Bertl Mütter

Spannungen und Entspannungen und Kommunikation – es geht nicht um recht viel mehr
Bertl Mütter will den Menschen eine Freude machen, in einem nicht trivialen Sinn. Denn Musik ist Kommunikation für ihn, ein sinnliches Vergnügen, das durchaus tief nach Innen treffen kann. Sie ist ihm eine ästhetisch-menschliche, vielleicht auch moralische, Auseinandersetzung, um Freude zu erzeugen. Offenbar beste Voraussetzungen, um über die menschliche Gesellschaft, Zivilisation, zu posaunieren.
Du machst dir ja den Begriff mit Mütter’s Civilisation sofort zu eigen … Was macht Mütter mit Mythos? Was geschieht in diesem Stück?
In dieser Matinee bestreite ich den ersten Teil und werde gewissermaßen eine kleine Travestie aufführen und meinen Schalk ein bisschen um die Themen reiten lassen. Ich fertige mir eine Skizze, das ist dann mein Rangierbereich im Bahnhof, und versuche, zusammen mit den Ankündigungen dieses Stücks, „das Ganze Fruchtfleisch ansetzen zu lassen“, wie es Umberto Eco zum Namen der Rose einst sagte. Dieses „Fruchtfleisch ansetzen“ heißt zum Einen, ich hab’ den Begriff im Fokus, füttere ihn mit Inspirationen etwa durch die Utopisten am Monte Verità. Dieses Thema der Utopie als Ganzes und wie man eine ideale Zivilisation aufbaut, ist ja in Folge der 68er schon mehrfach durchgekaut, und es grenzt mittlerweile fast an Kitsch, wenn man mit Bierernst glaubt, noch eine neue Welt bauen zu können. Sobald man Humorlosigkeit einpflanzt, ist es vorbei, siehe Kommunismus, und die ist meistens da, bevor noch die Macht ergriffen wurde.
Und Humor ist dabei ein sehr wichtiges Werkzeug.
Unbedingt, ich muss immer zuerst über mich lachen oder über meine Unzulänglichkeiten und über mein Etwas-nicht-fertig-denken. Wenn man sein Gedankenexperiment umsetzt, gibt es immer die Momente, wo die nicht bedachten Sachen plötzlich übergroß anwachsen. Es ist wohl ein Grundkonstitutivum, dass jede geplante Großumsetzung immer Chimären gebiert, und zwar zwangsläufig. Alle anderen Sachen sind evolutiv entstanden. Auch die radikale Demokratie hat spätestens mit der Französischen Revolution verloren. Mich schaudert’s davor. Mich schaudert’s auch vor der Planmäßigkeit, mit der Herr Kurz Österreich übernimmt. Und er wird’s wieder übernehmen.
Du hast Utoperan formuliert – ein Bezug auf Operan von 2016?
Musiktheatralische Stücke tragen bei mir immer die Überschrift Operan und werden mit Untertiteln präzisiert. Bei Utoperan bin eben nur ich allein, da hab’ ich einen kurzen Dienstweg. Und da ich ein Sprachspieler bin, finde ich es schön, wenn man einen möglichst offenlassenden Titel behält und erhält und gleichzeitig einen angefeilten Drall hinbekommt. „Operan“ war ein Zitat von Die Humanisten von Ernst Jandl, einem Dialog zwischen zwei Geistesmenschen, die sich aufstacheln, bis sie ausrufen: „Operan!“, Oper als die Errungenschaft bzw. Leistung Österreichs, eine Anspielung auf das österreichische Kleinsein beim Bezug auf seine frühere Größe. Zum Glück hab ich ihn und einige andere Musikanten der Sprache noch persönlich gekannt.
Die Literatur nährt und begleitet dich sehr.
Die Sprache der Musik und die Musik der Sprache … Es sind beides Rhetoriken und ich verleibe mir beide ein. Ich mache ein Materialbergwerk, das sich vor mir auftürmt und damit gehe ich in die Probe und schaue, wie das Werk von uns in dieser Besetzung erarbeitet werden will. Was gehört hinein, was nicht, in welcher Reihenfolge …
Aber Utoperan machst du allein.
Ursprünglich hatten wir ein szenisches Musiktheaterstück machen wollen, was aber wegen schrumpfender Fördermittel immer kleiner wurde. Und da ich auch gern allein spiele und in der Lage bin, etwas Auratisches aufzubauen, ohne dass es esoterisch wird, blieb es dabei. Gelernt bzw. abgeschaut hab ich mir das übrigens als Kind in der Kirche von einem unglaublich fähigen Kaplan, der selbst in einer grauenhaften, bunker-artigen Kirche dazu imstande war. Mit der kirchlichen Karriere ist es dann trotz einjährigen Theologiestudiums doch nichts geworden, aber sehr gute Bekanntschaften sind erhalten, vielleicht auch wegen meines katholischen Dialekts. Jedenfalls würde ich natürlich gern auch ein großes Staatstheater nehmen, mit vollem Apparat, Kontrafagott und neun Sopranistinnen, aber wenn man nicht im Kleinen die Aussage formulieren kann, dann tut’s das Große auch nicht.
