieren mit Mehrkanaligkeit hätte ja auch ganz andere Ausformungen erfahren können. Kommt die Idee des Raumklangs aus dem Clubkontext?
Nein, ich habe mich immer sehr stark mit Notation und ihrer Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte beschäftigt, war aber auch immer sehr an elektronischer Musik interessiert, die allerdings gar keiner Notation bedarf, um nachgespielt werden zu können. Als Musikstudent war ich sehr unglücklich mit den Lehrprozessen. Für eine Aufgabe stellte ich mir waagerecht die Achse der Zeit, vertikal die der Frequenz vor und ermittelte vor lauter Überdruss eine dritte Achse, nämlich die der Möglichkeit schräg dazwischen – und damit war ich im Raum. Die vorhin beschriebenen zwei Beine, auf denen ich aufgestellt bin, meinen also synchronisierte Musik und unsynchronisierte Musik.
Aber nicht zu verwechseln mit aleatorischer Musik, wo es um Zufallskombinationen geht?
Überhaupt nicht, denn jeder hat ja einen Grund, warum er gerade da entlang geht. Es sollte schon ein Schritt zur Weiterentwicklung von kompositorischem Denken sein. Und auch bei aleatorischer Musik geht es um den Komponisten, der das Stück kreiert und dabei den Zufall miteinbezieht. Bei der sozialen oder unsynchronisierten Musik formuliere ich ein Angebot, die Kombinationen erzeugen aber die Menschen, was durch ihre Begegnungen immer neue Zusammenspiele erzeugt, die statistisch gesehen nie gleich sein werden. Dadurch werd ich zu einem Angebotskomponisten. Und ich formuliere mein Angebot musikalisch so leise, dass es nicht als ein- bzw. aufdringlicher Appell missverstanden kann. Außerdem sollte es auch nicht gekennzeichnet sein.
Auch um diese Form von Wahrnehmung zu schulen?
Ich möchte nicht dozieren, propagiere aber schon sehr das Denken mit den Ohren. Augen fressen viel Speicher, sind sehr wortbezogen und hören überhaupt nicht. Das Hören geschieht schon viel früher, im Embryonalstadium. Die Welt wäre friedlicher und sicherer, wenn die Ohren mehr zu sagen hätten.
Mit deinen Werken bereitest du dir also das Glück, ein kleines Stück der Welt so zu gestalten, wie sie dir gefällt.
Das ist wirklich nahe am Traum. Ich bin ja eher scheu, durch die Pandemie jetzt besonders, aber ab und an setz ich mich inkognito in meine Installationen rein. Dabei hab ich herausgefunden, dass unabhängig davon, wieviele Menschen sie passieren – es geht hier nicht um die Hörerzahl – ungefähr ein Zehntel der Leute bewusst wahrnehmen, horchen und staunen und von diesen zehn Prozent höchstens die Hälfte dann anfängt, damit zu spielen, den Raum zu erkunden, die Wände zu ertasten. Dann entsteht ein ganz anderes Umweltbewusstsein, eine ganz andere Sinnlichkeit. Das waren immer sehr schöne Momente. Die anderen achtzig Prozent sind dann aber immerhin ein Beleg dafür, dass meine Musik eben keine akustische Verschmutzung darstellt.
Musikalisch orientierst du dich an dem Ort der Aufführung und das führt dann zu den leisen, beatlosen Klängen?
Ich arbeite für die Kellner, falls es an den Orten Gastronomie gibt, für die Security, für die Putzkräfte – Leute, die acht Stunden lang da arbeiten, möchte ich ja nicht quälen. Deshalb braucht es natürlich eine gewisse musikalische Dezenz, um nicht zu stören, im besten Falle sogar zu erfreuen. Außerdem ist es eine Binsenweisheit: Schallwellen sind ein Längenmaß, folglich ergibt die Länge des Raumes die Tonart, in der das Stück sein soll. Für alles Weitere sind dann häufig schon relativ viele Parameter vorgegeben. Ich arbeite ja sehr gern und mache meist vier bis fünf Sets, die beim Aufbau ausprobiert werden. So kann ich dann live und ganz intuitiv entscheiden.
Ging die Beschäftigung mit Elektroakustik mit dem Studium einher?
Ich komme langsam in ein Alter, in dem die Ausbildung schon nicht mehr so prägend ist. Seit ich ein Kind war, hab ich wahnsinnig gern Platten gehört, das Radio zerlegt und mit Richard Dorfmeister, seit wir zehn sind, zusammen Musik gemacht. Wir sind in Baden, südlich von Wien aufgewachsen, damals vor allem eine Kur- und Casinostadt. Es mangelte uns an kulturellen Angeboten, was uns relativ eng zu einem Tandem zusammenspannte. Er wollte seinen Musikgeschmack spielen und mich hat die räumliche Natur von Musik angefixt, das Grenzensuchen. Ich hab auf Vernissagen gespielt und mir davon in den frühen Achtzigern meinen ersten Synthesizer gekauft. Das war eine total natürliche Entwicklung, der Unterschied wird erst spürbar, wenn der Strom ausfällt beispielsweise. Wir hören ja aber mittlerweile auch die meisten akustischen Sachen auf elektronischem Wege … Ich hab einfach gern Dancemusic gemacht, obwohl ich selber gar nicht tanzen mag. Ich tanz dann eher mit der Musik.
Das Klavier spielt aber eine tragende Rolle in deinem musikalischen Denken?
Meine Eltern waren zwar kulturell, aber nicht sonderlich musikalisch interessiert. Dadurch hab ich keine musikalische Früherziehung genossen, sondern im Alter von acht bis zehn Jahren betteln müssen, ein Klavier zu bekommen. Nach einem Jahr Fingertraining bemerkte ich, dass mir die Klangerkundung dabei am meisten taugte. Also wurde ich Komponist.
Welchen Komponisten begleiteten damals deine musikalische Entwicklung?
Mir hat klassische Musik immer gefallen, Stockhausens Gesang der Jünglinge zum Beispiel, und natürlich die Beatles aus dem Radio. Ende der Siebziger traf ja Westliches noch mit einiger Verzögerung auf uns. Damals konnte man ab und zu sogar der Neuen Deutschen Welle im Radio begegnen, Deutsch Amerikanische Freundschaft zum Beispiel. Ich war hingerissen von der Aufbruchsstimmung und Musik mit deutschen Texten jenseits von Schlager und Co. John Cage und Arnold Schönberg haben mich vor allem als Schriftsteller oder Interviewgeber fasziniert und natürlich Morton Feldman durch seine Musik mit extremer Länge.
Du hast dich auch dem klassischen Lied zugewandt?
Naja, ich sitze nicht mit der Gitarre und schreibe Songs, aber ich produziere gern architektonische Lieder, inspiriert durch die Zusammenarbeit mit anderen Musikern wie Chris Eckman mit dem Projekt L/O/N/G oder Antye Greie.
Das war das Album Ausweg. Da habt ihr 2012 schon so gearbeitet, wie es die pandemische Situation jetzt erforderte: Files, die hin- und hergeschickt und zu einem Song zusammengestrickt wurden.
Genau, das war reines Filesharing damals. Leider hat sich die Zusammenarbeit ein bisschen verlaufen, weil wir danach ein ganzes Tosca-Album nur mit Songs produziert haben und ich meinen Fokus wieder mehr auf die räumliche Musik lenken wollte.
Auch die Stimme bekommt bei dir eine andere Rolle …
Von mir gibt es eher dadaistische Minimaltexte, die Stimme ist eigentlich ein Instrument für mich, in dem Fall das Soloinstrument. Auch bei Tosca spielt das so.
Für deine Musik im Raum bist du nicht verpartnert?
Ich bewege mich dort in diesem Spannungsfeld, mit den Ohren zu denken, aber in der Öffentlichkeit zu sein. Vorherrschend sind die Fragen: Wie erreiche ich die, die potenziell hören wollen? Wie schaffe ich es, nicht zu stören? Da ist kein Platz für Sprache.
Ist deine Herangehensweise intuitiv oder beschäftigst du dich beispielsweise auch mit Psychoakustik?
Natürlich ist mein Zugang intuitiv. Ich mag Klänge, die wie Stoff sind, gewebeartig. Ein bisschen rauh, ein bisschen falsch, von textilem Charakter. Das betrifft alles, meine Raummusik und Tosca.
Am 27. Mai bringt ihr euer 18. Album Osam raus, wenn man alle Remixe mitzählt. Ist das ein Produkt aus zwei Jahren Pandemie?