Ist deine Posaune zivilisiert?
Sie ist räudig!! Sie ist insofern nicht zivilisiert, als dass ich mit meiner Art des Posaunenspiels in keiner echten Szene vollständig bestehen könnte. Sie würde nie ein Probespiel geschafft haben. Zum Jazz fehlt mir die Konsequenz, dass ich all diese richtigen Töne gelernt hätte, welche Skala ich wo spielen muss, ich hab’ immer mehr nach den Ohren gespielt. Für Mnozil Brass würde mir die technische Stupendheit fehlen, obwohl es eine enge Freundschaft gibt. Aber je mehr ich spieel, desto mehr gibt mir das Instrument zurück und die Intimität, die orale Stimulation wird größer. Es gibt ja nichts Küssenderes in der Dingwelt als die Posaune. Das Schöne an ihr ist, dass man in den Ton hineinkriechen kann. Man kann soviele Nuancen erzeugen.
Komponierst oder denkst du posaunisch?
Das hängt von der Marktlage ab. Wenn ich für mich schreibe, kann ich natürlich viel unverbindlicher was aufnotieren, weil ich weiß, wie ich es machen will. Würde ich jetzt für einen anderen Posaunisten schreiben, würde ich mich natürlich vieles nicht zu verlangen trauen. Ich bin ja keiner Nachwelt verpflichtet, und es geht auch nur bedingt darum nachgespielt zu werden. Ein aufs zeitgenössische Musizieren sich verstehender Posaunist wird meine Stücke sicher spielen können, aber er wird es vielleicht zu genau intonieren und dann verliert es das Räudige, ist aber fehlerfrei und wahrscheinlich besser gespielt als von mir. Ich kann jedoch meine Spontanität improvisatorisch einbringen und im Moment etwas ändern; ich muss das sogar. Ich kann das zulassen, aber der andere muss sich an den Text halten.
Und Improvisation ist von je her dein Steckenpferd.
Ich hab’ zwar Jazz studiert, aber im Grunde hab’ ich damals vor allem gelernt, wie ich’s nicht machen will. Oft kann man sagen: Das hab’ ich studiert, jetzt kann ich das Andere machen. Dann ist es umso besser, je enger die Ausbildung war, umso mehr bleibt über. Meinen Zugang zur Improvisation hab’ ich daher eher über die Neue und die Alte Musik als über die orthodoxe Jazz-Improvisation gefunden, melodisch-harmonische Errungenschaften waren in der klassischen Musik immer schon teilweise Jahrhunderte früher gegeben. Wir wurden noch erzogen in der Geringschätzung anderer Szenen. Ich hab’ erkannt, dass meine Musik von der Konstruktion her viel mehr mit Bruckner oder Schubert zu tun hat, oder eben dann, wenn es etwas abstrakter wird, mit Scelsi oder Feldman. Spannungen und Entspannungen und Kommunikation – es geht nicht um recht viel mehr.
Mein Kurzschluss vom Jazz zur Improvisation war Dixieland. Da gibt es zwar fix zugeschriebene Rollen, aber in denen ist man sehr frei. Es gibt keine richtigen oder falschen Töne. Man hat seine Random-Schlusswendungen, legt die wichtigen Stellen richtig hin, man reagiert aufeinander, und das öffnet die Ohren. Musik, die akkurat auf einzig eine Art dargebracht werden muss, grenzt an Faschismus – sowas eignet sich etwa gut für republikanische Parteiveranstaltungen. Ich mag da nicht dabei sein. Und bin generell lieber bei Schubert als bei Beethoven, wie er aus einer Melodie heraus die Melodie weiterentwickelt: So funktioniert mein musikalisches Denken auch. Ein wichtiger Schlussstein war für mich dann die lange hinausgeschobene Beschäftigung mit Wagner.
Gehören Spaziertänzer zur zivilen Gesellschaft?
In dem Sinne, in dem es Josef Haslinger meint, unbedingt. Gehen ist ganz wichtig. Das Miteinandergehen. „Willst du mit mir geh’n? Willst zu meinen Liedern deine Leier dreh’n?“ Sogar manche gescheite Politiker nehmen das mit in ihre Slogans auf. Bruno Kreisky hat zum Beispiel eine Wahlkampagne gehabt, in der er die Menschen einlud, »ein Stück des Weges« mit ihm zu gehen. Es ist ein schönes Bild und es ist nicht marschieren!
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Ein Auszug des Artikels ist erstmals erschienen auf www.musicaustria.at.
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