Nein. Tosca braucht meist sehr lang, da wir zwei komplett eigenständige künstlerische Leben leben, Richard Dorfmeister in Zürich, ich in Wien. Eine Regel bei Tosca ist, immer im selben Raum, im Moment zu produzieren, was bedeutet, dass es kein Filesharing gibt. Nur so erhalten wir uns den Spaß, sonst bräuchten wir nicht zusammenzuarbeiten. Nach dem vorhergehenden Album Going, going, going 2017 hatten wir schon ein halbes Jahr im Vorlauf, also Ende 2016, zu produzieren begonnen. Das Material war also vor Ausbruch der Pandemie bereits fertig, wir wollten es nur noch zusammen mischen und wurden von Covid19 abgehalten. Osam ist also ein Tagebuchmosaik aus der Zeit davor, im Umgang mit der Pandemie ist es nur gemischt worden.
Hat sich die Pandemie in deine Arbeit eingeschrieben, hat sie Spuren bei dir hinterlassen?
Keiner von uns kann das im jetzigen Moment absehen, es ist ja noch nicht vorbei. Es gab teilweise schlimme, aber auch schöne Sachen. In meinem Beruf ist es beispielsweise eher selten, dass ich mit den Kindern zu Abend esse. Es ist bis dato auch keiner von uns daran gestorben. Ich habe keinerlei Erkenntnisse daraus und denke, das Virus kommt direkt aus der Hölle, wo auch immer diese ist. Das Ganze ist ein absolutes Unglück.
Es gibt ja auch Schaffenskrisen bis Depressionen bei Künstlern als Folgen dieser Gegenwart …
Als Kur gegen die Hoffnungslosigkeit und Depression hab ich jeden Tag eine Skizze gemacht, verfolgte aber nie die Idee, das zum Inhalt eines Albums oder Projektes werden zu lassen. Das liegt jetzt irgendwo herum und muss sich erst einmal setzen. Meine Projekte im öffentlichen Raum haben ja so wahnsinnig lange Vorlaufzeiten, dadurch hatte ich Aufträge, deren Finalisierung dann eben verschoben worden ist. Das wirkte auch sinnstiftend und war für mich natürlich ein Glück. Aber Frontrow Seat ist quasi ein Pandemiestück, eine Art Selbstvorstellung der beteiligten Künstler für ein Projekt der Kulturstiftung AVLCF Graz, dass sich noch im Werden befindet.
Hast du noch andere Projekte im Ausblick?
Nein, der Krieg hat alle internationalen Anfragen, auch von Institutionen, zum Canceln gebracht. Für mich wird es also jetzt ernst.
Betrachtet man Klang, Raum und die dazugehörige Experimentalsituation landet man wahrscheinlich bei Sounddesign oder Medienkunst. Verortest du dich da?
Wirklich geprägt haben mich Christo und Bill Fontana. Als ich in der Jury der Ars Electronica saß, durfte ich Bill Fontana einmal einen Preis verleihen und ihn persönlich kennenlernen. The Gates von Christo im Central Park New Yorks haben mich unglaublich berührt. Orangefarbene Portale über den Rosenstöcken, zwischen denen orange Vorhänge wehten. Unfassbar poetisch. Genau das möchte ich mit Musik versuchen zu erzeugen.
Das ruft nach Film- oder Bühnenmusik …
Ich schreibe sehr gern Dokumentarfilmmusik. Meistens etwas komplexere Themen. Zum Beispiel Freuds lost neighbours über die arisierten Wohnungen in Wien. Oder vor fünf Jahren Tracking Edith über die Fotografin und sowjetische Spionin Edith Tudor-Hart. Das war eine schöne Arbeit, weil die Musik sehr viel zu tun hatte, es gibt ja keine Filmaufnahmen von ihr als Spionin. Bühnenmusik beschränkt sich eher auf Tanztheater.
Es scheint naheliegend, dass auch die kontrollierte Bewegung von Tanz deine Installationen in Szene setzen könnte – hast du deine Musik je mit TänzerInnen in Kontakt gebracht?
Als Walking Music beim Erste Campus im öffentlichen Raum dokumentiert werden sollte, haben wir TänzerInnen dafür engagiert, um datenschutzrechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen. Eine Viertelstunde lang hat darauf deren Tanz die Klänge ausgelöst.
Interaktive Installationen finden sich ja vor allem im visuellen Bereich, den Raum partizpativ zu gestalten, zu verändern …
Mir geht es um die Musik und die Sinfonisierung der Begegnung. Technisch ist das natürlich längst möglich, mittels Sensoren auf Bewegung zu reagieren, mittlerweile ist solche Technik sogar ziemlich erschwinglich und relativ einfach zu programmieren, sodass sie als ein gutes Werkzeug genutzt werden kann und es möglich ist, solch ein Sinfonie-Instrument zu bauen.
Deine Timeline beginnt mit Radiokompositionen und Radiokunst. Wie kamst du zu diesem Medium?
Radio hab ich immer gern gehört, vor allem Features und experimentelle Sachen, als Kind schon. 1993 konnte ich dann beim ORF Kunstradio vor einer größeren Öffentlichkeit agieren. Im Radio geschehen Aufführung und Rezipienz genau im gleichen Moment vor einer unbekannten Zuhörerschaft, beim Tonträger dagegen immer zeitversetzt. Gleich einer Bühnensituation: ich mit geschlossenen Augen und das Publikum nicht in einem Raum, sondern in fünfhunderten. So entwickelte sich eine wirklich intensive künstlerische Beziehung, für die über die Jahre eine Menge Stücke entstanden sind. Dort bin ich auch Gerfried Stocker und Horst Hörtner begegnet, mit deren Leitung der Ars Electronica sich diese Art von kuratorischem Zugang natürlich enorm vervielfältigt hat.
2017 gab es eine Sendung für Feldman …
Genau, das ist eine liebende Verbindung geblieben.
Dein Studio beherbergt Synthesizer, Synthesizer, Synthesizer … und ein Klavier. Hörst du innerlich und drückst das dann auf den Geräten aus?
Mittlerweile schon, ja. Im Prinzip hat sich ja doch wenig verändert. Man schlägt eine Taste an oder haucht irgendwo rein und es gibt einen Ton. Oder es gibt einen Tongenerator bzw eine Tonaufzeichnung, die man manipulieren kann. Da ich vom Klavier komm, ist es für mich natürlich viel leichter, mit den Synthesizern umzugehen. Man gewöhnt sich auch aneinander, ich weiß dann schon, wer was macht. Genauso wie man mit Musikern arbeitet. Hier liegt zum Beispiel ein Pflasterstein, den ich für ein Projekt iener Sonifizierung gebraucht habe. Ich musste bis zu 20 Minuten lange Samples herstellen und hab den Pflasterstein quasi für die Pedale verwendet. Mein Zugang ist also nicht zwangsläufig intellektuell, sondern auch haptisch, sinnlich, körperlich. Deswegen mag ich Synthesizer sehr gern.
Die Ausbildung an den Tasten ist aber schon von Vorteil für die Nutzung von Synthesizern, oder?
Ich fühl mich wirklich sicher am Klavier, sodass es mir dort möglich wurde, eine Art eigene Sprache zu entwickeln. Ich spiel aber fast genauso lang Gitarre, Bass, auch Saz, ein türkisches Instrument, nur eben nicht in der Öffentlichkeit, weil mir da diese schlafwandlerische Sicherheit fehlt. Wenn ich zwei, drei Wochen kein Instrument berührt habe, werde ich unrund.
Also fast mehr innere Notwendigkeit als Virtuosität.
Virtuose bin ich gar nicht. Weil ich mich nach einem Jahr Klavier schon derart auf das Stücke schreiben geworfen habe, kann ich Noten auch besser schreiben als lesen.
Notierst du oder ist Komponieren für dich eher ein Aufnehmen?
Ich notiere, weil die Musik dadurch klarer wird. In der Umsetzung wird dann aufgenommen. Ich arbeite so viel allein, dass die Partitur fast schon zum Gesprächspartner wird. Nur Files am Computer zu sehen oder im Ohr zu hören, ist mir dann zu wenig.
Klangmoorschopfe war ein Projekt in der Schweiz. Was verbirgt sich hinter diesem schön klingenden Titel?
Der Kontrabassist Patrick Kessler hatte mich für die erste Ausgabe dieses Festivals in Geiss, nahe der Grenze zu Vorarlberg, angefragt. Dort befindet sich ein Hochmoor mit original Holzstadln, in denen tatsächlich Installationen stattfinden durften. Das wirklich Hervorragende dort war, komplett ohne irgendeinen Kontext zu sein. Nichtsahnende Wanderer schauten neugierig herein und bekamen dann eben etwas zu hören.
War die Natur dafür auch Klangquelle bzw. arbeitest du auch mit Fieldrecordings?
Aufgenommen hab ich schon immer, das hat sich aufgrund der Routine nur zunehmend auf Momente verschärft. Auch bei den Tosca-Sessions begegnen uns immer wieder andersartige Sounds, wenn beispielsweise die Fingernägel auf Kaffeetassen treffen. Das hat für mich aber weniger mit Naturbezug als vielmehr mit sozialen Begegnungssituationen zu tun.
Beim Tosca-Projekt finden sich ja viele Anleihen aus der fernöstlichen Musik, überhaupt scheint es eine ganz spezifisch eigene Art zu geben, sich verschiedenstes musikalisches Material einzuverleiben.
Die Musiken der Welten haben mich immer sehr interessiert. Damals war das Sampling ja neu und auf einmal alles interessant. Das war in einem anderen Licht als heute zu sehen, weil niemandem etwas weggenommen wurde, aber jeder damit arbeiten konnte und auch sollte. Wir sind auch selber viel gesamplet worden. Die Sampler hatten damals ja nur sehr kurze Samplezeiten, da war die Verwendung von fremdem Ursprungsmaterial moralisch noch sauberer, man konnte keine Besitznahme behaupten. Seit die Speichermöglichkeiten derart angewachsen sind, habe ich das Sammeln von Klängen aus bestehenden Musiken aufgehört, verweigere es mittlerweile sogar komplett. Ich mag nichts nachspielen, sondern Klänge selber finden, deshalb bin ich ja Komponist.
„Ein Musiker mit Mission und Bluesmusiker im Herzen“ wurdest du irgendwann einmal betitelt – wieso Bluesmusiker? Wegen der Langsamkeit?
Das G’schlapfte spielt sicher eine Rolle, aber auch die Art des Gefühlsausdrucks sprechen mich an. Blues wird gern missverstanden als ständiges Jammern, war ja aber eine Befreiung, endlich noch etwas anderes als nur den Herrn besingen zu dürfen/können. Blues ist zwischen Dur und Moll, geht nach vorn, aber ein bisschen gebückt. Sehr wienerisch eigentlich. Das ein wenig Verzogene des Blues findet sich auch im Wiener Walzer. Blues ist eben nicht mehr die Musik einer benachteiligten Gruppe, sondern eine sehr starke Musik, die sehr frei nach vorn treibt. Meine persönliche Version von Blues war Pause Dialog, 2017 ein fünfstündiges Klavierkonzert auf einem Bauernhof in Ronda, Spanien für die Leute, die das hören wollten, und die Tiere dort. Die Töne werden immer mit Pedal gespielt, auf der Aufnahme hört man dazu noch die Geräusche der Schafe und Pferde. „All night long.“ Außer der Länge hat mein Blues musikalisch also nichts mit Blues gemein.
Ein Jahr später gab es dann auch noch ein Chorstück da …
Mir ging es dabei wirklich um den Kontakt und die Begegnung. In Andalusien gibt es im Vergleich zu Mitteleuropa eine sehr vitale Musikpraxis in den Straßen. Zusammen mit dem Team vom Pause-Festival sind wir in den Dörfern unzähligen als Kirchenchören getarnten Flamenco-Gruppen begegnet. Es war naheliegend, die Teile zusammenzufügen, die zueinander passen, und dazu Klavier zu spielen.
Die Mentalitäten des Blues und des Flamencos begegnen sich schon auch ein bisschen: das Bedauernde, Tragische, Schwermütige …
Einerseits hat das gepasst und andererseits ist durch den arabischen Einfluss auf Andalusien auch im Flamenco dieses Zwischentönige, zwischen Dur und Moll vorhanden. Wir haben historisch solche Probleme mit volkstümlicher Musik und dem aufgesetzten Duktus von Schlager. Mich hat total beeindruckt, dass die Südspanier wirklich schöne Musik einfach auf der Straße machen und dabei zusammen kommen, völlig unmaskiert und unmittelbar.
Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at.
Ich bin ein Klangarbeiter
Wojtek Blecharz ergründet das Zusammenspiel von Zeit und Raum und verbindet dabei virtuos und zwanglos benachbarte Felder wie Klangskulptur, Performance, Klanginstallation und Konzert. In seinen komplexen musiktheatralen Werken verarbeitet der Komponist Spezifika von Aufführungsorten, [...]
Ich muss nicht jedem gefallen
Morgana Petriks Handeln steht fundamental auf den zwei Beinen Selbstermächtigung und Selbstverständnis. Als langjährige Vorsitzende der ÖGZM hat sich die Komponistin in die Geschichte der österreichischen Gegenwartsmusik eingeschrieben, der Verein feiert heuer sein 75. [...]
Die Leitlinie ist immer, Win-Win-Situationen zu kreieren
Nadja Kayali besticht mit immerwährender Präsenz, ihrer Menschlichkeit und einem scheinbar unerschöpflichen profundem Wissen im musikalischen Kosmos des Abendlandes und darüber hinaus. Die bekannte Radiomoderatorin trat 2020 die Intendanz für das Osterfestival Imago Dei [...]